„Wir machen auch Mut“
Wertvolle Arbeit der ehrenamtlichen Behindertenbeauftragten
Sankt Augustin -
Mittwochs und donnerstags von 10 bis 12 Uhr steht die Tür im Rathaus
von Zimmer 9 ganz weit offen. Zu diesen Zeiten sind Isabella
Praschma-Spitzeck und Horst Ritter für alle Menschen jeden Alters mit
und ohne Behinderung ansprechbar. Menschen, die mit Behinderung
konfrontiert werden, seien in dem Moment hilflos. Das Angebote
durcharbeiten und Hilfen suchen möchten die beiden
Behindertenbeauftragten der Stadt Sankt Augustin ihren Klienten
ersparen. „Menschen können hierhin kommen und wir beraten sie“,
sagt Horst Ritter. „Mit uns als Wegweiser ist es anders“. Isabella
Praschma-Spitzeck geht sogar noch einen Schritt weiter: „Wir
erkennen auch Probleme, die eventuell dahinterliegen“.
Je nachdem seien einfache Nachfragen bis größere Angelegenheiten an
der Tagesordnung. Insbesondere ältere Menschen würden nicht gerne
etwas für sich in Anspruch nehmen. „Wir machen auch Mut“, so der
72-jährige Horst Ritter. Gerade bei negativen Bescheiden vom Amt sei
es je nachdem sinnvoll, Einspruch einzulegen. Darin kennen sich die
Behindertenbeauftragten aus. Genauso seien sie auch schon einmal vor
Ort, um sich die Probleme anzusehen. Dann werden Möglichkeiten
besprochen, beispielsweise der erhoffte Parkplatz bei einer
Gehbehinderung „Manchmal müssen wir ihnen auch den Zahn ziehen“,
stellt Ritter klar. Im Gegensatz dazu gibt es allerdings auch einige
positive Beispiele. Als in einem Hochhaus über mehrere Tage der
Fahrstuhl ausfiel, informierten sie über den kurzen Dienstweg die
Kollegen vom Ordnungsamt. „Hier konnte den Menschen schnell geholfen
werden".
„Es ist gut, dass wir hier sitzen - für Menschen von außerhalb
ansprechbar und ein kurzer Draht, um Dinge schnell zu regeln“,
resümiert Praschma-Spitzeck. „Zuhören und gute Tipps - das
genießen die Leute und wir bekommen das zurückgespiegelt“.
Menschen, die hier positive Erfahrungen gemacht haben, unterstützen
heute die Arbeit der Behindertenbeauftragten. Darauf seien sie ganz
stark angewiesen.
Es sei sowieso anders, von Betroffenem zu Betroffenem zu sprechen.
„Das dient der Glaubwürdigkeit und dem Vertrauen“, sagt Isabella
Praschma-Spitzeck. Nach ihrem Studium arbeitete die heute 62-Jährige
bei einer Selbsthilfeorganisation für Wohngruppen. Für ihr Ehrenamt
ist eine der Voraussetzungen: persönliche Erfahrung - entweder selbst
eine Behinderung haben oder familiär verbunden sein. Bei den
Beauftragten sind es die Söhne, die eine Behinderung haben.
Zudem hat Horst Ritter in der Diakonie gearbeitet und die Diakonische
Stiftung Wittekindshof in Bad Oeynhausen geleitet. Er gründete 1992
die Initiative selbständiges Leben, kurz „Die Insel“ genannt, in
Niederpleis.
Der ehemalige Pfarrer ist erst seit drei Jahren dabei und löste
Gisela Albrecht ab. Sie und Isabella Praschma-Spitzek hatten das
Ehrenamt nach der Beauftragung zum ersten Mal übernommen. Bestellt
sind sie generell für die Dauer der Wahlperiode des Stadtrats. Das
Amt wurde 2007 per Satzung vom Rat eingerichtet. Grundlage dieser
Beauftragung ist die Satzung der Stadt Sankt Augustin über die
Wahrung der Belange von Menschen mit Behinderung. Die
Behindertenbeauftragten üben ihr Amt unabhängig und
weisungsungebunden aus. Im Ernstfall könnten sie ihre Meinungen
kundtun, „Was wir sehr schätzen“ bestätigt Horst Ritter und
Isabella Praschma-Spitzeck betont: „Das hat sich bewährt“. Zu
ihren Aufgaben zählt die Beratung der Verwaltung, die Mitarbeit in
Gremien und bei Vorbesprechungen zu Baustellen sind sie beispielsweise
dabei. Mitgearbeitet haben sie auch beim kommunalen Aktionsplan
„Inklusion“. „Es wurde viel Geld investiert“, so Ritter. Er
ist begeistert von dem Ergebnis. Leider gibt es ein Aber. „Dazu
müsste es auch Mitarbeiter in der Verwaltung geben, die die Umsetzung
begleiten“. Die Erstellung des Aktionsplans dauerte ein Jahr - von
einem Workshop mit der Politik zur Zielfindung über eine
Auftaktveranstaltung und verschiedene Treffen des Forums und mehrerer
Bürgerforen.
