Besuch aus Brasilien
Eine Zufallsbegegnung am Dorfbrunnen
Ruppichteroth. Einmal im Jahr wird das Ortskreuz unmittelbar vor der katholischen Kirche in Ruppichteroth gereinigt und gestrichen, so auch kürzlich. Plötzlich stehen zwei Damen daneben, schauen zu und fotografieren die Kirche. Darauf angesprochen sagen sie: „Wir kommen aus Brasilien, unsere Vorfahren waren Deutsche, sie sind im 19. Jahrhundert nach Brasilien ausgewandert“.
Leani Weiga Koppe spricht einwandfreies Deutsch. Sie ist Schriftstellerin. Ein Exemplar hat sie sogar dabei. Darin schildert sie die Auswanderung der Deutschen und die Geburt der kleinen Leopoldina, am 22. Januar 1797 in Österreich als Tochter Kaiser Franziskus II und Maria Teresia aus dem Königreich der zwei Sizilien (1816-1860). Leopoldina ist 1817 ausgewandert und hat 20-jährig den brasilianischen Kronprinz Pedro I geheiratet. Sie hat sich sehr für die Unabhängigkeit und Frauenrechte in Brasilien eingesetzt.
In dem Büchlein beginnt die Auswanderungsgeschichte mit dem Verkauf von Hab und Gut in Deutschland. Brasilien hatte Auswanderer angeworben mit der Zusage, dass jeder ein Stück Land und eine Wohnung bekommen sollte. Das Land sollte er bestellen und seinen Lebensunterhalt erwirtschaften. Einzige Voraussetzung war Schuldenfreiheit in Deutschland.
Die niedergeschriebene Geschichte, so Koppe, soll deutschen Nachfahren, primär Kindern, vor Augen bringen, was vor 185 Jahren begann. Großes Elend herrschte in Deutschland. Das Land besaßen die Landesherren und die Ritterschaft, die Bauern durften ärmlich nur als Knechte dienen. In Brasilien dagegen fehlten Arbeitskräfte, Land war genügend vorhanden, hier gab es Zukunft.
Die Schilderungen zeigen eine dramatische Schiffsreise mit Seegang und Krankheiten, mit Not und Tod an Bord mit Unsauberkeit und Ungeziefer. Das Weinen der Erwachsenen weicht der Fröhlichkeit der Kinder. So zeigt sich aber auch bei der Ankunft in Brasilien, das zunächst einmal die geforderte Quarantäne als unendliche Zeit an den Passagieren zusätzlich zehrt. Endlich kommt der Landgang. Ganz neue Eindrücke und nicht die allerschönsten erwarten sie. Schnell werden sie Zeuge vom Sklaventum in diesem Land. Die deutschen Auswanderer werden aufgeteilt und bekommen Landparzellen zugewiesen. Mit dem Moment waren sie für sich selbst verantwortlich. Und wenn hier von Land gesprochen wird, dann musste dies zunächst gerodet werden, um überhaupt Früchte anzubauen.
Koppe als Nachkomme dieser Auswanderer erzählt dann, warum sie ausgerechnet nach Ruppichteroth gekommen sei. Die Erklärung ist einfach: Die Familie ihres Patenkindes hat in Ruppichteroth ein Haus gekauft und lebt hier. Also war ein Besuch bei den Verwandten angesagt, der aber noch mehr Hintergrund haben sollte. Die deutschen Auswanderer haben unter anderem auch Hausbautechnologie mit nach Brasilien gebracht, konkret den Fachwerkbau. Diesem haben die beiden Damen große Aufmerksamkeit gewidmet, befanden sie sich doch unmittelbar am Startpunkt des Fachwerkwanderweges. Jede Ecke im historischen Ortskern von Ruppichteroth wurde fotografiert, alle Fachwerkhäuser auf Bildern festgehalten.
Eine solche Begegnung, ein solches Gespräch öffnet den Zuhörern die Augen noch mehr, wenn man über Flüchtlinge nachdenkt oder spricht. Die einen gehen freiwillig, die anderen unter Zwang und dennoch haben alle etwas gemeinsam: Sie lassen ihre angestammte Heimat zurück.
Das Buch „Viajando com esperança para o desconhecido - Eine hoffnungsvolle Reise ins Unbekannte“ hat die ISBN 978-85-7843-479-3.
Freie/r Redaktionsmitarbeiter/in:Wolfgang Steimel aus Ruppichteroth |
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