Holocaust-Überlebende
Karola Adami hoch betagt verstorben
Much/Niederkassel. Mitte Dezember 2022 verstarb in Much, wo sie seit 15 Jahren in der Nähe ihrer Tochter wohnte, Karola Adami, geborene Stern. Zuvor hatte sie 80 Jahre in Niederkassel-Rheidt gelebt. Dort war sie unter anderem Mitglied des Kirchenchors und der katholischen Frauengemeinschaft. Letzterer blieb sie auch in Much treu, an ihrem Lebensende war sie mehr als 74 Jahre Mitglied in der KFD.
Karola Adami war eine (meist) lebenslustige Frau mit starkem Willen, die sich für Musik und Theater interessierte und gerne reiste. Halt suchte sie bei ihrer Familie, ihrem vor mehr als 30 Jahren verstorbenen Ehemann Martin und ihren Töchtern. Doch so harmonisch, wie sie es sich erträumte, gelang das Familienleben nicht. Dies verhinderte die schwere Last auf ihren Schultern, die sie seit ihren Jugendjahren bedrückte.
Karolas ledige Mutter hatte ihre Tochter mitsamt Geburtsurkunde vor dem Waisenhaus in Köln – Sülz abgelegt. Von dort kam Karola zur Familie Pütz in der Oberstraße in Rheidt. Es war ein Glückstreffer für sie, denn sie wurde von ihrer Pflegefamilie liebevoll aufgenommen und im katholischen Glauben erzogen. Gern und lerninteressiert besuchte sie die katholische Volksschule im Ort – bis 1938. Im 7. Schuljahr nahm genau dort das Unheil seinen Lauf, denn es sollte ein Familienstammbaum erstellt werden. Diesen sorgfältig erstellten Stammbaum der Familie Pütz, den das Mädchen mit Nachnamen Stern erarbeitet hatte, nahm der Klassenlehrer zum Anlass für einige Nachforschungen. Schließlich handelte es sich bei Stern um einen bei jüdischen Familien häufiger anzutreffenden Nachnamen. Und tatsächlich: die leibliche Mutter war Jüdin und außerdem glaubten die Behörden zu wissen, dass auch der Vater Jude sein müsste. Nach der menschenverachtenden Rassenideologie des nationalsozialistischen Systems bedeutete das: das katholische Schulkind Karola musste „Volljüdin“ sein, der Schulbesuch war auf der Stelle und ohne Schulabschluss zu Ende und die Zukunft äußerst unsicher.
Bemühungen der weiterhin zu ihr stehenden Pflegefamilie und deren Kontakte in Rheidt sorgten für vorläufige, wenn auch angespannte Ruhe. Doch 1944 folgte eine Einweisung der jungen Karola in das Deportationslager für die jüdische Bevölkerung in Köln-Müngersdorf. Später gelang eine Flucht – aber wo sollte sie jetzt bleiben? In Leverkusen fand sie für einige Wochen Unterschlupf bei der Familie einer Schulfreundin, kehrte dann nach Rheidt zurück. Doch hier, wo jeder jeden kannte, war ein längerer Aufenthalt zu gefährlich. Sie ergriff die Gelegenheit beim Schopf und fuhr mit, als eine Bekannte zu ihrem Mann nach Schlesien fuhr, der sich dort im Lazarett befand. Die angeblich zuhause ausgebombte junge Frau, die zudem alle Papiere durch Brand verloren haben wollte, fand dort Arbeit ausgerechnet beim männlichen Reichsarbeitsdienst und floh dann mit dessen Leuten vor der vorrückenden Roten Armee – immer in der Sorge enttarnt und anschließend getötet zu werden. Ende Mai 1945 war sie in Rheidt zurück.
An ihr Schicksal erinnert ein Stolperstein für Karola Stern, den der Künstler Gunter Demnig im Herbst 2019 vor dem ehemaligen Haus der Familie Pütz in der Oberstraße 15 (heute befindet sich dort das Gebäude mit der Sparkassenfiliale) verlegt hat. Sie war dabei und hat sich gefreut.
Wer ihre Leidensgeschichte ausführlicher nachlesen möchte, findet sie im Niederkasseler Heft 6, S. 169-173. Auch hier zeigt sich ihre Narbe: der Veröffentlichung wollte sie vor fast 25 Jahren nur zustimmen, wenn persönliche Angaben anonymisiert würden.
Quelle: Georg Langen
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
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