Premiere beim WKTheater
Drei Männer in Not

Raffiniert ausgedacht: Die Zuschauer bekommen über eine große Leinwand das Geschehen im Auto genau mit! | Foto: Jürgen Sommer
  • Raffiniert ausgedacht: Die Zuschauer bekommen über eine große Leinwand das Geschehen im Auto genau mit!
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Waldbröl - Bisher einmalig und originell: Ein abgetakelter KIA Mittelklasse-Wagen
wird durch den Haupteingang der Aula des Hollenberg-Gymnasium, zum
Teil auf Rollbrettern aufgelagert bis vor die Bühne bugsiert.

Grund war nicht eine Gebrauchtwagenausstellung, für die ein
Eyecatcher herangeschafft wurde, sondern mit dem beschriebenen Aufwand
war die Basis für das Bühnenbild des neuen WKTheaterstück „Immer
nie am Meer“ platziert worden. Mit Tannenbäumen, Ästen und wild
verstreutem Laub drapiert, ist das Fahrzeug 60 Minuten lang
spektakulärer Spielort für die drei Hauptdarsteller des Stückes.
„Spiel“-Raum im Sinne von Bewegungsfreiheit ist nicht vorhanden.

Also zählen dramaturgisch allein Mimik, Gestik und das gesprochene
Wort. Eine große Herausforderung für die Laien-Schauspieler, doch
realistischer lässt sich das als Kammerspiel inszeniert Psychodrama,
mit seinen durchaus humorigen Einlagen, nicht inszenieren.

Drei Männer sind schicksalhaft in dem Fahrzeug eingeschlossen, das
der Geschichtslehrer Baisch (Kasper J. Zekorn) günstig bei eBay
ersteigert hatte.

Baisch, mit seinem versoffenen Schwager Anzengruber (Peter Becker) als
Beifahrer und dem Zufallsmitreisenden Alleinunterhalter
Schwanenmeister(Kurt Mai) unterwegs, war durch ein Ausweichmanöver
von der Straße abgekommen und eingekeilt zwischen Bäumen im Wald
gelandet.

Ein Notausstieg war nicht möglich, denn Baisch offenbarte das
Geheimnis des Fahrzeugs:

Es handelt sich um den ausgemusterten Dienstwagen des früheren
österreichischen Bundespräsidenten Waldheim. Besonderes Zubehör:
Panzerglasscheiben. Einschlagen nicht möglich! Rettung nicht in
Sicht! Die Aktionen im Fahrzeug wechseln von gleichgültiger
Gelassenheit bis hin zu Reaktionen völliger psychischer
Überforderungen.

Auf den Schrei: „Ich will hier raus!“ kommt die lakonische
Antwort: „Geht nicht!“ Immerhin ist ein Karton Sekt, eine Portion
Kartoffelsalat und ein Päckchen Kekse an Bord. Um einem menschlichen
Bedürfnis nachkommen zu können wird eine Sektflasche leergetrunken,
die Schwanenmeister schließlich als Urinal benutzt.

Die Gespräche drehen sich um allzu Menschliches: Von homosexuellen
Erfahrungen aus den Jugendtagen bis hin zur grotesk anmutenden Frage:
„Ruft man Hallo, Huhu oder schlicht Hilfe“, wenn man Rettung
herbeiholen möchte?

Die Nacht bricht herein. Während seine „Mitgefangenen“ noch
schlafen, kommt Baisch dem morgendlichen Drang zur Darmentleerung nach
und füllt unter wohligem Gestöhn eine im Auto gefundene Handtasche
mit seinem Darminhalt. Die rund 100 Zuschauer, die im Halbrund direkt
vor dem Aktionsbereich sitzen, reagieren unterschiedlich. Man lacht,
schaut ungläubig, nachdenklich oder nickt, um damit möglicherweise
den Mut des Regisseurs zu honorieren, der nichts auslässt. In einer
Nebenrolle spielt Lara Saynisch ein Kind, das sporadisch auftaucht,
die drei interessiert beobachtet, sie erschreckt, aber keinerlei Hilfe
anbietet! Sieht man das Theaterstück in seinem
gesellschaftskritischen Ansatz, kann man hier schnell Parallelen
ziehen:

Es gibt sie, die Schadenfreudigen, die Schaulustigen, die bei
Unfällen besonders gerne und genau hinschauen. Und es gibt sie, die
Menschen, die in ihrer Situation gefangen sind, wobei sich
vermeintliche Sicherheit als Falle erweist. (Ich will hier raus! –
Geht nicht!).

Regisseur und Theaterleiter Thorsten Schmidt wollte keine Unterhaltung
mit Klamauk sondern ein Stück mit Tiefe und aufgrund der derzeitigen
personellen Lage, mit nicht zu vielen Akteuren. Schmidt würde gerne
neue, vor allem junge Mitwirkende hinzugewinnen und ruft zum Mitmachen
auf!

Dass, wie im wahren Leben, nicht unbedingt immer ein Happy End
stattfinden muss, zeigt das Theaterstück. Unverhofft kommt
bekanntlich oft, und wie der Zufall es wollte, blieben am Sonntag
leider rund zwei Drittel der Zuschauerplätze leer: Sabine, das
angekündigte Sturmtief, schreckte ab.

Bei der Aufführung des WKTheaters wirkten außerdem mit: Inszenierung
und Regie: Thorsten Schmidt; Bühne und Technik: Jan Ising, Sven
Kubeile, Jonas Pardeyke, Bernd Radzwill, Michel Rothstein und Kaspar
J. Zekorn. „ Immer nie am Meer“ ist ein Theaterstück von Bernd
Steets nach Chistoph Grissemann, Dirk Stermann, Heinz Strunk, Jörg
Kalt und Antonin Svoboda.

- Jürgen Sommer

Redakteur/in:

RAG - Redaktion

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