Die Welt im Ausnahmezustand
Das Tagebuch einer 15-jährigen - die ersten 30 Tage

Esther Nathan schreibt ihr eigenes Corona-Tagebuch. | Foto: privat / Esther Nathan
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  • Esther Nathan schreibt ihr eigenes Corona-Tagebuch.
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Köln - (sr) Das, was zur Zeit geschieht, hat noch niemand von uns erlebt.
Die 15-jährige Gymnasiastin Esther Nathan aus Köln-Nippes hat
begonnen, das, was passiert, in einem persönlichen Tagebuch
festzuhalten. Ihre ersten Aufzeichnungen sandte sie der Redaktion, und
wir waren begeistert. Hier die ersten 30 Tage:

Corona Tag 30, Sonntag, 12.04.2020

Heute war Ostersonntag. Letztes Jahr war ich am Ostersonntag mit
meiner Cousine und unserer Oma draußen, und wir haben für sie
Ostersachen versteckt. Dieses Jahr ging das natürlich nicht. Bei
meiner Oma waren wir aber trotzdem. Allerdings saß sie wieder auf
ihrem Balkon und wir im Hof. Wir hatten Rhabarberkuchen und Kaffee
mit, ich habe Gitarre gespielt, und am Ende haben noch zwei
Nachbarinnen zugehört und es war echt schön. Das Wetter ist einfach
aber auch echt toll.
Allerdings ist Ostersonntag auch immer ein Tag für Familientreffen
und Spaziergänge. Dementsprechend hat die Polizei und das Ordnungsamt
auch echt viel kontrolliert in Köln. Aber nächstes Jahr wird es ja
hoffentlich wieder anders sein.

Corona Tag 29, Samstag, 11.04.2020

Woche vier ist vorbei. Die letzte Woche ging irgendwie total schnell
vorbei, wie die gesamte Zeit eigentlich. Ich dachte am Anfang, dass
sich die Zeit total in die Länge ziehen wird, aber mit einem halbwegs
geregeltem Tagesablauf, bei mir Sport, FFF oder Schulsachen und am
Abend noch etwas Serien schauen oder lesen, verging die Zeit total
schnell. Das liegt daran, dass man nichts wirklich Neues erlebt. Dann
vergeht die Zeit schneller.
Außerdem finde ich den Gedanken irgendwie komisch, in einer Woche
wieder Schule zu haben. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass
in einer Woche alles wieder so normal ist, dass die Schulen wieder auf
haben. Es ist etwas wie nach den Sommerferien und die Zeitspannen ist
ja auch ungefähr gleich.

Corona Tag 28, 10.04.2020

Heute möchte ich über unseren Eisladen schreiben. Er ist ein eher
kleinerer Eisladen ziemlich direkt bei uns vor der Tür, hat mit das
beste Eis der Stadt und ist nicht in den letzten Jahren immer teurer
geworden. Eine Kugel Eis kostet immer noch 80 Cent. Dieser Laden macht
immer im März nach der Winterpause auf, und es geht sofort mit vielen
Kunden los, dieses Mal war Corona. Aufgemacht hat der Laden natürlich
trotzdem. Am Anfang war es auch recht norma,l und die Menschen gehen
trotz des Virus dort Eis kaufen. Ich habe das etwas beobachtet, da ich
fast jeden Tag für eine Stunde draußen lesen gehe und dabei immer
auf den Bänken in der Nähe sitze. Vor ungefähr zwei Wochen hingen
an den Bänken Zettel, das man das Eis nicht auf den Bänken essen
darf, wegen Vorsichtsmaßnahmen. Die Menschen essen das Eis also
irgendwo da in der Nähe stehend. Heute war die Schlange, die sonst
auch schon immer sieben Meter aus dem Laden heraus geht, nochmal fast
doppelt so lang, aber alle hatten zwei Meter Abstand. Irgendwie finden
gerade alle Möglichkeiten, mit der Situation umzugehen.

