Corona-Spaziergänge
Strategische Selbstverharmlosung
Montagabend, kurz vor 18 Uhr. Der Verkehr in der Lechenicher Innenstadt wird langsam weniger, der Einzelhandel bereitet sich auf den Feierabend vor. Es ist - der Jahreszeit entsprechend - kalt.
Dicht gedrängt versammeln sich vor dem Bonner Tor Menschen. Von Minute zu Minute werden es mehr - die allermeisten kommen ohne Maske: Männer und Frauen jeden Alters - erstaunlich viele - auch kleine - Kinder sind auszumachen. Seit vier Wochen versammeln sich hier Menschen zum sogenannten „Corona-Spaziergang“. Ohne Abstand und - die Allermeisten - ohne Masken.
Am nächsten Tag wird im aktuellen Polizeibericht zu lesen sein: „Die Polizei Rhein-Erft-Kreis hat am Montagabend ab 18 Uhr Versammlungen in Bedburg (30 Teilnehmende), Bergheim (100), Erftstadt (285), Frechen (100), Hürth (65), Kerpen (200), Pulheim (110) und Wesseling (40) geschützt. Zu nennenswerten Störungen kam es nicht.“
Bei einer Gegenveranstaltung in Kerpen unter dem Motto: „Mahnwache für die Corona-Toten - Solidarität mit medizinischem Personal, Pflegekräften, Polizei und all jenen, die ihren Beitrag zur Überwindung der Pandemie leisten“ waren etwa 100 Teilnehmer anwesend. In Erftstadt stehen nur drei Menschen am Straßenrand und drücken ihren Protest mit Plakaten aus. Vereinzelt werden sie von den Impfgegnern in kurze Diskussion verwickelt - ein echter Austausch von Argumenten kommt nicht zustande.
Stattdessen werden aus der anonymen Menge heraus immer wieder nur stereotyp Parolen gerufen. In Erftstadt nimmt das so gut wie niemand wahr. Es scheint als „feierten“ sich die knapp 300 „Spaziergänger“ selbst. Mit Lichterketten um den Hals oder auf dem Kopf, eine Frau hat eine Megafon - was sie dort hinein grölt ist nicht wirklich zu verstehen. Nur wenige Trillerpfeifen sind vernehmbar, dafür umso deutlich der Marsch-Rhythmus einer Trommel, den eine Frau während des gesamten Zuges durch die Lechenicher Innenstadt anschlägt.
Seit vier Wochen finden diese sogenannten „Corona-Spaziergänge“ inzwischen auch in Kommunen des Kreises statt. Möglicherweise sind die Organisatoren mit der Resonanz bisher nicht zufrieden. „In Frechen waren wir am Donnerstag nur 200“, sagt ein Teilnehmer, der den Mann anspricht, der als Organisator für die Erftstädter Spaziergänge bei der Polizei bekannt ist. „Ja, stimmt“, antwortet der und ergänzt: „Da habe ich mir gedacht: Jetzt mach‘ ich Werbung, jetzt hau‘ ich einen raus...“
Hat er gemacht. In Erftstadt waren übers Wochenende Flyer in die Briefkästen gesteckt worden. Anonym, ohne erkennbaren Absender. Von ‚Erftkreis ungeimpft‘ ist da die Rede - der Erftkreis wurde schon vor Jahren umbenannt.... Ein aufgedruckter QR-Code verlinkt auf eine Seite des Messengerdienstes Telegram. Hier wirbt der Organisator mit dem Logo des Rhein-Erft-Kreises. Wer mehr wissen will, muss sich anmelden. Die Verwaltung des Rhein-Erft-Kreises weiß - so heißt es auf Nachfrage - von der Nutzung des Logos nichts.
CDU, SPD, B90/Die Grünen, FDP, die Freie Wählergemeinschaft und Die Linke aus Erftstadt haben eine gemeinsame Erklärung zu den sogenannten „Montagsspaziergängen“ abgegeben. Darin bringen sie ihre Sorge zum Ausdruck, welche Strömungen diese Protestaktionen im ganzen Land lenken und beeinflussen. Insbesondere das rechtextremistische Milieu beteilige sich über Telegram-Gruppen maßgeblich an der Organisation der „Spaziergänge“. Unter anderem die rechtsextreme, neonazistische Partei „Die Rechte“ und „Die Basis“, als politischer Arm von „Querdenken“, solidarisierten sich mit den Demonstrationen“. „Wir rufen daher alle Bürgerinnen und Bürger dazu auf, die „Spaziergänge” nicht zu unterstützen und geltende Sicherheitsmaßnahmen weiterhin einzuhalten“, so der Appell der Unterzeichner. Eine ganz ähnliche Erklärungen haben diese Parteien auch in Kerpen veröffentlicht.
In einem Interview mit dem NDR hat der Göttinger Staatsrechtler Alexander Thiele unter anderem die Nutzung des Begriffes der ‚Spaziergänge‘ eingeordnet: „Mit dem Begriff des ‚Spaziergangs‘ soll der Eindruck erweckt werden, dass es sich hierbei noch nicht einmal um einen politischen Protest handelt, sondern um eine spontane, friedvolle, eher unpolitische und im Grunde bürgerliche Freizeitaktivität.“ Das bezeichnet der Staatsrechtler als ist eine „strategische Selbstverharmlosung“, insbesondere von radikalen Kräften, die mit zu den Organisatoren, mindestens aber zu den Mobilisatoren dieser Veranstaltung gehören. Man wolle sich ein bürgerliches Antlitz geben, um somit in der Mitte der Gesellschaft Anschluss zu finden.
Zur Nutzung des Logos durch die Organisatoren der Spaziergänge hat der Landrat des Rhein-Erft-Kreises auf Nachfrage der Redaktion geantwortet: „Die Nutzung des Rhein-Erft-Kreis Logos ohne unsere Genehmigung dulden wir nicht. Sobald wir entsprechende Kenntnisse über eine solche Nutzung erhalten, untersagen wir die Nutzung und behalten uns vor, rechtliche Schritte einzuleiten.“ Bis Anfang der Woche hatte die Kreisverwaltung - so die Aussage des Pressesprechers - „keine Kenntnis von der Nutzung des Logos“. Man könne sich ja nicht jeden Flyer ganz genau angucken.
Landrat: Bürgerinnen und Bürger sollten sich von solchen Aktionen klar distanzieren
Persönlich distanziert sich Landrat Frank Rock von den Demonstrationen: „In unserem Rechtsstaat gibt es ein geschütztes Versammlungsrecht, und jeder hat die Möglichkeit, seine Kritik – auch am staatlichen Handeln – öffentlich in Form von Demonstrationen kundzutun. Bei diesen Aktionen glaubt ein kleiner Teil unserer Gesellschaft, durch als ‚Spaziergänge‘ getarnte „zufällige Zusammentreffen“ die Vorgaben des Versammlungsrechts umgehen zu können. Ich sehe es kritisch, wenn Meinungsfreiheit eingefordert, aber auf der anderen Seite den Pflichten, die das Versammlungsgesetz mit sich bringt, nicht nachgekommen wird. Die Omikron-Variante rollt mit großer Wucht auf unseren Kreis zu, Ärzte, Pflegekräfte und unser Gesundheitsamt arbeiten wieder an ihren Grenzen, besonders jetzt sind solche Aktionen absolut nicht zu tolerieren. Ich appelliere an alle Bürgerinnen und Bürger, sich nicht an solchen Aktionen zu beteiligen und sich klar davon zu distanzieren.“
Redakteur/in:Ulf-Stefan Dahmen |
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