Als Arzt auf der Corona-Station
Dr. Christoph Klein und Dr. Matthias Alex berichten

Verlegung eines Corona-Patienten. | Foto: Klinikum Oberberg (M. Alex)
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  • Verlegung eines Corona-Patienten.
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Region - „75 Prozent der Intensivstationen in deutschen Krankenhäusern
sind am Limit bei der Versorgung von COVID-19-Patienten“, meldete
die Tagesschau vor wenigen Tagen. Wie sieht die Situation im
Kreiskrankenhaus Gummersbach aus?

Dr. Christoph Klein, Oberarzt in der Klinik für Anästhesie und
Intensivmedizin, leitet die Intensivstation und berichtet mit Dr.
Matthias Alex, Assistenzarzt in der Klinik für Innere Medizin und
zurzeit im Einsatz auf der Intensivstation, über die Behandlung der
oberbergischen COVID-19-Patienten.

Die Mediziner schildern ihren Alltag, der zurzeit durch das Virus
bestimmt wird. Geben Sie uns ein paar Einblicke in Ihren
Corona-Alltag:

Wie viele COVID-19-Patienten versorgen Sie? Wie ist die
Altersstruktur? Wie der Impfstatus?

Dr. Matthias Alex: Auf unserer Intensivstation in
Gummersbach können wir zurzeit 13 Patienten versorgen. Zusätzlich
gibt es immer ein Notbett für akute Notfälle im Krankenhaus, etwa
eine Reanimation. Aktuell sind 50 bis 60 Prozent der Patienten auf der
Intensivstation an COVID-19 erkrankt. Die Patienten sind im Schnitt 60
bis 70 Jahre alt. Wir haben aber auch zunehmend jüngere Patienten um
die 40 Jahre. Der jüngste Patient war 29. Geimpfte Patienten sind
deutlich seltener schwer betroffen oder intensivpflichtig. Sollten
sie intensivpflichtig werden, liegen meist schwere Vorerkrankungen
wie eine Tumor- oder Autoimmunerkrankungen vor oder die Impfungen
liegen bereits länger zurück. Der Impfschutz hat also nachgelassen
oder konnte sich aufgrund der Vorerkrankungen oder der
diesbezüglichen Therapie nicht richtig aufbauen. Allerdings ist die
Gruppe der Geimpften aktuell nur ein sehr kleiner Teil gegenüber der
vorherrschenden Gruppe der Ungeimpften, die 90 bis 95 Prozent
ausmacht.

Wie ist der Krankheitsverlauf? Wie sieht die Behandlung von
COVID-19-Patienten aus?

Dr. Christoph Klein: Im Idealfall können die Patienten
stabilisiert werden und bei sich normalisierender Lungenfunktion
wieder auf die Normalstation entlassen werden. Leider sehen wir aber
auch immer wieder und  häufig schwere Verläufe, die mitunter ein
extrakorporales Lungenersatzverfahren benötigen und zu diesem dann in
spezialisierte Kliniken wie die Universitätskliniken oder die
Lungenklinik in Köln-Merheim verlegt werden. Leider ist dies aber
auch nicht für alle Patienten geeignet und eine schwerwiegende und
hochinvasive Therapie, deren Risiken nicht zu vernachlässigen sind.
Somit haben wir leider auch einen großen Anteil Patienten, die trotz
aller aufwendiger und invasiver Maßnahmen einen therapierefraktären
Verlauf nehmen und letztlich trotz aller Bemühungen versterben.

Wer ist neben den Ärzten an der Versorgung von COVID-19 Patienten
beteiligt?

Dr. Matthias Alex: Auf der Intensivstation arbeiten wir als
interdisziplinäres Team, um eine optimale Versorgung sicherzustellen.
Die Hauptrolle nimmt dabei ganz klar das Pflegepersonal ein. Diese
hoch spezialisierten und sehr erfahrenen Fachkräfte übernehmen die
Überwachung und notwendige Pflege, lagern den Patienten regelmäßig
inklusive der aufwendigen Bauchlagerung, verabreichen Medikamente und
greifen bei Alarmsignalen sofort ein. Der Arbeitsaufwand bei
COVID-19-Patienten ist im Vergleich zu anderen Krankheitsbildern
deutlich erhöht und geschieht zudem in voller Schutzkleidung.
Ergänzt wird das Team von Physiotherapeuten, Logopäden,
Reinigungskräften, Apothekern und vielen weiteren Berufsgruppen.

Wie geht es den Patienten, wenn sie die Infektion überstanden
haben? Kämpfen sie mit Langzeitfolgen?

Dr. Matthias Alex: Es gibt sich unmittelbar an den
Intensivaufenthalt anschließende Probleme wie die Entwöhnung vom
Beatmungsgerät. In schwierigen Fällen geschieht dies in
spezialisierten Weaning-Kliniken. Oftmals ist auch ein anschließender
Aufenthalt in einer Rehaklinik notwendig. Zudem leiden einige
Patienten am inzwischen gut belegtem Long-COVID. Dafür sind
Spezialambulanzen sowie Hausärzte die richtigen Ansprechpartner.

Wie erleben Sie die vierte Welle?

Dr. Christoph Klein: Wir erleben die vierte Welle mit
großer Sorge. Die Infektionszahlen gehen ungebrochen nach oben und
die Spitze der Welle ist nicht erreicht. Damit werden auch die Zahlen
der schweren Verläufe zunehmen, so dass zum ersten Mal ernsthaft die
Sorge vor einem Kollaps der Behandlungskapazitäten entsteht.
Möglicherweise reichen die ansonsten hohen Intensivkapazitäten
unseres Landes in diesem Winter nicht mehr aus. Dazu ist das Personal
fast am Ende seiner Kräfte und nach zwei Jahren Pandemie ausgelaugt
und müde. Alles in allem eine ungute Kombination, die uns sehr
beunruhigt.

