"Es war nicht nur Kristall, das barst"
Vortrag zum Novemberpogrom 1938
Gummersbach - Fensterscheiben bersten, Geschäfte werden geplündert, Synagogen
brennen, Menschen werden geschunden, verhaftet, ermordet. Der braune
Nazi-Mob zieht in der Herbstnacht vom 9. auf den 10. November 1938 in
zerstörerischer Raserei durch die Straßen des Deutschen Reiches.
Auch in Oberberg. Das Land erfährt den Beginn einer Apokalypse, die
das Ende des Rechtsstaates bedeutet und den Auftakt zur Vernichtung
des europäischen Judentums signalisiert.
Die Ereignisse von 1938 und waren Anlass für die Oberbergische
Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit und das
katholische Bildungswerk Oberberg, in die Halle 32 in Gummersbach
einzuladen und zurück zu schauen. Dies tat eindrucksvoll Dr. Ludger
Heid, der zu diesem erbärmlichen Geschehen, das bis heute unter dem
verbrämenden Begriff „Reichskristallnacht“ gegenwärtig ist,
referierte. Der renommierte Historiker, Literaturwissenschaftlicher
und Publizist ging in seinem fundierten Vortrag auf Hintergründe und
Auswirkungen dieses monströsen Pogroms ein, der einen Wendepunkt in
der blutigen Dynamik der NS-Gewaltherrschaft bedeutete. Tausende von
Häusern, hunderte von Synagogen und über 20.000 jüdische Mitbürger
waren den Ausschreitungen der Schergen der Nazidiktatur in dieser
Novembernacht hilflos ausgeliefert.
In der NS-Propaganda wurde sie als Ausdruck des „Volkszorns“
hämisch bemäntelt. Diese Nacht markierte den Übergang von einer
bereits begonnenen sozialen Ausgrenzung und Diskriminierung, zur
offenen Verfolgung der Juden. Dieser Antisemitismus steigerte sich in
noch unvorstellbareres Grauen, der im Völkermord endete. In seinem
Vortrag bezog sich Dr. Ludger Heid nicht nur auf erhaltene Dokumente,
die das grauenvolle Szenario festhalten, sondern gerade auch auf
Aussagen von Zeitzeugen, die die Situation im damaligen Reich
plastisch schildern.
„Die Pogromnacht war die Hölle, dann kam das Inferno und nur wenige
schauten hin“, so Dr. Ludger Heid. „Weder das christlich geprägte
deutsche Volk, noch die kirchlichen, oder zu diesem Zeitpunkt noch
existenten staatlichen Stellen, ergriffen das Wort für ihre
jüdischen Mitbürger. Auch die Welt ringsum stellte sich taub und
stumm“, so Dr. Ludger Heid. So konnte Hitler die Judenverfolgung
sogar in Verordnungen und Erlassen „festschreiben“ und
„legalisieren“.
„Der Schutz des Staates existierte nicht mehr und ein ganzes Volk
wurde zum Attentäter“, legte Dr. Ludger Held den Finger auf die
Wunde. Es gab zwar Einzelne, oder kleine Gruppierungen die nicht
tatenlos zuschauen wollten, aber sie wurden schnell mundtot gemacht.
„Die Masse war lethargisch“, so die Ansicht des Historikers. Die
Fassade war entblößt und die hässliche Fratze der Nazidiktatur
zeigte sich in allen Bereichen, auf allen Ebenen und bis in den
letzten Winkel des Reichs. Der beschworene Humanismus und die Zeit der
Aufklärung wurden zu Fremdwörtern.
„Wir können die Vergangenheit nicht ändern, aber wir sollten sie
uns stets vergegenwärtigen, denn Pogrom ist leider auch heute kein
Fremdwort, wenn man in die Welt und ins eigene Land schaut“, so das
warnende Fazit des hinterfragenden Vortrags, dem die Zuhörer in gut
gefüllten Saal mit Beklommenheit folgten.
Diese Beklommenheit erfasste wohl auch die Schüler des Gummersbacher
Lindengymnasiums, bei denen Dr. Ludger Heid ebenfalls zu Gast war und
denen er in seinem beeindruckendenReferat die ungeschminkte Wahrheit
nicht beschönigte, sondern in all ihrer unfassbaren Brutalität
schilderte.
- Gunter Hübner
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
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