Corona Tag 27, Donnerstag, 09.04.2020

Heute war es mit meiner Corona-Laune ähnlich wie gestern, nämlich
bei absolut keine Lust mehr. Wir hatten heute ein Orgatreffen von
Fridays for Future, natürlich übers Internet. Bei unseren
Vorstellungsrunden haben wir außer dem Namen auch immer noch eine
lustige Frage, dieses Mal, wie genervt auf einer Skala von 1-10 wir
von Corona sind. Ich war bei Stufe 5, weil ich zwar echt genervt von
Corona bin, aber andererseits gerade auch echt genervt von anderen
Sachen, wie der 24.04. Orga, sodass ich Corona etwas verdränge. Die
Antworten der anderen waren größtenteils bei 8, unter 6 war aber
nichts.

Corona Tag 26, Mittwoch, 08.04.2020

Heute ist bei mir der Tag gewesen, vor dem ich und wahrscheinlich auch
viele andere die ganzen letzten dreieinhalb Wochen Angst hatten, der
Zeitpunkt, an dem man wirklich absolut gar keine Lust mehr auf Corona
hat. Also natürlich, man hatte permanent keine Lust darauf, aber
heute war bei mir so etwas wir der Höhepunkt dieser Coronaphase bis
jetzt. Die letzten Tage ging es eigentlich ganz gut, aber heute wollte
ich die Coronakrise einfach nur hinter mir haben. Interessant ist
dabei, das mein persönliches Diagramm mit keine Lust auf Corona in
Abhängigkeit zur vergangenen Zeit nicht permanent ansteigt.
Stattdessen stieg die Kurve in den ersten Tagen irgendwie an, danach
sank sie an einem Tag irgendwie relativ tief, aber heute ging es dann
ganz hoch. Ich bin gespannt, wie es in den nächsten Tagen mit meinem
persönlichen Diagramm weitergeht.

Corona Tag 25, Dienstag, 07.04.2020

Ich habe nicht wirklich viel zu sagen über den heutigen Tag, deswegen
erzähle ich einfach irgendwas von heute. Das Wetter war wieder
unglaublich warm, es fühlt sich wirklich an wie Sommer. Als ich am
späten Nachmittag raus gegangen bin, war die Atmosphäre aber total
anders als an Sommertagen. Es waren Menschen draußen und es wurde
auch geredet, aber trotzdem wirkten die Straßen so leer. Es war wie
ein Schleier von Stille über der ganzen Stadt. Als ich am Park
vorbeigegangen bin, änderte sich das allerdings wieder etwas. Trotz
Corona sah es nicht so aus, als wären da weniger Menschen, auch wenn
es vielleicht nur Zweiergruppen waren.

Corona Tag 24, Montag, 06.04.2020

Heute war der erste richtig warme Tag dieses Jahr. Also natürlich war
das Wetter in den letzten Tagen auch schon echt toll, aber heute war
es schon eher Frühsommer als Frühling. Die meisten trugen kurze
Kleidung und den anderen war vermutlich zu warm. In den letzten drei
Wochen ging der Wetterumschwung von noch kalt und verregnet zu sonnig
und warm echt schnell. Es kam zumindest mir deutlich schneller vor als
letztes Jahr. Das kann aber auch daran liegen, dass ich in den letzten
Wochen nicht mein alltägliches Leben draußen geführt habe wie
sonst, sondern nur mal spazieren war, und deshalb die
Wetterveränderung nicht so mitbekommen habe.

Corona Tag 23, Sonntag, 05.04.2020

Gestern war der erste Tag der Osterferien. Trotzdem fühlt es sich
überhaupt nicht so an. Die letzten drei Wochen haben schon etwas mit
einem gemacht. Man sieht die Welt und das Alltägliche total anders,
man schätzt es viel mehr.
Heute war das Wetters schön und natürlich ist es schade, nichts mit
Freunden machen zu können, aber die Tatsache, dass wir alleine noch
raus dürfen, macht einen irgendwie schon glücklich genug.
Vielleicht lernen wir aus dieser ganzen Krise ja noch etwas: Alles,
was wir haben, ist so bedeutend, und wir müssen versuchen, dass alle
Menschen und alle nachfolgenden Generationen auch so leben können.

