Nachdenkliches
Bin ich falsch?
Nun kann ich wieder schreiben! Mein Kopf ist frei für die Gedanken, die mir geschenkt werden. Die letzten Wochen waren fast ausschließlich meiner Freude an der Fotografie und der Vorbereitung unserer Ausstellung gewidmet. Da war für Schreiben leider kein Platz und keine Zeit!
Eine Freundin hat mir ein wunderbares, wohl bekanntes Gedicht geschickt, das auch schon über WhatsApp verbreitet wurde.: „Meine Seele hat es eilig“ von Mario de Andrade (San Paolo 1893 – 1945), Dichter, Schriftsteller, Essayist, Musikwissenschaftler.
Was mich an diesem sehr zum Nachdenken anregenden Gedicht besonders fasziniert, sind die Aufzählungen von de Andrade, wozu die Zeit zu kostbar ist. Wozu er keine Zeit mehr hat. Womit er seine wertvolle Zeit nicht mehr verschwenden wird. Und mit welchen Menschen er sich nur noch umgeben möchte.
Das ist genau der Punkt, der mich schon ein paar Jahre selbst beschäftigt. Mit welchen Menschen möchte ich mich in meinem Leben noch umgeben? Welche Menschen bereichern mein Leben? Welche Menschen brauche ich für MICH? Und welche Menschen haben in meinem Leben keinen Platz mehr? Also alles MEINE Entscheidung! MEIN Leben! ICH bin ICH! Bin ich falsch?
Ich habe eine … bisher habe ich sie als Freundin bezeichnet. Wir waren auch schon mehrmals zusammen in Urlaub, was meiner Meinung nach sehr gut geklappt hat und sehr schön war. Sehr harmonisch auch. Weitere gemeinsame Urlaube sind für mich durchaus möglich und vorstellbar!
Das Motto meiner Freundin, allein lebend, „Warum soll ich zu Hause sitzen? Dann unternehme ich doch lieber etwas!“ Völlig richtig! Jeden Tag, jede Minute nutzen! Lebenslust und Freude genießen! Alles mitnehmen, was glücklich macht!
Aber leider trennen sich unsere Wege damit etwas. Sie besucht ein Konzert nach dem anderen, Musicals, Theatervorstellungen, Kulturveranstaltungen aller Art, Kino. Geld scheint dabei keine Rolle zu spielen. Und für alles hat sie ihren Personenkreis. ICH bin die Anlaufstelle für gemütlich und lecker essen zu gehen! EINE Aufgabe habe ich also auch! Ja, ich gehe gerne und oft essen. Lecker. Meistens ausländisch. Und über eine sättigende Portion freue ich mich auch. Keine Nobel-Restaurants! Kann auch gerne mal ein gepflegter Imbiss sein! Und wenn dann noch ein Eis hinein passt, statt Cappuccino oder Espresso, auch super! Das genieße ich! Das macht mir Freude! Kultur hatte ich in jungen Jahren satt! Zusammen mit meiner gut betuchten Tante, die mich überall mit hingenommen und dadurch meinen Blick auf das Leben erweitert hat. Oper. Operette. Musicals. Theater. Damit bin ich inzwischen irgendwie durch! Und dafür möchte ich auch mein Geld nicht mehr ausgeben! Für den Preis weniger Veranstaltungen könnte ich fast eine Woche in ein Fünf-Sterne-Hotel auf die Kanaren fliegen! Bin ich falsch? Nein! Ich habe nur andere Prioritäten! Das bin ICH! Und das ist MEIN Leben. Schade nur, wenn die gemeinsame Zeit durch unterschiedliche Interessen und unterschiedliche Interessengruppen weniger wird.
