Wie die Stasi das Internet erfand
Liebold veröffentlicht erste von sieben Novellen

Norman Liebold beschreibt in seiner Novelle „Patentsache“ die totale Überwachung der Menschen durch das Internet. Bei seiner Lesung wurde er vom „Rabenkrächzer“ Reinhold Roller begleitet. | Foto: Schriefer
  • Norman Liebold beschreibt in seiner Novelle „Patentsache“ die totale Überwachung der Menschen durch das Internet. Bei seiner Lesung wurde er vom „Rabenkrächzer“ Reinhold Roller begleitet.
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MAUENHEIM - (rs). 1984 leben wir in einer Gesellschaft, die von „Big
Brother“ total überwacht wird. So hat es der englische
Schriftsteller George Orwell in seinem 1949 erschienen Roman
dargestellt. Norman Liebold, deutscher aus Sachsen stammender und in
Köln lebender „Wortperformer“ - wie er sich selber bezeichnet -
hat die Orwellsche Vision in „Patentsache“ aufgegriffen. Es ist
die erste von sieben geplanten Novellen seines neuen Buches
„Grenzgänger“.

Liebolds „Big Brother“ ist ein Mitarbeiter des Ministeriums für
Staatssicherheit der ehemaligen DDR, der dem Staatsrat 1984 eine neue
Möglichkeit der totalen Überwachung vorgeschlagen hatte. „Die
Bürger machen das freiwillig und bezahlen noch dafür“ hatte er um
seine Erfindung geworben. Aber der Vorsitzende des Staatsrates war
skeptisch. „Wer verbringt schon freiwillig Stunden vor einem
piepsenden Gerät“, zweifelte er an der neuen Überwachungs-Methode.
Weil seiner Meinung nach kein gesunder und vernünftiger Mensch die
Wirklichkeit mit einem zweidimensionalen Bildschirm tauschen würde,
wurde die Erfindung abgelehnt. Die DDR blieb bei der Überwachung
seiner Bürger durch IM (Informelle Mitarbeiter). In Liebolds Novelle
taucht der ehemalige Informatiker der Staatssicherheit 2017 bei einem
Wirtschaftsjuristen in Köln auf, legt ihm zahlreiche Dokumente auf
den Tisch – darunter auch ein Patent, das ihn als Urheber des
Internets beglaubigt - und erwartet, von ihm im Streit über das
Urheberrecht vertreten zu werden. Die Dokumente überzeugen den
anfänglich skeptischen Juristen. Doch plötzlich, wie von Geistern
herbeigerufen, tauchen in Grau gekleidete Männer auf und nehmen die
Schriftstücke mit. Durch diese könnte nämlich eventuell bestätigt
werden, dass der ehemalige Stasi-Mitarbeiter tatsächlich der Urheber
des Internets gewesen ist und er deshalb Anspruch auf eine
Entschädigung in Milliardenhöhe hat. Woher die Männer in Grau wohl
gewusst haben, dass er sich mit dem Juristen getroffen hat? Der hatte
bloß vergessen, sein auf dem Sofa unter einer Decke liegendes
Notebook auszuschalten.
Liebold hat die Überwachung durch den DDR-Staat am eigenen Leib zu
spüren bekommen. Um einer Verfolgung aufgrund einer Denunziation zu
entgehen, war er 1989 im Alter von 13 Jahren über Ungarn nach
Westdeutschland geflohen. In Siegburg wurde er heimisch.
„Mittlerweile bin ich totaler Rheinländer“, sagt der gebürtige
Sachse. Seit 20 Jahren schreibt Liebold sozialkritische Prosa und
Fantasiegeschichten, die er meist auch selbst vorträgt. Im
vergangenen Jahr veröffentlichte er das Hörspiel „Navigator“, an
dem außer ihm auch Sprechern des WDRs mitwirkten. Die erste seiner
geplanten sieben Novellen für das Buch „Grenzgänger“ las Norman
Liebold am Vorabend der Veröffentlichung im Internet im
Klanghäuschen des Blumengeschäfts „Vier Raben“. Begleitet wurde
er dabei vom Liedermacher Reinhod Roller, dem „Rabenkrächzer“,
der eigens für diese Novelle das Lied „Schattenlicht“ geschrieben
hat. Bei seiner Lesung zeigte sich dann, was Liebold mit dem Begriff
„Wortperformer“ meint: Es ist jemand, der mit Worten umgehen kann,
sowohl den geschriebenen als auch den gesprochenen, denn sein Vortrag
zeigte einmal mehr, wie überaus facettenreich Sprache sein kann.
Die Novelle „Patentsache“ ist seit Anfang April auch auf seinem
Youtube-Kanal (Norman Liebold) zu hören. 

Redakteur/in:

RAG - Redaktion

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