„Vergesst uns nicht“
Ambulante Pflegedienste stehen vor besonderen Herausforderungen
Nippes - (rs) Anne Schlösser (Name von der Redaktion geändert) ist
Altenpflegerin. Sie arbeitet im Westen von Köln in der ambulanten
Pflege eines der großen Pflegedienste. Etwa 20 Kunden muss sie
täglich aufsuchen, sich um ihre Grundversorgung kümmern,
Diabetes-Patienten Spritzen geben, Wunden versorgen und sich darum
kümmern, dass sie auch alle verschriebenen Medikamente
ordnungsgemäß einnehmen. Oft komme es auch vor, dass sie bei einem
Notfall einen von ihr betreuten Kunden in ein Krankenhaus einweisen
lassen muss, sagt sie.
Gerade das könnte zunehmend schwieriger werden, denn in Bezug auf das
Corona-Virus gehören ihre Kunden zu der am höchsten gefährdeten
Bevölkerungsgruppe. Sie sind alt, und sie sind alles andere als
kerngesund. Was das bedeutet, das hat Anne Schlösser vor zwei Jahren
bei der großen Grippewelle, bei der mehr als 20.000 Menschen starben,
erfahren müssen. Die Krankenhäuser seien überfordert gewesen und
hätten Patienten oft zu früh wieder entlassen, um Betten frei zu
bekommen, erinnert sie sich. „Wenn sie wieder Zuhause waren, haben
wir oft gleich wieder den Notarzt rufen müssen.“ Sie habe damals
viel zu häufig erleben müssen, wie sich Krankheitsverläufe dadurch
verschärften und manchmal auch zum Tod ihrer Kunden geführt haben.
Anne Schlösser ist überzeugt, dass das hätte vermieden werden
können, wenn die Krankenhäuser besser auf die Grippewelle
eingestellt gewesen wären.
Auch mit den Maßnahmen, mit denen die jetzige Corona-Krise bekämpft
werden soll, ist Anne Schlösser nicht zufrieden. Ihr scheint, dass
nur an Quarantäne, Isolierung und Händewaschen gedacht wird. „Die
ambulanten Pflegedienste werden überhaupt nicht berücksichtigt“,
sagt sie. So gebe es zum Beispiel für sie nur Desinfektionsmittel und
Handschuhe, aber keine Schutzkleidung. Manche Kunden sehen in ihr
mittlerweile das größte Ansteckungs-Risiko. „Die wollen mich gar
nicht mehr hereinlassen aus Angst, von mir angesteckt zu werden“.
Schutzkleidung – so Anne Schlösser – könne leider erst dann
beantragt werden, wenn der Arzt dem Kunden bescheinigt hat, dass er
ansteckend ist. „Erst dann kommen die Krankenkassen auf die Idee,
dass wir Schutzkleidung benötigen. Auf die Idee, dass auch wir
Pflegekräfte ansteckend sein könnten, ist offenbar noch niemand
gekommen.“ Deshalb gebe es bei ihrem Pflegedienst auch keinen Vorrat
an solchen schützenden Dingen, die gerade jetzt so dringend benötig
würden.
Eine weitere Baustelle, über die nach Ansicht von Anne Schlösser
beim Krisen-Management noch niemand nachgedacht habe, seien die vielen
Demenz-Patienten unter ihren Kunden. Die würden überhaupt nichts vom
Corona-Virus und seiner Gefahr wissen, sagt sie, und kämen ja schon
nicht mehr klar, wenn im Supermarkt die Waren umsortiert worden sind.
„Die brauchen uns doch besonders dringend Was wird aus ihnen, wenn
wir sie nicht mehr betreuen können, weil wir infiziert wurden, und
was wird aus ihnen, wenn die Tagespflege geschlossen werden muss?“
Die ambulante Pflege müsse dringend mitgedacht werden beim
Krisenmanagement, damit es dann nicht wie in Italien zur Aussortierung
älterer kranker Menschen kommt, weil nicht jeder behandelt werden
kann.
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
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