Aktuelle Flüchtlingssituation
Container-Lösung oder zentrale Unterbringung?
Niederkassel. Das Thema Flüchtlinge bewegt überall die Gemüter. Auch in Niederkassel müssen sich Verwaltung und Rat angesichts der defizitären Haushaltslage mit der Situation unabdingbar auseinandersetzen. Daher rief man eine Sondersitzung ein, in der die aktuelle Konstellation sowie der zukünftige Umgang mit den aufzunehmenden Flüchtlingen in den Fokus rückte.
Bereits bei der Zahl der anwesenden Bürger war offensichtlich, dass das Interesse der Bevölkerung groß ist. Neben Dauerbrennern wie Grundsteuererhöhung und dem Neubau des Schulzentrums wurden in der Einwohnerfragestunde natürlich schon die ersten Anmerkungen zum Kernthema gemacht. Bei einigen Fragen verwies man auf die kommende Debatte des Rates.
Bevor es jedoch zur Tagesordnung kam, legte die CDU-Fraktion einen sechsseitigen Katalog mit rund 30 Fragen vor, die die Verwaltung geduldig beantwortete und dadurch etliche Themenkomplexe vorwegnahm.
Vor allem drehte es sich um die Ansiedelung einer Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE), die komplett vom Land Nordrhein-Westfalen finanziert werden würde, genauso wie die Schaffung neuer Kapazitäten, um eine kurzfristige Beherbergung von Geflüchteten zu gewährleisten. Nach augenblicklichem Stand betreibt die Stadt 33 Liegenschaften, inklusive angemieteter Wohnungen, die derzeit mit 671 Personen, eingerechnet Obdachlose, belegt sind. Entsprechend der Verteilstatistik beläuft sich die Erfüllungsquote der Stadt auf 91,31 Prozent, womit momentan noch 54 Menschen aufzunehmen wären.
Das Land NRW spricht von einer Steigerung der Flüchtlingszahlen von ungefähr zehn Prozent in 2024, sodass Niederkassel etwa 330 Flüchtlinge in diesem Jahr einkalkulieren muss. Die Verwaltung geht hingegen von einer höheren Zahl aus - doch wie dann kurzfristig Kapazitäten schaffen? Da in der Dreifachturnhalle der Realschule Mondorf rund 150 vorübergehende Plätze zur Verfügung stehen, sollte in den nächsten zwei Jahren prognostisch auf 250 Plätze aufgestockt werden.
In ihrem Fragenkatalog sprach die CDU-Fraktion die Diskrepanz in der vorgelegten Soll-Ist-Tabelle und die Nachverdichtungsmöglichkeiten an. Denn rein rechnerisch zeigt das Papier auf, das bei einer Bruttofläche von zehn Quadratmetern pro Flüchtling (inklusive Nebenflächen) noch 89 freie Plätze vorhanden wären. Doch in der Realität sei das nicht so einfach.
Bürgermeister Matthias Großgarten erklärte, dass man zum Beispiel ein angemietetes Gebäude, in der eine sechsköpfige Familie wohnt, nicht so ohne weiteres mit noch mehr Menschen belegen kann. Der Schnitt der Wohnung ist für sechs Betten vorgesehen, auch wenn die Quadratmeterzahl mehr hergibt. Summa summarum könne man nicht weitere sieben Leute in der Küche einquartieren. Zudem wohnen ebenso Personen hier, die ein Bleiberecht haben, sich ihnen aber aufgrund des Wohnungsmarktes keine andere Perspektive bietet. Unter sozialen oder gesundheitlichen Aspekten würde der Integration entgegengewirkt, wenn man etablierte Personen aus dem Umfeld reißt. Ferner fließe bei der Nachverdichtung mit ein, ob unnötige Konflikte entstehen und die Menschen kulturell und religiös zueinander passen.
