Ulla Thiel:
„Wir bekommen viel Dank für unsere Hilfe“
Im Gespräch mit Ulla Thiel, Leiterin der Stabsstelle „Wiederaufbau“ beim Rhein-Sieg-Kreis
„Es wird viel getan, es dauert halt auch“. Ganz gleich, ob an Hochwasserschutzkonzepten gearbeitet oder Hilfestellung bei Förderanträgen geleistet wird, Ulla Thiel hat als Leiterin der Stabsstelle Wiederaufbau beim Rhein-Sieg-Kreis einen Überblick darüber, was momentan in der Region passiert. Die Flutkatastrophe vom 14. Juli liegt bald ein ganzes Jahr zurück und immer noch sind die Schäden in den betroffenen Gebieten oftmals nicht behoben. „Am schlimmsten traf es ja bei uns die linksrheinische Seite, unter anderem Swisttal, Rheinbach und Meckenheim“. Fährt man heute durch die Ortschaften, fallen einem noch häufig Baustellen auf. „Auch sehen manche der Häuser von außen bereits wieder gut aus, sind oft jedoch nicht bewohnbar und eine Rückkehr der Familien steht bis dato in den Sternen. Es kann auch passieren, dass man erst jetzt die Folgeschäden entdeckt, von Feuchtigkeit bis zu Schimmel“.
Dass vorhandene Strukturen dem Ausmaß der Katastrophe nicht ausreichend begegnen konnten, war schnell klar. Deshalb installierte Landrat Sebastian Schuster die „Stabsstelle Wiederaufbau“, die bereits am 16. August 2021 ihre Arbeit aufnahm. Sinn und Zweck war es, Verwaltungsprozesse zu vereinfachen, Netzwerke zu schaffen, und Hilfsangebote zu koordinieren. „Ich sehe mich hier als Vermittlerin zwischen den Bürgern, den Organisationen, der Kreisverwaltung und anderen Behörden“, sagt Ulla Thiel. Zum Zeitpunkt der Katastrophe bekleidete sie den Job als Co-Dezernentin bei der Kreisstadt. „In Siegburg gab es zwar Stark-regen, aber ich hätte nie mit diesen Dimensionen gerechnet, wie es 20 Kilometer weiter herunterkam“. Mit ihrer Erfahrung in Krisensituationen war sie prädestiniert für die Aufgabe der Stabsstelle, auf die sie sich initiativ bewarb. „Als ich meinen Dienst antrat, bin ich durch die Kommunen gefahren, um mir ein Schadensbild zu machen. Ich habe mich mit den Betroffenen und Vertretern der Kommunen getroffen, an Bürgerversammlungen teilgenommen“. Bei den Veranstaltungen rückten Bedarf und Schwierigkeiten schnell in den Fokus. „Die Wohnungen versanken im Schlamm. Leute mit Ölheizungen konnten alles wegwerfen - auch wenn man bis zum Estrich sanierte, blieb der Geruch. Bei manchen Objekten ist das heute noch so“. Aufgrund der Situation musste rasche Hilfe greifen. „Der Kreis hat die Auszahlung der Sofortgelder für die Gemeinde Swisttal übernommen - das waren rund fünf Millionen Euro. Neben dem Landeshilfeprogramm gab es auch die große Spendenaktion des Rhein-Sieg-Kreises, aus der wir 2,5 Millionen Euro schnell an Flutbetroffene im Kreisgebiet auszahlen konnten“.
Das Wiederaufbau-Team war und ist aber auch viel „draußen“ unterwegs. Fachleute der Stabsstelle bildeten in Swisttal, Rheinbach, Meckenheim und Siegburg mit ihren Büros zentrale Anlaufstellen, in denen die Bürger Hilfestellung bei der Beantragung der Wiederaufbauhilfe des Landes bekommen. „Wir haben bis heute 3.200 Beratungen durchgeführt und die Nachfrage nach Unterstützung bei den Antragsverfahren hält nach wie vor an. Das ist ein Riesenprojekt. Bund und Land stellen über den Aufbaufonds 2021 insgesamt 30 Milliarden Euro bereit, davon circa 12,3 Milliarden Euro für NRW, die unter anderem von Privathaushalten abgerufen werden können. Die Antragsfrist läuft noch bis zum 30. Juni 2023. Aktuell bearbeiten wir so 80 Anträge pro Woche“. Bei vielen zieht sich der Prozess ein wenig in die Länge. Gutachter sind derzeit schwer zu bekommen, ebenso Material und die Handwerker sind stark ausgelastet. „Ich kenne eine Firma in Swisttal, die bis weit ins nächste Jahr keine Aufträge mehr annimmt“. Doch bei der teils sehr komplexen Beantragung der Aufbauhilfen werden Verwendungsnachweise verlangt, was sich als schwierig gestaltet, wenn man keine Handwerker bekommt. „Auch hier gibt es Lösungen“, ergänzt Ulla Thiel. „Dafür sind die Beratungen ebenfalls da. Wir verfügen über ein tolles Team mit guter Kommunikation zu den Bewilligungsbehörden, den Bezirksregierungen“.
Was die Leiterin der Stabsstelle allerdings sehr beeindruckt hat, war der enge Zusammenhalt der Menschen untereinander. „Es haben sich unheimlich schnell Netzwerke von Ehrenamtlern gebildet, wo jeder seine eigenen Fähigkeiten einbrachte, sei es die Hausfrau, die Mittagessen ausgab, oder Fachleute, die bereits vom Hochwasserschutz kamen. Obwohl man sich vorher nicht kannte, wuchsen alle durch die Katastrophe im Handumdrehen zusammen. Da ist eine richtige Familie entstanden und wir würden uns als Teil dieser Familie bezeichnen“. Diese Annahme fußt auf den Erfahrungen, die immer noch in den Büros gesammelt werden. „Wir erhalten viel positives Feedback und Dank für unsere Hilfe, auch wenn die Gemeinde so langsam auch wieder die Räume nutzen möchte, die im Moment noch der Beratungsstelle in Swisttal-Ludendorf zur Verfügung gestellt werden. Letztendlich kehrt damit aber auch das Vereinsleben wieder zurück, denn gesellschaftliche Treffpunkte in den betroffenen Gebieten fehlen häufig noch“. Rückblickend bleibt es für Ulla Thiel unheimlich faszinierend, dass das Gemeinschaftsgefühl nach wie vor anhält. „Von der Solidarität und Hilfsbereitschaft direkt nach dem Unglück, bis heute, wo für die meisten Aufgeben nicht in Frage kommt, schauen sie mit Mut und Entschlossenheit in die Zukunft“.
Freie/r Redaktionsmitarbeiter/in:Dirk Woiciech aus Siegburg |
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