"Wir sind doch noch so hongerich"
Das Archiv für Stadtgeschichte stellt Facetten dar
Nippes - (rs). 19 Geschichten beleuchten auf 100 Seiten, wie aus der kleinen
Gemeinde Nippes am Rande der großen Stadt Köln während der
Industrialisierung des 19. Jahrhunderts ein blühender Stadtteil
wurde. Herausgegeben hat das schmale Buch der Verein Archiv für
Stadtgeschichte Köln-Nippes. Es ist nach dem Stadtteilführer „Loss
mer jet durch Neppes jon“, den Beiträgen zur Nippeser Geschichte
mit dem Titel „Stände, Stempel, alte Steine“ und „...de Fahne
erus!“, Köln-Nippes im Nationalsozialismus bereits die vierte
Publikation des Vereins.
In „Facetten eines Kölner Stadtteils“, wird die Geschichte von
Nippes im 19. Jahrhundert beleuchtet. 1888 wurde die Bürgermeisterei
Longerich, zu der auch Nippes gehörte, eingemeindet. Zuvor waren
bereits etliche Fabriken in Nippes gegründet worden, beginnend 1839
mit dem Gussstahlwerk von Jacob Mayer am Wilhelmplatz. Es folgten 1850
die Auermühle, 1858 die Chemische Fabrik Vorster&Grüneberg und bald
darauf siedelten sich in Nippes auch die Clouth-Gummiwerke, die
Ammoniakfabrik Nippes, ein Vorläufer der Chemischen Fabrik Kalk, und
das Ausbesserungswerk der Bahn an.
„Das heutige Nippes liegt also zum großen Teil auf ehemaligem
Industriegelände“, sagte Walter Schulz, Gründungsmitglied des
Archivs für Stadtgeschichte und auch Autor eines Kapitels in der
neuen Publikation. Die industrielle Vergangenheit des Stadtteils,
dessen Name wohl von einem Gasthaus „om Nippes“, auf dem Hügel,
stammt, wird in der neuen Veröffentlichung des Vereins mit
Geschichten unter anderem über den Altenberger Hof, das
Eisenbahn-Ausbesserungswerk, die Auermühle und den Worringer Bahnhof
lebendig. Vorgestellt wurde das Buch jetzt in der Buchhandlung
Blücherstraße von Winfried Schumacher und Harald Niemann, die
Kapitel, die sie selbst verfasst haben, vorlasen.
Winfried Schumacher stellte den etwa 30 Zuhörern, die zur
Präsentation des Buches gekommen waren, auch Wilhelm Eich, den
letzten Bürgermeister der Gemeinde Nippes, vor. Er sei ein überaus
pflichteifriger Stadtbüttel gewesen, schreibt Schumacher, der ab und
an auch weit übers Ziel hinausgeschossen sei, wenn er zum Beispiel
eine Feier von Abgeordneten des Preußischen Landtags in der Flora
kurzerhand auflösen ließ, bevor diese sich am Buffet gütlich tun
konnten. „Herr Bürgermeister von Longerich, wir sind doch noch so
hongerich“, soll ein Abgeordneter damals gerufen haben. Vergebens,
der unbeugsame Bürgermeister schickte den Abgeordneten die Kavallerie
sogar bis nach Lahnstein hinterher, wo die Landtagsabgeordneten ihr
Fest doch noch feiern wollten. Dort kam die Jägerkompanie, die
Wilhelm Eich von Wiesbaden aus in Marsch gesetzt hatte, aber so spät
an, dass die Abgeordneten diesmal genügend Zeit hatten, sich satt zu
essen. Der Vorfall sei 1866 auch im Kölner Rosenmontagszug
aufgegriffen worden, erzählt Winfried Schumacher im neuen Buch des
Archivs für Stadtgeschichte.
Vermögen solche Geschichten aus der Vergangenheit auch das Herz eines
jeden Nippesers zu erwärmen, so sei er doch vermutlich weniger froh
über die Gegenwart, sagte Pit Hoff, Vorsitzender des Vereins. Denn in
den auf den ehemaligen Industriegeländen Ausbesserungswerk und
Clouth-Werken errichteten Wohnsiedlungen würden Einkaufsstätten und
Möglichkeiten des geselligen Miteinanders schmerzlich vermisst. Nicht
dass jemand aus diesem Grund den Verantwortlichen der Bebauungen
zuruft „Ach Herr Bürgermeister von Longerich, wir sind doch noch so
hongerich“, weil er sich dort nichts zu essen kaufen kann.
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
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