Chronicum Stommelens - Stommelner Chronik
Stommeln vor 300 Jahren
Der Bau- und Förderverein der kath. Pfarrgemeinde St. Martinus Stommeln beschreitet neue Wege: Er veröffentlicht eine im Pfarrarchiv handschriftlich überlieferte Chronik als gedrucktes Buch in lateinischer Sprache und deutscher Übersetzung: „Chronicon Stommelense – Stommelner Chronik 1706–1740“.
Pulheim-Stommeln (red). Verfasser ist der ehemalige Pfarrer Heinrich Glessen, der Jahr für Jahr festgehalten hat, was sich im Ort und in der Region Bemerkenswertes ereignet hat.
Die Bearbeitung des Buches übernahm der in Stommeln lebende Historiker Josef Wißkirchen. Er konnte bei seiner Arbeit an wichtige Vorarbeiten des 2022 verstorbenen Altphilologen der Universität Mannheim, Prof. Dr. Burkhart Cardauns, anknüpfen und fand auch die Unterstützung des Mittellateinischen Philologen Dr. Heinz Erich Stiene von der Kölner Universität.
Der Chronist Heinrich Glessen war ein vielseitig interessierter, gelehrter Mann, der in jungen Jahren bereits Vikar in der Stiftskirche St. Cäcilien in Köln wurde und als Professor an dem berühmten „Gymnasium Laurentianum“ in der Kölner Altstadt lehrte. 1706 kam er als Pfarrer nach Stommeln und blieb hier bis zu seinem Tod 1741. Er gehört zu den herausragenden Persönlichkeiten in der Geschichte des Ortes.
Glessen schreibt aus subjektiver Sicht und hält fest, was ihm persönlich wichtig erscheint. Aber er tut es als unmittelbarer Zeitzeuge, vielfach auch als Mitakteur und mit dem erkennbaren Bestreben, genau und wahrheitsgemäß zu berichten. Herausgekommen ist dabei ein breites Panorama des Lebens vor 300 Jahren in einem Bauerndorf wie Stommeln mit damals gut 700 Einwohnern. „In bisher unbekannter Anschaulichkeit lernen wir die sozialen Strukturen im Ort kennen, die geprägt waren durch extreme wirtschaftliche Ungleichheit und verbreitete Armut. Der ständige existentielle Überlebenskampf vieler führte wiederholt zu heftigen Unruhen im Ort.
Immer wieder versammelten sich die verheirateten Männer „an der Bauerbank“ im Freien unter einer Linde in der Nähe des damaligen Fronhofes, im Bereich des heutigen Bahnhofsgeländes, um Beschlüsse zu fassen zu den Vorschlägen der sieben Schöffen und drei Geschworenen, die eine Führungsrolle im Ort innehatten; aber immer wieder kam es nur zum Streit, manchmal auch zum Tumult, und ohne einen Beschluss ging man auseinander.
Vielfältig sind die Themen, die Glessen anspricht. Wir hören von der Übernutzung und zunehmenden Ruinierung des Stommelner Busches bei der Beschaffung von Bau- und Brennholz; vom gemeinsamen Torfstechen in den feuchten Gebieten des Bruches und des Waldes und der dadurch bewirkten Zerstörung wichtiger Weidegründe für das Vieh gerade der armen Leute. Viele Jahre lang kam es zu heftigen Fehden mit der Abtei Knechtsteden.
Der Leser erfährt von schlimmen Unwettern, von Überflutungen des Ortes und der Felder, von Feuersbrünsten, eiskalten und schneereichen Wintern und von Hungersnot. Zur Verarmung der ganzen Gemeinde trug nicht zuletzt die Ausbeutung durch durchziehende Truppenteile bei. Einen breiten Raum nimmt das Hungerjahr 1740 im ganzen Rheinland ein.
„Immer wieder hören wir von Auseinandersetzungen mit dem im Ort ansässigen Vizekanzler der Herzogtümer Jülich und Berg, Johann Thomas Brosii, der dem Pfarrer oft das Leben schwer machte und die Ortsbevölkerung spaltete. Er spielte auch eine unrühmliche Rolle bei dem jahrelangen Streit darüber, wer die Kosten für die dringend erforderlichen Kirchendachreparaturen zu tragen hatte“, schildert Josef Wißkirchen.
Genaue Schilderungen zeugen aber auch von der tiefen Frömmigkeit, die den Menschen dabei half, die Herausforderungen ihres schweren Lebens zu bestehen. Der Leser erfährt andererseits von unsäglichen Streitereien bis buchstäblich in den Kirchenraum hinein und vor der versammelten Kirchengemeinde. Die Rede ist von Diebesbanden, die wiederholt, auch in Stommeln, in die Kirchen eindrangen auf der Suche nach Gold und Silber und nach Geld und Textilien, die Privatleute in Truhen in der Sakristei ihrer Pfarrkirche in vermeintliche Sicherheit gebracht hatten.
Das Leben der Menschen war damals noch weitgehend vom Mittelalter geprägt, der Epochenumbruch durch die Aufklärung und die Französische Revolution kündigte sich noch nicht an. „Das Leben vor 300 Jahren mag uns heute zunächst sehr fern erscheinen; wenn man aber genauer hinschaut, erkennt man doch Spuren, die bis heute nachwirken. Das Buch führt zu wichtigen Grundlagen unserer heutigen Existenz. Eine umfangreiche Einleitung und genaue Erläuterungen historischer Begriffe helfen dem Leser beim Verständnis des Zeithintergrundes. Ein detailliertes Register lädt zum Stöbern ein“, fasst Josef Wißkirchen zusammen.Aschendorff Verlag
ISBN 978-3-402-25087-7
480 Seiten, 54 Abb., 29,90 Euro
Das Buch wird am Donnerstag, 29. August, um 19:30 Uhr im Martinushaus, Venloer Straße 546, vorgestellt. Dazu lädt Josef Wißkirchen zusammen mit dem Bau- und Förderverein St. Martinus ein. Der Eintritt ist frei.
Redakteur/in:Martina Thiele-Effertz aus Hürth |
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