Ich bin sehr unternehmungslustig! Oft unterwegs in der Natur! Eine andere Freundin weiß das. Sie fragt mich immer wieder, sie doch mitzunehmen! Habe ich einmal gemacht. Eins meiner Lieblingsentspannungsziele ist der Rhein mit einem bestimmten Lokal. Wir hatten uns geeinigt (gemeinsames Absprechen ist mein großes Anliegen nach dreißig Jahren Reiseleiter-Tätigkeit), erst gemütlich essen, dann laufen. Wobei zu dieser Zeit Laufen bei mir etwas eingeschränkt war wegen neuer Hüfte. Ich habe mein Essen mit Blick auf den Rhein sehr genossen! Meine Freundin war fertig mit essen. Ging auf die Toilette. Kam zurück. Zog den Anorack an. Schnappte ihren Rucksack. Stand vor mir und meinte, ob wir denn jetzt endlich einmal rausgehen könnten. Ups! Ich hatte den letzten Bissen noch im Mund. Runtergeschluckt. Bezahlt. Aufgesprungen, völlig verdattert. Jacke an. Rucksack geschnappt. Und nix wie raus! Ich wäre gerne noch etwas gemütlich sitzen geblieben! Unser Naturell ist völlig unterschiedlich. Stimmt nicht überein. Sie ist unruhig und hektisch.
Schlussendlich haben wir dann unsere Wege getrennt, damit jeder zufrieden ist und auf seine Kosten kommt. Ihr unruhiges Naturell musste „rennen“. Brauchte Bewegung. Ich brauchte auch Bewegung. Und ich brauchte Ruhe. Rhein. Rheinauen. Sonne. Genießen. Und Seele baumeln lassen. Entspannung. Entschleunigung. Abschalten. Nach einer gewissen Zeit haben wir uns dann wieder getroffen.
Bin ich falsch? Nein! Ich habe nur andere Vorstellungen und Bedürfnisse! Und ein anderes Naturell! Sind da gemeinsame Unternehmungen in Zukunft wirklich angesagt? Oder stört die Unruhe die Ruhe und die Ruhe die Unruhe? Für MICH passt es leider nicht wirklich. Der Tag ist nicht so verlaufen, wie ich es mir für mich gewünscht und vorgestellt habe. Abends war ich gefrustet! Und irgendwie erschöpft. Vertane kostbare Zeit? Oder wäre es für mich eine Herausforderung gewesen, mich auf Hektik und Unruhe einzustellen und mich von meinen Bedürfnissen für diesen Tag zu verabschieden? Mich der Gemeinsamkeit zu Liebe einen Tag lang zu verbiegen? Hmmmm...! Ist doch MEIN Leben!
Mit einer anderen Freundin hatte ich ein verlängertes Wochenende in Holland am Meer gebucht! Sie wollte meinen Lieblingsort kennenlernen, wo ich schon unendlich oft Kurzurlaub oder Urlaub gemacht habe. Der erste Abend ging voll daneben! Beim Abendessen bei meinem jahrelangen Lieblings-Italiener wollte sie sich ein Essen bestellen, vor dem ich sie mehrmals gewarnt hatte, weil sehr scharf! Penne al arrabiata. Sie bestellte es trotzdem! Nach dem ersten Löffel hat sie angefangen zu toben, weil zu scharf! Sie ist völlig ausgerastet! Die junge freundliche Bedienung angekeilt! Danach die Chefin angekeilt, die sie zum Tisch zitiert hat! „Das kann man ja nicht essen! Zumutung! Zurückgeben! Ersatz!“ In einem superaggressiven Ton, bei dem bei jedem sofort die Rolläden runter gingen und keinerlei Kulanz mehr möglich war! Ich hätte vor Peinlichkeit und Fremdschämen im Boden versinken oder mich in Luft auflösen können! Sie war einfach nicht zu bremsen! Fürchterlich! Natürlich keinerlei Entgegenkommen von Seiten des Restaurants! Klar! Verständlich! Einsehbar! Ich hatte sie gewarnt. Mehrmals. Ich bin auch heute noch ganz sicher, auf freundliche achtsame Art wäre das für sie zu scharfe Essen kostenfrei ausgetauscht worden!
