Vortrag
Luther, die Juden und der Nationalsozialismus
Oberberg - In diesem Jahr jährt sich zum 500. Mal der Tag, an dem der
Kirchenreformator Martin Luther seine 95 Thesen an die Tür der
Schlosskirche zu Wittenberg anschlug.
Für die Bundesrepublik Anlass genug, mit einem Feiertag an dieses
Datum und die Auswirkungen auf die christliche Welt zu erinnern.
Anlass genug auch für die „Oberbergische Gesellschaft für
Christlich-Jüdische Zusammenarbeit", zu einem Abend einzuladen, der
sich mit dem Wirken Martin Luthers, gerade in Hinblick auf sein
Verhältnis zum jüdischen Volk befasste und unter dem Titel
„Luther, die Juden und der Nationalsozialismus" stand.
Der Vorsitzende der Gesellschaft, Wolfgang Birkholz, hatte dazu den
renommierten Kirchengeschichtler Professor Dr. Siegfried Hermle, der
am Institut für Evangelische Theologie an der Universität Köln
lehrt, eingeladen.
Im L&C-Saal der Halle 32 auf dem Gummersbacher Steinmüller-Gelände
hinterfragte Hermle differenziert das viel diskutierte Thema. Im
Mittelpunkt stand dabei die Schrift „Von den Juden und ihren
Lügen", die Luther 1543 veröffentlichte. Darin ruft Luther zur
Ächtung der Juden und deren Vertreibung auf.
„Erst wenn sie im Elend leben, werden sie sich dem rechten Glauben
öffnen" steht unter anderem dort zu lesen.
Ein Standpunkt, der von der Völkischen Bewegung und dann von den
braunen Machthabern im Dritten Reich aufgenommen wurde, konnten sie
doch so im Namen des Reformators ihre nationalsozialistische
Rassenpolitik betreiben. Dabei wurden allerdings weder die
historischen Gegebenheiten zu Zeiten Luthers berücksichtigt noch das
Gesamtwerk des Reformators herangezogen. Dies hätte ansonsten den
verheerenden Absichten der NSDAP entgegengestanden und wurde von der
Propaganda verschwiegen. So spannte man Luther vor den Karren des
Wahnsinns, der kein Halten mehr fand und von vielen Kirchenmännern
auch nicht angehalten wurde.
Luther in seiner Zeit begreifen
„Martin Luther muss man zunächst in seiner Zeit begreifen, als all
diejenigen, die sich nicht dem Christentum anschlossen, in Frage
gestellt und verteufelt wurden", so Professor Hermle. In späteren
Jahren hatte Luther dann die Hoffnung, die Juden zum „rechten"
Glauben bekehren zu können, „denn nur Gott kann richten", so der
Reformator. Erst als er hörte, dass die Juden ihrerseits zu ihrem
Glauben aufriefen, vertrat er die Meinung, nun die christliche
Gemeinschaft vor ihnen schützen zu müssen, da die Juden die Existenz
Gottes Sohn und der Jungfrau Maria verleugneten. „Erst wenn sie im
Elend leben, werden sie sich dem rechten Glauben öffnen" schrieb
Luther.
Später rief er allerdings zur Nächstenliebe auf, die Credo der
Botschaft Jesus Christus war. Dies ließen die Nationalsozialisten
geflissentlich beiseite, passte es doch nicht zu ihrer wahnwitzigen
Rassenpolitik.
Nur wenige, meist junge Theologen der Bekennenden Kirche wiesen auf
den Irrsinn hin und wagten, gegen Pamphlete wie „Jude ist Jude und
will die Welt zerstören", ihre Stimme öffentlich zu erheben.
Als dann die Kirchenoberen davon sprachen, dass sie mit „Scham und
Schmerz erfüllt seien" und letztendlich die Botschaft der Bibel über
allem, auch über Luther, stehe, war es zu spät, den Holocaust zu
verhindern, zu sicher saßen die Braunhemden im Sattel der Macht.
„So stellten die aus dem Kontext gerissenen Worte Luther als
Judenhasser und nicht als Theologen dar", sagte Professor Siegfried
Hermle zum Abschluss seines Referates, dem sich eine lebhafte Frage-
und Antwortrunde in der Halle 32 anschloss.
- Gunter Hübner
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
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