Hüterin über sechs Kilometer Geschichte
Stadtarchiv-Leiterin John geht in Ruhestand
Opladen - Leverkusen habe keine Geschichte, wird immer wieder behauptet. Ein
Besuch bei Gabriele John im Stadtarchiv belegt das Gegenteil und
lässt die Vergangenheit lebendig werden.
„Es ist ein Vorurteil, dass Industriestädte wie Leverkusen keine
Geschichte hätten“, stellt sie klar. „Leverkusen ist zwar durch
viele kommunale Neuordnungen entstanden, hat aber durchaus eine lange
Vorgeschichte aufzuweisen“, widerspricht sie dem Vorurteil.
Schließlich weiß sie es besser. Die 64-Jährige aus Bonn war
insgesamt 33 Jahre im Stadtarchiv am Landrat-Trimborn-Platz 1 in
Opladen tätig, die letzten 22 Jahre als Leiterin. Zum Jahresende
beginnt ihr Ruhestand. In Zukunft möchte Gabriele John mehr Zeit mit
ihrem Ehemann verbringen.
Für Gabriele John liegt der besondere Reiz darin, die historische
Entwicklung der Kommune konkret mit Alltagsgeschichte füllen zu
können, also zum Beispiel mit Wirtschafts- oder Schulgeschichte.
Nicht minder spannend sind in ihren Augen die örtliche Siedlungs- und
Architekturgeschichte sowie die Chronik der Stadterweiterungen.
„All das ist sehr facettenreich und fügt sich spannend zu einem
Ganzen in die Geschichte eines Gemeinwesens ein“, resümiert
Gabriele John. Hätte sie heute noch einmal die Wahl, sagt die
ausgebildete Lehrerin mit den Studienfächern Latein und Geschichte,
dann würde sie sofort eine Archivausbildung absolvieren und direkt
diesen Beruf ergreifen. Um dennoch gut gerüstet zu sein, besuchte sie
zahlreiche Lehrgänge in der Archivberatungsstelle des
Landschaftsverbandes Rheinland (LVR).
Das Stadtarchiv hat die Aufgabe, erläutert die Hüterin über sechs
Kilometer Geschichte – so viel Raum würde der gesamte Bestand
aneinandergereiht einnehmen – als Gedächtnis der Verwaltung zu
fungieren, Stadtgeschichte zu dokumentieren und in allen wichtigen
Facetten für Überlieferung zu sorgen. Das sei auch der Grund, warum
die Behörde so viele Dokumente aus privaten und unternehmerischen
Nachlässen aufbewahre.
Dazu zählen einige ganz besonders wertvolle Schätze wie zum Beispiel
Unterlagen aus dem Hause von Diergardt, dem früheren Schlossherrn von
Morsbroich. In einer speziellen Sammlung finden sich etwa
Einladungskarten mit vergoldetem Aufdruck und feingeschliffenem Text:
„Auf allerhöchsten Befehl Ihrer Königlichen Majestäten ladet der
unterzeichnende Ober, Hof- und Hausmarschall am 5. Februar 1863 zum
Ball im Königlichen Schloss“. Oder ein Briefumschlag mit Datum vom
27. Februar 1882, der ein Strumpfband mit Emblem von Königin Auguste
Viktoria von Preußen enthält.
An anderer Stelle gibt es Bauzeichnungen der ersten Maschinen, mit
denen Carl Leverkus, Namensgeber der Stadt Leverkusen, in der
ehemaligen chemischen Fabrik von 1834 bis 1996 Ultramarin synthetisch
herstellte. Und Zeichnungen aus dem Nachlass eines Lützenkirchener
Bürgers, der in Wermelskirchen die Kinder der Familie Leverkus
unterrichtete. Von ihm stammt unter anderem das Original einer
Straßenansicht aus Fettehenne von 1860.
Sie geht mit gemischten Gefühlen. „Anfangs war es nur ein Job“,
beschreibt sie im Rückblick. „Aber jetzt habe ich Leverkusen in
mein Herz geschlossen. Je länger ich hier bin, desto interessanter
finde ich alles.“ Die Arbeit habe ihr „immer sehr viel Freude
bereitet“, fasst sie zusammen. Viele nette und interessante Leute,
die sie im Laufe der Zeit kennenlernte, trugen dazu bei.
Vor ihrer Aufgabe im Stadtarchiv hatte sie keine Berührungspunkte mit
Leverkusen. Nur an ein Detail kann sie sich genau erinnern: „Immer,
wenn ich mit meinen Eltern vom Besuch der Großeltern im Münsterland
heimkehrte und das Bayer-Kreuz entdeckte, wusste ich, dass wir bald
wieder zu Hause sind.“
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
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