Der Abend war völlig im Eimer! Die Stimmung auch! Und MEINE Stimmung erst recht! Ich hatte keine Lust mehr auf noch drei gemeinsame Tage! Ich habe nur gewünscht, es gäbe einen Knall, ich wäre alleine und meine Freundin wieder zu Hause! Der Kurzurlaub war eine Qual für mich! Lähmend. Wortkarg. Alle Freude komplett verpufft! Ich hatte Angst vor dem nächsten aggressiven Ausbruch. Aber auch diese Tage gingen vorbei! Verschenkte kostbare Lebenszeit? Ja! Meine miese Erinnerung an diese vertanen Tage bleibt lebenslänglich! Solche Begebenheiten sind nicht voraussehbar. Solche Situationen brauche ich nie wieder!
Ich liebe die Natur. Ich liebe die Ruhe in der Natur. Ich liebe die Farben der Natur. Ich liebe Vogelzwitschern. Bienensummen. Hummelbrummen. Blätterrauschen. Den Tanz der Schmetterlinge. Und ich liebe das Schweigen, mit dem mir die Natur ihre Geschichte erzählt. Ich lasse die Seele baumeln. Genieße. Und bin ganz bei mir. Viele Menschen halten diese Ruhe und das Nur-bei-sich-Sein gar nicht aus! Sie brauchen Hektik, Action, Ablenkung. Nur nicht mit sich selbst alleine sein! Auf sich selbst zurückgeworfen werden. Stille kann auch Angst machen. Beklemmen. Ruhe muss man aushalten können! Dann doch lieber Flucht in die Unruhe! In Betriebsamkeit! Nur weg von sich selbst!
Danke an Mario de Andrade, der mich durch sein wunderschönes Gedicht, durch seine Auseinandersetzung mit dem, was er für sein Leben braucht, wieder einmal zum Nachdenken gebracht hat! Das tut meiner Seele gut. Dass er mich dazu angeregt hat, mich damit auseinanderzusetzen, mit welchen Menschen ich mein Leben gestalten, bereichern möchte. Was ich nicht brauchen kann, und was ich nicht mehr will, das hat mir meine Erfahrung gezeigt.
Ich möchte mein Leben teilen mit Menschen, die ein bisschen mit mir im Gleichklang ticken. Die Natur und ihre Ruhe lieben. Die innere Ruhe und inneren Frieden ausstrahlen. Gelassenheit. Zufriedenheit. Die authentisch sind. Empathisch. Hilfsbereit. Die Harmonie genießen. Die zeitweise mit mir auch mal die Seele baumeln lassen. Die ein bisschen meine Interessen teilen. Lebenslust und Lebensfreude leben, bei Ausflügen in die nähere Umgebung. Oder im Urlaub am Meer. Oder in herrlicher Landschaft. Ohne Hektik. Ohne Stress. Ohne innere und äußere Unruhe. Ohne Aggression. Mit denen ich mich offen und aufrichtig über alles unterhalten kann. Die an einem achtsamen Umgang miteinander interessiert sind. Die auch einmal schweigend genießen können und trotzdem viel sagen. Diese Menschen gibt es!
Bin ich falsch? NEIN! Es ist MEIN Leben. Und ICH bin der Chef MEINES Lebens. Ich entscheide für mich, was mir gut tut und was ich für mein Leben und für meine Freude und Zufriedenheit brauche. Und da fallen inzwischen einige Dinge und leider auch einige Menschen hinten weg.
ICH bin ICH. Und nicht mehr verbiegbar! Und nicht mehr zu faulen Kompromissen bereit, nur um Menschen um mich zu haben. Ich wähle. Und möchte auch ausgewählt werden. Die für mich falschen Menschen rauben mir meine kostbare Zeit! Und meine innere Ruhe! Und genau das möchte ich nicht mehr. Es ist MEIN Leben! Und für genau MEIN Leben bin ich genau RICHTIG!
(C)eth
LeserReporter/in:Ellen Thoms aus Pulheim |
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