Corona Tag 22, Samstag, 04.04.2020

Woche drei ist beendet. Fazit: Ich habe mittlerweile recht viel zu
tun, krisentechnisch hat keiner Ahnung davon, wie es nach den
Osterferien weitergeht, an die Situation hat man sich mittlerweile
gewöhnt. Das Wetter wird jetzt wieder auch schöner und wärmer. Das
ist zwar einerseits etwas deprimierend, weil man nicht mit Freunden
raus kann, aber andererseits verbessert es auch die allgemeine
Stimmung etwas und macht glücklicher.
Heute hatten mein Cousin und eine Freundin von mir Geburtstag. Die
beiden konnten nicht wirklich feiern, was schon echt blöd ist. Aber
ändern können wir es ja doch nicht.

Corona Tag 21, Freitag, 03.04.2020

Heute war der letzte Schultag vor den Osterferien. War, weil wir jetzt
keine neuen Aufgaben mehr kriegen. Wäre gewesen, weil die letzten
drei Wochen ja definitiv keine Schule gewesen ist.
Vor allem die Abiturienten tun mir leid. Diejenigen, die den letzten
Schultag ihres Lebens verbracht haben, ohne das zu wissen, weil die
Nachricht der Schulschließung erst um 14 Uhr kam. Ich hatte an dem
Tag bis 4 Uhr Schule und wir haben den Livestream der Pressekonferenz
dort noch geschaut. Aber Freitag Langtag zu haben, ist doch sehr
selten und wir sind auch der einzige Kurs unserer Schule, bei dem das
so ist. So viele Schüler haben ihren letzten Schultag also unbewusst
erlebt. Es sei denn, nach den Osterferien haben sie noch drei Wochen
Unterricht. Aber das weiß ja keiner so genau. Einen Vorteil hatte das
Ganze für uns noch nicht Abiturienten aber schon: Die Mottowoche fiel
aus. Das ist definitiv ein Gewinn, da man sich in der Mottowoche immer
über den Zaun am Hintereingang kletternd in die Schule begeben muss,
damit man nicht triefend nass von den Wasserpistolen im Unterricht
sitzt.

Corona Tag 20, Donnerstag, 02.04.2020

Heute ist schon Tag 20 zu Hause. Die letzten 20 Tage vergingen mit
einer Mischung aus Nichts zu tun haben und unnormal viel zu tun haben
doch recht schnell. Die nächsten 20 Tage werden bei mir wohl komplett
bei Zu viel zu tun haben sein.
Wie lange dieser Ausnahmezustand noch anhält, kann gerade irgendwie
keiner so genau sagen. Manche meinen, dass nach den Osterferien Schule
und anderes wieder normal weitergeht, andere denken, dass mindestens
bis zu den Sommerferien alles stillsteht. Ich selbst habe dazu keine
wirkliche Meinung. Aber wir können es letztendlich auch nicht wissen,
weshalb uns leider nur Abwarten bleibt.

Corona Tag 19, Mittwoch, 01.04.2020

Da man innerhalb der Familien ja glücklicherweise noch zusammen raus
darf, war ich gestern mit meinem Vater im Siebengebirge wandern.

Wir haben das früher immer voll oft gemacht, aber in den letzten
Jahren war nie Zeit dafür. So hat Corona doch irgendwie noch was
Positives, zumindest für mich. Auch wenn wir nicht die einzigen dort
waren, waren es doch deutlich weniger als sonst. Und die paar, die da
waren, achteten beim aneinander vorbei gehen immer auf den
Mindestabstand.
Außerdem war heute der 1. April. Dazu gab es, natürlich, auch
Aprilscherze über Corona. Ich persönlich fand diese etwas unpassend.