Daher müssen schnelle Lösungen her, die der Bürgermeister bei einer ZUE allerdings anzweifelt, und sich mit der Verwaltung eher dagegen aussprach. „Das sind immense Großprojekte, bei denen der Zeitrahmen relevant ist“. Je höher außerdem die Anzahl an Flüchtlingen sei, desto größer die Wahrscheinlichkeit der Realisierung. Für eine eventuelle Ansiedelung käme da nur die landwirtschaftliche Fläche unterhalb des Südfriedhofs in Rheidt in Frage. In der ZUE könnten 300 bis maximal 500 Flüchtlinge untergebracht und versorgt werden, die dort schließlich für drei bis 16 Monate im Durchschnitt bleiben, bevor eine Verteilung auf andere Kommunen stattfindet.
Für die Stadt stellt das eine immense Ersparnis dar, da das Land alle Kosten übernimmt. Auch die Entlastung der KiTas und Schulen ist dann gegeben, weil die Flüchtlingskinder ja nicht schulpflichtig seien und in der Einrichtung unterrichtet würden.
Für die Grünen in Niederkassel ist jedoch dieser Aspekt nicht nachvollziehbar. Aufgrund der Erfahrungen durch die Corona-Pandemie wisse man, wie sich der fehlende soziale Kontakt auf Kinder auswirke. Dass hier nur über Kosten nachgedacht werde und die Menschen wie ein „Stück Fleisch“ hin und her geschoben würden, ist für die Grünen untragbar.
Für den Bürgermeister bildet obendrein die Unsicherheit in der Anrechnungsquote ein Argument gegen die ZUE. Denn das Land legt in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag die geltende Quote von 100 Prozent definitiv nicht fest. „Es kann jederzeit sein, dass in den kommenden Jahren das gesetzlich geändert wird. Und eine ZUE ist auf etwa zehn Jahre ausgerichtet, auch wenn weniger Flüchtlinge kommen“. Nach dieser Laufzeit bietet sich für die Stadt die Option, die Immobilie zu übernehmen oder zurückzubauen. Doch die Errichtung nähme gleichermaßen Einfluss auf die geplanten Entwicklungen in diesem Bereich. Außerdem hätte man auf einen Schlag 500 Flüchtlinge mehr in der Stadt.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass das erträglich wäre. Ich bin nicht böse, wenn die ZUE nicht zum Zuge käme“, erläuterte SPD-Ratsmitglied Friedrich Reusch. Eine Container-Lösung, die bis zu 200 Personen umfasst, brachten die Verantwortlichen dann ebenfalls zur Sprache. Hier wurden neun Varianten von Standorten geprüft, von denen letztendlich drei übrigblieben. Die beiden Varianten im Areal des Südfriedhofs bevorzugte die Mehrheit eindeutig, da die Möglichkeiten im Gewerbegebiet Mondorf der dringend benötigten Entwicklung von Gewerbeflächen entgegenstehen.
Doch ganz gleich, ob das Resultat eine ZUE oder eine kurzfristige Unterkunft ist, aus den Reihen der Bevölkerung kamen bereits in der Fragestunde erhebliche Zweifel zutage. Eine Niederkasselerin machte den Rat darauf aufmerksam, dass der Friedhof ein Ort der Stille und des Gedenkens sei, den es zu respektieren gelte. Darüber hinaus hätten die Bürger im Dunkeln jetzt schon Angst, auf den Friedhof zu gehen. „Wissen Sie überhaupt, was da los ist?“ Eine Ansiedelung von Flüchtlingen in dem Sektor würde das sicherlich verstärken.
Der Rat beschloss, trotz Gegenstimmen der Grünen und Enthaltung der Linken, die Alternative einer ZUE zu prüfen und den Bereich am Südfriedhof nicht auszuklammern. Den Beschluss zu den Varianten der kurzfristigen Unterbringung wurde in die nächste Ratssitzung im April vertagt. Dann braucht man jedoch eine klare Entscheidung.
Freie/r Redaktionsmitarbeiter/in:Dirk Woiciech aus Siegburg |
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