Tagebau-Anrainerkonferenz
"Das Rheinische Revier braucht Verlässlichkeit"
Region (red). Das Landeswirtschaftsministerium und RWE haben am 4.Oktober mitgeteilt, dass der Kohleausstieg nochmals um acht Jahre auf das Jahr 2030 vorgezogen wird und haben damit Planungssicherheit hergestellt. Überraschend ist der Inhalt dieser Festlegung für die Verantwortlichen im Rheinischen Revier zwar nicht, sehr wohl überrascht sind die Akteure darüber, dass von der dringend notwendigen Beschleunigung und Verbesserung der Strukturstärkung in den Ausführungen keine Rede ist.
Denn schon im Dezember 2021 haben Anrainerkommunen, Kreise, Kammern und Gewerkschaften damit gerechnet und in einem gemeinsamen Papier des Reviers die Grundlagen benannt, die geschaffen werden müssen, um diese immense Ausstiegsbeschleunigung ohne Strukturbruch zu schaffen.
„Obwohl wir schon vor einem knappen Jahr mit allen Akteuren des Rheinischen Reviers ein gemeinsames Forderungspapier verfasst haben, dessen Adressaten die Bundes- und Landesregierung waren, gibt es darauf bis heute keinen nennenswerte Resonanz: Im Gegenteil, wir werden hier ignoriert“, stellt Thomas Hissel, Beigeordneter der Stadt Düren und Sprecher der Anrainerkommunen fest.
„Das erneute Vorziehen um acht Jahre hat erhebliche Auswirkungen auf die Region und ist zwingend mit weiteren Planungen zu begleiten, da tausende Arbeitsplätze nun acht Jahre früher wegfallen“, ergänzt Andreas Heller, Bürgermeister der Stadt Elsdorf und ebenfalls einer der Sprecher der Anrainerkommunen. „Unbedingt einzubinden sind hierbei auch und vor allem die Tagebauumfeldinitiativen. Auch hier bedarf es aus Sicht der Anrainer einer verbindlichen vertraglichen Regelung mit dem Land NRW“.
Für die Tagebauumfeldinitiative Neuland Hambach erklärt Geschäftsführer Boris Linden: „Der Mehraufwand für die notwendigen Umplanungen und frühere Wiedernutzbarmachung ist im Fördersystem und im Planungsrecht derzeit nicht abgebildet. Das muss jetzt mit der neuen Leitentscheidung nachgeholt werden.“
Zu den notwendigen Voraussetzungen eines beschleunigten Ausstiegs zählen nach Angaben der Vertreter des Rheinischen Reviers zum Beispiel die deutliche Beschleunigung der bisher schleppenden und komplizierten Fördermittelverfahren, die Etablierung einer eigenen Strukturwandelrichtlinie auf Bundesebene, die Sicherstellung der Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen, eine deutliche Planungsbeschleunigung in einer Sonderplanungszone, eine räumlich und zeitlich begrenzte Sonderwirtschaftszone oder die Sicherung eines Revier-Wassersystems.
„Bisher laufen alle Prozesse zur Strukturstärkung sehr schleppend an. Wir hätten erwartet, dass das Land ein eigenes Interesse hat, die Strukturstärkung zu verbessern, aber dass es seit einem Jahr zu keiner dieser Forderungen einen nennenswerten Fortschritt gibt, ist schon enttäuschend“, kommentiert Heller.
„Jetzt, wo RWE und das Land nun die technischen Fakten für den beschleunigten Ausstieg gesetzt haben, fordern wir auch Fakten für die Menschen vor Ort. Die Strukturstärkung muss nun endlich massiv an Fahrt aufnehmen, wir brauchen schnell neue Arbeitsplätze, neue Wertschöpfung und neue Infrastruktur im Kernrevier, sonst wird aus dem beschleunigten Ausstieg ein beschleunigter Abstieg“, so Ralf Claßen, Bürgermeister der Gemeinde Aldenhoven.
Besondere Sorgen bereitet einigen die Situation der energieintensiven Industrien, wie die Produktion und Verarbeitung von Papier, Metall, Chemie, die mit rund 51.000 Beschäftigten im Revier überaus stark vertreten und eine zentrale Grundlage für den erwirtschafteten Wohlstand ist. „Diese energieintensiven Unternehmen stehen mit dem Ausstieg aus der Braunkohle ohnehin schon vor gewaltigen Herausforderungen. Durch den verbrecherischen Einmarsch Russlands in die Ukraine hat sich deren Produktionsbedingungen noch einmal verschärft. Leider scheint es so, als sei dieser wichtige Wirtschaftsbereich bei den Beschleunigungsbeschlüssen nicht wirklich mitgedacht. Dabei müsste es eines unserer wichtigsten Ziele sein, dass diese auch über den Tag hinaus wettbewerbsfähig bleiben und nicht gleich zusammen mit der Braunkohle abgewickelt werden“, so Raphael Jonas, Geschäftsführer der IHK Aachen.
„Und das“, so Sascha Solbach, Bürgermeister der Stadt Bedburg und Anrainersprecher, „ist nicht nur eine wirtschaftliche oder soziale Frage, sondern eine Frage des globalen Klimaschutzes an sich. Der Braunkohleausstieg im kleinen Deutschland wird nur dann einen echten, globalen Klimaeffekt haben, wenn er ein Exportschlager wird, also wenn er an vielen Stellen in der Welt nachgemacht wird. Aber selbst, wenn uns der Ausstieg technisch gelingt und wir die Energieversorgung stabil halten, wird uns das Projekt weltweit niemand nachmachen, wenn die Reviere danach deindustrialisierte und wirtschaftlich abgehängte Landstriche sind.“ Und insofern sei auch die Sicherung der energieintensiven Industrie eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Schließlich sind sich im Revier alle Akteure einig: Wird die Zeit zur Transformation halbiert, braucht es verlässliche Beschleunigungen: Planungs- und Genehmigungsprozesse müssen deutlich schneller werden, ebenso wie der Ausbau erneuerbarer Energien. „Wir fordern nun, dass nicht nur der Ausstieg beschleunigt wird, sondern auch der Einstieg in neue Wertschöpfungsketten, und das bitte verbindlich in einem Reviervertrag des Landes mit dem Rheinischen Revier.“, fasst Thomas Hissel, für die Akteure im Revier zusammen.
Auch Jürgen Frantzen, Bürgermeister der Landgemeinde Titz, fordert verbindliche Festlegungen und Zusagen im Rahmen eines erneuerten Reviervertrags; darüber hinaus, so Frantzen, bedarf es auch einer verbindlichen, vertraglichen Grundlage mit dem Bund, damit bereits seit längerer Zeit bestehende Erwartungshaltungen, zum Beispiel aus dem Abschlussbericht der damaligen „Kohlekommission“, nicht durch aktuelle oder zukünftige Entscheidungen in Frage gestellt werden. „Unser Revier benötigt Verlässlichkeit!“
Redakteur/in:Hanno Kühn aus Elsdorf |
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