Corona Tag 18, Dienstag, 31.3.2020

Die Zeit des Nichts Zu Tun Habens ist für mich jetzt eher vorbei.
Nach sechs Stunden Telefonkonferenz mit Fridays for Future heute haben
wir alle jetzt so viele Aufgaben für den 24.4., dass diese einen
lange beschäftigen werden. Am 24.4 werden wir unseren eigentlichen
Großstreik mit Livestream ins Netz verlegen.
Außerdem ist morgen der 1. April. Ob der so lustig wird, ist eine
andere Frage. Aber ich denke, das der Tag morgen eine hervorragende
Gelegenheit ist, wieder etwas mehr Spaß in diesen Tagen zu haben.
Also sollten wir für morgen am besten alle noch kurzfristig einen
Aprilstreich planen. Die Soziale Kontakte Regel darf dabei natürlich
nicht vergessen werden.

Corona Tag 17, Montag, 30.03.2020

Ein Tag wie jeder andere. Schon wieder.

Corona Tag 16, Sonntag, 29.03.2020

Letzte Nacht war Zeitumstellung. Da blicke ich sowieso nie durch.
Jedes halbe Jahr überlege ich mir auf Grund des Länger Hell Bleibens
oder Früher Dunkel Werdens neu, ob wir jetzt früher oder später
haben und ob die Zeit somit vor- oder zurückgestellt wurde. Wenn ich
mit meinen Überlegungen aber an diesem Punkt angekommen bin, weiß
ich nicht mehr, welche Auswirkungen das jetzt warum hat und muss neu
überlegen. Spätestens dann habe ich aber keine Lust mehr und frage
einfach jemanden, der sich das besser merken kann. Heute habe ich, zu
Zeiten von Corona, aber mal zu Ende überlegt. Zum einen war es ein
guter Zeitvertreib, aber der eigentliche Punkt ist, ob es momentan
positive oder negative Auswirkungen sind. Und das muss man ja
bestimmen können.
Ich bin jeden Falls zu einem positiven Schluss gekommen, denn durch
das Vorstellen der Zeit heißt es eine Stunde weniger Zuhause bleiben,
und das bringt momentan ja echt Vorteile!

Corona Tag 15, Samstag, 28.03

Woche 2 vorbei, Woche 3 steht an.
Fazit zu Woche 2: Nichts mehr zu tun, die Tage sind gleich
unbedeutend, die Träume werden komischer, Schokolade wird immer
weniger und niemand hat mehr Lust auf die Krise.
Hoffnungen für Woche 3: Eigentlich keine. Selbst wenn die Maßnahmen
total gut anschlagen, werden sie sich frühestens nach den Osterferien
lockern. Insofern ist es ein Rennen gegen die Zeit: Wer hält es
länger aus: Der Virus oder wir?
Eine positive Sache ist aber, dass von diesen 5 Wochen bis zum Ende
der Osterferien schon 2 Wochen vorbei sind. Irgendwie scheint die Zeit
jetzt nicht mehr so lange. Montag würde die letzte Woche vor den
Osterferien sein.
Aber ich kann gar nicht einschätzen, ob nach den Osterferien wieder
Schule sein wird, ob die Maßnahmen dann gelockert werden.
Letztendlich ist das aber auch nicht unsere Aufgabe. Wir müssen nur
Verantwortung übernehmen für das, was wir tun.

Corona Tag 14, Freitag, 27.03.2020

Heute war erstmal nicht viel anders als sonst. Die Menschen sind ohne
jegliche Sozialkontakte zu Hause, alle streiten sich um die Maßnahmen
in Bezug auf Wirtschaft und Gesundheit. Es wird versucht zu helfen, ob
es ausreicht ist eine andere Frage. Keiner mag die Einschränkungen,
wie es weitergehen soll, sieht jeder anders. Soviel zu der politischen
Lage, nichts groß anderes als in den letzten Tagen auch.
Mein Tag war aber schon etwas anders als sonst. Wie sonst klingt…als
wäre es nicht erst seit zwei Wochen so, sondern etwas alltägliches.
Wobei, irgendwie fühlt es sich ja schon so an. Naja, egal.