Eine Auswertung inklusive einem Maßnahmenkatalog wurden auf 94 Seiten
schriftlich festgehalten. Diese orientieren sich unter anderem an der
UN-Behindertenrechtskonvention. Kernaussage ist hier, dass Menschen
mit Behinderung ganz selbstverständlich zur Gesellschaft
dazugehören. „Für die Verwaltung ist das fast so ein
Glaubensbekenntnis“, sagt Prascha-Spitzeck. Ein Beispiel für den
Aktionsplan ist das Thema Barrierefreiheit. Bei stadteigenen Gebäuden
und Veranstaltungsorten gab es Begehungen, um entsprechende Maßnahmen
vorzunehmen. Beim neuen Technischen Rathaus wurde dies direkt
berücksichtigt. „Barrierefreiheit ersetzt nicht die persönliche
Hilfestellung“, stellt Isabella Praschma-Spitzeck klar. Am Empfang
solle trotzdem jemand sitzen, der weiterhelfen kann und das am besten
für jedermann sichtbar - auch für Rollstuhlfahrer. Weiterhin fordert
die Stadt beim Neubau von Mehrfamilienhäusern Nachweise zur
Barrierefreiheit, die Bestandteil der Bauordnung sind. „Das wurde in
Sankt Augustin relativ schnell umgesetzt“, loben die
Behindertenbeauftragten.
Abgeflachte Bürgersteige seien sehr gut für Rollstühle, Rollatoren
und Kinderwagen, aber nicht für Sehbehinderte. „Sie brauchen eine
Kante“. Beim Neubau von Kreuzungen wurden diverse Standards
erarbeitet. Heraus kam eine deutliche Kante für Sehbehinderte und
Blinde, die aber auch von Rollstuhlfahrern überwunden werden kann.
Zudem gibt es einen Leitstreifen für Sehbehinderte. Bei neuen
Ampelanlagen sind die Behindertenbeauftragten meist schon auf
Ortstermine vorbereitet.
Jede Ampel, die zur Signalampel umgebaut wird, würde über kurz oder
lang die Nachbarn stören. „Es ist ganz schön laut, meist
standardmäßig zu laut eingestellt“, kann Ritter häufig die
Anwohner beruhigen.
Die Behindertenbeauftragten betreiben ihr Ehrenamt schon „sehr lange
und aktiv“, sodass sie sich auf ein Treffen auch besonders freuen.
Einmal im Jahr laden sie aktive Gruppen und Organisationen in Sankt
Augustin, die mit Menschen mit Behinderung arbeiten, zum „Sankt
Augustiner Forum für Menschen mit Behinderung“ ein. Dies wird zum
regen Austausch von allen gern genutzt.
Ein weiteres „schönes Ergebnis“ benennen die Beiden mit dem
„Wegweiser für Menschen mit Behinderung in leichter Sprache“.
Grundsätzlich hilfreich für jeden Leser, denn die Broschüre gibt
Tipps uns erklärt alles ohne Fachvokabular. „Schöne, kurze Sätze
begreift jeder“, sagt Horst Ritter. Die Erstausgabe wurde 2008
veröffentlicht, sodass zwar nicht mehr alles aktuell ist, aber viele
Informationen auch heute noch zutreffen. Zu einer Neuauflage fehle es
den beiden Behindertenbeauftragten leider an Zeit.
Auf das ganze Jahr gerechnet sind Isabella Praschma-Spitzeck und Horst
Ritter rund fünf Stunden pro Woche für ihr Ehrenamt im Einsatz.
„Mal mehr, mal weniger“ - je nachdem, wie sie gerade gebraucht
werden.
Erreichbar sind die ehrenamtlichen Behindertenbeauftragten zu den
Sprechzeiten telefonisch unter 02241-243401 oder per E-Mail an
behindertenbeauftragte@sankt-augustin.de
- Monika Zierden
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
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