Welchen besonderen Herausforderungen gibt es bei der Versorgung von
Corona-Patienten?

Dr. Matthias Alex: Auf einer Intensivstation geht es nie
ruhig zu. Aufgrund von kritisch-kranken Patienten herrscht immer ein
gewisses Stresslevel. Das Neue in der aktuellen Situation ist aber,
dass die meisten der schrecklichen Patientenschicksale vermeidbar
gewesen wären. Diese besondere emotionale und ethische Komponente
führt zwangsläufig zu Fragen wie: „Ist der Patient geimpft? Warum
hat er sich nicht impfen lassen? Sind wir der einkalkulierte
Notfallplan des Patienten? Wieso muss ich mich jetzt aktiv gefährden,
um diesem Menschen zu helfen? Warum muss aufgrund von
Kapazitätsmangels nun eine wichtige Operation verschoben oder ein
Patient über eine weite Strecke in ein anderes Krankenhaus verlegt
werden?“ Solche Fragen sind menschlich und nachvollziehbar, spielen
aber in der Versorgung des jeweiligen Patienten keine Rolle.

Eine weitere besondere Herausforderung ist das Gefühl, mit dem
„Rücken zur Wand“ zu stehen. Im Endstadium der Erkrankung lässt
sich die Lunge kaum noch beatmen. Das Beatmungsgerät arbeitet auf
Anschlag und es ist keine weitere kurative Therapieeskalation mehr
möglich.

Dr. Christoph Klein: Die Herausforderungen sind sowohl
körperlicher als auch psychischer Natur. Die Arbeiten an den teils
instabilen Patienten im Vollschutz sind körperlich sehr anstrengend,
so dass insbesondere das Pflegepersonal über die Maßen beansprucht
wird. Zudem kommt die psychische Ausnahmesituation: Wir sehen leider
viele Menschen, die bedauerlicherweise, da ungeimpft, schwerst krank
sind und die trotz aller Bemühungen einen schlechten Verlauf nehmen
und sterben. Die Hilflosigkeit, der man ohne spezifische Therapie
gegen das Virus ausgeliefert ist, zermürbt das Personal und fordert
über die Maßen. Hinzu kommt die Sorge vor einer weiteren Eskalation
der Situation und den fehlenden Kapazitäten oder gar einer
Triage-Situation. Das Personal wurde über die vergangenen zwei Jahre
extrem beansprucht. Eine Hilfe, Anerkennung oder ein Ausweg ist nicht
in Sicht.

Hinzu kommt das wachsende Unverständnis angesichts voller
Fußballstadien, ausufernder Partys und Karneval und die
Sorglosigkeit, Planlosigkeit und Trägheit, mit der wir wieder in die
nächste Welle schlittern. Es wird immer nur reagiert anstatt agiert.
Letztlich wird dies auf dem Rücken des Personals, insbesondere des
Pflegepersonals, ausgetragen. Es liegt an jedem einzelnen, sich und
damit die anderen unserer Gesellschaft zu schützen, indem man sich
impfen lässt, Kontakte reduziert und versucht die Verbreitung des
Virus einzudämmen.

Was können wir tun, um zum einen nicht selbst zu erkranken und zum
anderen für Entlastung in den Krankenhäusern zu sorgen?

Dr. Christoph Klein:Alles in allem bleibt von uns
nur der Appell an die Bevölkerung: Es ist mindestens schon Zwölf
oder vielleicht schon fünf nach Zwölf. Lassen Sie sich impfen und
reduzieren Sie Ihre Kontakte! Die Infektionsketten müssen
unterbrochen werden und die Verbreitung des Virus eingedämmt werden.
Es muss jetzt sofort gehandelt werden
.

Wie stehen Sie zum Thema generelle Impfpflicht?

Dr. Matthias Alex: Dies ist eher eine politische als eine
medizinische Frage. Grundsätzlich bin ich gegen solche Pflichten.
Menschen sollen frei entscheiden und aktiv auf der Basis von Fakten
und gegebenenfalls Vertrauen überzeugt handeln. Es ist schade, dass
aktuell eine solche Debatte überhaupt notwendig ist.

Mir als jemand, der täglich die furchtbaren Verläufe von COVID-19
sieht, mangelt es aber zunehmend an Verständnis. Zugleich endet für
mich die persönliche Freiheit da, wo die des anderen beginnt.
Patienten in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen sind dem
Personal zwangsläufig ausgesetzt. Daher finde ich eine
Impfnotwendigkeit zur Ausübung eines Berufes im medizinischen Sektor
begründet.

Jeden Tag extrem herausfordernde Situationen. Haben Sie eine Form
des Ausgleichs, des Abschaltens?

Dr. Matthias Alex: Das Krankenhaus hat am Eingang eine
leicht quietschende Schiebetür. Mit Hören dieses Geräusches beginnt
für mich der Arbeitstag. Zugleich endet er aber auch damit. Meine
Gedanken und Emotionen belasse ich somit auf Station und nehme sie
nicht mit nach Hause. Dies gelingt meist. Ich mache viel Sport, gehe
gerne Joggen, mache Musik und bin ehrenamtlich in unserer
Kirchengemeinde aktiv. Außerdem sind meine Familie und Freunde ein
wichtiger Ausgleich und eine Kraftquelle für mich.

Wir danken Dr. Christoph Klein und Dr. Matthias Alex, dass Sie
sich auch außerhalb Ihres Arbeitstages Zeit genommen haben, uns
wichtige Fragen rund um COVID-19 und den Corona-Alltag auf der
Intensivstation zu beantworten!

Redakteur/in:

RAG - Redaktion

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