Nach meinem täglichem Frühsport und dem draußen Lesen, sind mein
Vater und ich meine Oma besuchen gefahren. Und bevor jetzt alle
aufschreien wegen nicht Einhaltung des Schutzes der Risikogruppen kann
ich alle beruhigen. Wir hatten natürlich keinen Kontakt zu meiner
Oma. Die mitgebrachten Einkäufe stellten wir vor die Tür,
anschließend saß sie auf ihrem Balkon und wir waren in gebührendem
Abstand auf dem Hinterhof. So konnten wir uns unterhalten und sie mir
beim Gitarre spielen zu hören, ohne das jegliche Ansteckungsgefahr
existierte. Meine Oma hat sich total gefreut, die Nachbarin, die
zugehört hat, übrigens auch, und niemand wurde stärker gefährdet.
Außerdem war es auch mal eine schöne Abwechslung für uns.

Corona Tag 13, Donnerstag, 26.03.2020

Letztendlich ist heute nicht viel Besonderes passiert, der Tag war wie
die letzten Tage auch. Ich mache Sport und lese ziemlich viel, allein
in den letzten Tagen 600 Seiten. Sonst geschieht nicht viel, bei
keinem. Ich selbst habe auch definitiv keine Lust mehr auf diese
Einschränkung des Lebens und Bedeutungslosigkeit der Tage, aber was
sollen wir dagegen tun, außer sich immer wieder klar zu machen,
wofür diese Maßnahmen sind. Und eigentlich ist damit auch alles
über heute gesagt, denn an der Situation hat sich nicht viel
geändert, und wann eine Veränderung kommt, weiß keiner.

Corona Tag 12, Mittwoch, 25.03.2020

Es passiert nicht viel, was der Dokumentation wert ist. Die Krise geht
weiter, die Politik macht Hilfspakete. Menschen sind zu Hause, manche
finden es unnötig, manche verstehen es, doof finden es alle.
Letztendlich können wir aber nicht viel tun, außer uns an die
Maßnahmen zu halten. Insofern kann man auch versuchen, das beste
daraus zu machen. Ich habe heute zwei Stunden draußen in den Sonne
gesessen und gelesen. Absolut toll bei diesem Wetter und wegen einem
Mindestabstand von vier Metern auch kein Problem. Man muss nur
Beschäftigungen finden. Eine lustige Sache gibt es aber doch noch zu
berichten. Anscheinend ist Corona nicht nur ein Virus, sondern auch
momentan der sechst beliebteste Mädchenname für Neugeborene. Ob der
Name für Kinder aber so toll ist, bleibt zu bezweifeln.

Corona Tag 11, Dienstag, 24.04.2020

Tag: Wie die letzten 10. Laune: Gelangweilt. Motivation: Immer weniger
vorhanden.

Aber lasst uns trotzdem das Positive sehen. Stimmung: Könnte deutlich
schlechter sein. Virus: Nur in Ausnahmefällen tödlich. So schlecht
steht es um uns also gar nicht. Wir sind zu Hause bei unseren
Familien. Unser Gesundheitssystem ist vergleichsweise sehr gut. Wir
LEBEN noch, und wir werden auch lebend bleiben. Es gibt genug Methoden
zum Ablenken: lesen, Neues lernen, aufräumen. Auf letzteres schwört
mein Vater.

Der ist heute aber sowieso gut gelaunt. Er hat zum ersten Mal einen
You Tube Livestream durchgeführt! Einen You Tube Livestream. In
Zeiten von 2020! Okay, ganz so einfach war es echt nicht, da es mit
einem speziellen Programm war, das gerade jetzt in Zeiten von nicht
draußen treffen echt hilfreich ist, da man Live-Vorträge und
Interviews einfach ins Netz legt. Auf jeden Fall hoffe ich, dass seine
Motivation noch etwas anhält, weil ich nicht mehr viel habe, genau
wie auch mein Schokoladenvorrat schon echt beunruhigend geschrumpft
ist. (Und jetzt geht es meinem an den Kragen - Papa)

Corona Tag 10, Montag, 23.03.2020

Heute Nacht habe ich einen Krimi geträumt. Aber es waren nicht nur
Ausschnitte, sondern ein kompletter komplexer Krimi. Ob das im
Zusammenhang mit der aktuellen Krise steht…wer weiß. Da mein Gehirn
dementsprechend keine Ruhe hatte, habe ich auch eher schlecht
geschlafen. Ansonsten gab es heute nicht viel erwähnenswertes. Die
Tage sind einfach gleich. Es passiert nicht viel, was nicht auch vor
drei Tagen passiert ist und in drei Tagen passieren wird. Corona geht
weiter, die Straßen sind verlassen. Nur morgens um 7 ist Rushhour der
Toilettenpapierkäufer und auch der einzige Zeitpunkt am Tag, an dem
es noch irgendwie möglich ist, an Toilettenpapier zu kommen. Mein
Vater sagt, ich soll über lustigere Sachen schreiben. Allerdings ist
das nicht so einfach, weil eben momentan nicht viel lustiges passiert.
Natürlich, es ist jetzt auch nicht total schlimm und lustlos, aber
viel besonderes, über das man schreiben kann, gibt es halt auch
nicht. Hier ist also eine Zusammenfassung der lustigsten Sachen der
letzten drei Tage:

1. irgendwelche Videos über Quarantäne, die in Langweile entstehen,
und in denen irgendwelche Menschen zum Beispiel in ihrer Wohnung auf
einem Skateboard so tun als würden sie schwimmen. Definitiv eine
lustige und unterhaltsame Sache. 2. Mein Vater der mein
Meerschweinchen als eiserne Notration bezeichnet. Kein Kommentar dazu.
Und 3. der Toilettenpapierrechner aus dem Netz, der gestern bereits
erwähnt wurde. 

Corona Tag 9, Sonntag, 22.03.2020

Ich habe nicht mehr viel zu tun, da alle Schulaufgaben, die ich bis
jetzt bekommen hatte, fertig sind. Daraus folgen Telefonate und aus
dem Fenster schauen. Dabei zeigen sich die Auswirkungen von Corona nun
deutlicher und deutlicher.

# bild

Die Straßen sind trotz des guten Wetters die meiste Zeit verlassen,
auch in anderen Wohnungen sieht man Menschen Gymnastik machen.
Eigentlich sieht man nur Arme, die ab und zu auftauchen und sich dann
bewegen. Der Himmel ist endlich mal strahlend blau, am ganzen Tag habe
ich nur zwei Flugzeuge gesehen. Schade nur, dass man das jetzt nicht
zum Rausgehen nutzen kann. Bei uns zu Hause wurden die ersten
Schokoladenvorräte angebrochen. Allerdings ist das nicht so schlimm,
weil mein Vater heute beim Aufräumen Marzipan gefunden hat. Wie ein
Zeichen des Schicksals: Gebt bloß nicht auf!
Gegen 18 Uhr kommen die Meldungen, auf die wir alle gewartet haben: Es
gibt zwar keine direkte Ausgangssperre, allerdings darf man sich auch
nicht mit Menschen außerhalb der Familie treffen. Die Strafen bei
Vergehen sind hoch. Eine halbe Stunde nach der Pressekonferenz gibt es
dann die Nachricht, das Merkels Arzt Corona hat und sie sich jetzt
auch in Quarantäne begibt.
Absolutes Highlight heute war aber noch etwas anders. Im Internet
findet man einen Toilettenpapierrechner, der dir mit verschiedenen
Informationen ausrechnet, wie viel Toilettenpapier man in dem
nächsten Monat benötigt. Ich brauche alleine anscheinend 9 Rollen,
mal sehen, wo ich die herkriege.

Corona Tag 8, Samstag, 21.03.2020

Die zweite Woche steht an, die erste ist vorbei. Fazit von eine Woche
Corona, eine Woche Ausnahmezustand, eine Woche Leben mal ganz anders:
Tage sind gleich unbedeutend, man vermisst soziale Kontakte.
Vermutlich werden Fazit von Woche zwei und drei ähnlich aussehen, nur
dass dann noch Sachen wie Familienkriege und pure Verzweiflung dazu
kommen. Ob das ernst oder ironisch gemeint ist…naja, dem bin ich mir
selbst noch nicht so sicher. Mein Vater schaut gerade Nachrichten und
ich schnappe nur einzelne Sätze auf. „Ich halte Abstand“ und
„Das ist nicht Berlin“. Anschließend geht es um die Wirtschaft in
Bezug auf, ja klar, Corona. Corona, auch bekannt als Covid-19, auch
bekannt als Topthema und wahrscheinlich bald auch bekannt als Twitter
Trend Nummer eins!

Und jetzt kann ich nur noch eins sagen: Auf geht's in Woche 2.

Corona Tag 7, Freitag, 20.03.2020

Die zwei entscheidenden Fragen der nächsten Tage: Ausgangssperre? Und
wenn ja, wie lange?
Vor einer Woche war das Ziel, eine Ausgangssperre zu vermeiden. Jetzt
ist es nicht unwahrscheinlich, dass es doch eine geben wird. Warum?
Viele halten sich nicht an die Empfehlungen, die der Situation
angemessen sind. Es will ja auch keiner. Es wird Sommer. Aber trotzdem
ist die Situation leider eine andere. Und eine Ausgangssperre macht
die Zeit natürlich nicht leichter. Vor allem, wenn sie lange
andauert.
Es gibt die ersten Rundnachrichten, die sagen, dass man Samstag nicht
mit Handy raus gehen soll, weil so gemessen wird, wer draußen ist,
und anhand dieser Daten eine Entscheidung getroffen werden soll. Ob es
Verschwörungstheorie oder Wahrheit ist? Keine Ahnung. Letztendlich
haben wir, wie so oft in dieser Zeit, keine andere Möglichkeit, als
auf die Entscheidung zu warten.

Corona Tag 6, Donnerstag, 19.03.2020

Über meinen Tag an sich muss ich nicht viel schreiben. Es ist
ziemlich genau wie gestern. Deswegen möchte ich noch von der
(mittlerweile täglichen!!!!!!) Klatschaktion erzählen. Auch wenn es
irgendwie nicht besonders scheint, ist es das doch. Zumindest für
mich. Ich habe mich vor allem in den letzten 9 Monaten bei Fridays for
Future in Bezug auf die Klimakrise intensiv mit der Gesellschaft und
ihrer Ignoranz auseinander gesetzt. Auch in der momentanen Krise zeigt
sich durch Hamsterkäufe und weitergeführte starke soziale Kontakte
erneut unsolidarisches Verhalten.
Aber diese Aktion zeigt irgendwie noch Hoffnung in dieser oft so
kaputt scheinenden Welt. Als ich vorgestern um fünf vor neun am
Fenster stand, dachte ich nicht, dass diese Aktion überhaupt
funktioniert. Aber das hat sie. Mit wirklich vielen Menschen. Es war
ein Dankeschön dieser meistens ignoranten Gesellschaft, und damit
auch ein Hoffnungsschimmer. Hoffnung für diese Zeit, und vor allem
Hoffnung für die Gesellschaft.

Corona Tag 5, Mittwoch, 18.03.2020

Ich wache um 7:30 Uhr von meinem Wecker auf. Ich möchte Laufen gehen,
da ich momentan nicht anderweitig für meinen Sport, Wasserball,
trainieren kann. Um 8 Uhr laufe ich dann los Richtung Rhein. Und das
frühe Aufstehen hat sich gelohnt. Die Luft ist angenehm frisch, die
Sonne vor noch nicht allzu langer Zeit aufgegangen, und die paar
Menschen, die schon draußen sind, sind alle entspannt. Kurz: Ein
schöner Frühlingsmorgen und eine Energiequelle für die nächste
Zeit. Rausgehen mit Freunden, wie man es sonst im Frühling macht,
geht gerade ja nicht so gut.

Wieder zu Hause geht der Tag dann mit Schulaufgaben weiter. Irgendwie
ist es hart. Schon nach fünf Tagen fühlt es sich so an, als wäre
der einzelne Tag irgendwie bedeutungslos. Über WhatsApp halten wir
Kontakt mit Freunden, gefallen tun die Maßnahmen keinem. Auch unser
Fridays for Future Orgatreffen fand heute schon übers Internet statt.
Positiver Aspekt: Auch heute um 21 Uhr ist wieder die Klatschaktion.

Und sonst gilt: Durchhalten!

Corona Tag 4, Dienstag, 17.03.2020

Heute morgen war ich zum ersten Mal seit längerem mal wieder
einkaufen und es war schon etwas erschreckend und schockierend. Keine
Nudeln und Toilettenpapier weit und breit. Ich kaufe drei Tafeln
Schokolade und eine Packung Kinderriegel, ich bin echt süchtig nach
dem Zeug, und verstecke sie für die ganz schlimmen Tage hinten im
Schrank. Anschließend bearbeite ich die gesamten Englischaufgaben
für die nächsten fünf Wochen. Sogar die Spülmaschine räume ich
freiwillig aus. Meine Vermutung ist, dass nach fünf Wochen
Ausgangssperre um so alltägliche Sachen gestritten wird. Aber nicht,
weil es keiner machen will, sondern weil alle eine Beschäftigung
brauchen. Am Abend gab es dann noch das erste positive Erlebnis mit
der Corona Krise. Um 21 Uhr standen viele Menschen überall in Köln
am Fenster und haben für die Menschen applaudiert, die gerade noch
alles zusammenhalten. Wie der Applaus durch die Straßen ging, war
echt schön.

Corona Tag 3, Montag, 16.03.2020

Das Wetter wird schöner und schöner und die Angst vor der
Ausgangssperre wird größer. Anstatt den Frühling eventuell draußen
verbringen zu können, werden wir wahrscheinlich zu Hause sitzen.

Ich war heute morgen noch das letzte Mal für wahrscheinlich längere
Zeit in der Schule und habe eine Englischklausur geschrieben, damit
wir nach den Osterferien nicht so viel nachschreiben müssen. Wobei
ich noch nicht so richtig daran glaube, dass die Schule nach den
Osterferien und somit eigentlich noch vor dem ausgerechneten Corona
Höhepunkt wieder aufmacht. Wir werden sehen. Ich habe heute auch
erste Aufgaben von der Schule bekommen und mich sogar darüber
gefreut. Endlich was zu tun. Abends habe ich wieder lange telefoniert.

Corona Tag 2, Sonntag, 15.03.2020

Der Gedanke daran, die nächsten Wochen zu Hause zu verbringen, macht
uns jetzt schon verrückt. Alle fürchten sich vor der Ausgangssperre,
die aber höchst wahrscheinlich kommen wird. Ich beginne, abends lange
zu telefonieren. Als erste Maßnahme zum Überleben der langen Corona
Krise lösche ich Instagram. Ja, ich weiß, es scheint komisch, aber
was zwar erstmal zur Bewältigung von Langweile dient, wird auf Dauer
echt anstrengend. Ich bereue meine Entscheidung nicht!

Corona Tag 1, Samstag, 14.03.2020

Jetzt ist es offiziell soweit: Corona ist in Deutschland angekommen.
Was im Dezember noch keiner kannte, im Januar nur irgendein Virus in
China war, der gefühlt keinen interessiert hat, weil es total weit
weg schien, im Februar dann schon bedrohender wurde, viele Angst davor
hatten, vereinzelt Fälle in Deutschland auftraten und die ersten
Hamsterkäufe getätigt wurden, ist jetzt schlicht und ergreifend auch
in den letzten Köpfen angekommen. Gestern kam die Meldung, dass die
Schulen schließen, und damit ist auch der Startschuss für dieses
Logbuch gefallen. Wer weiß schon, ob das hier nur eine lustige
„Geschichte“ und Erinnerung für uns selbst sein wird oder eine
sehr wichtige historische Quelle über den Fast Untergang der
Menschheit.

Hier geht es zu Teil
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Redakteur/in:

RAG - Redaktion

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