Autorinnenlesung
Zum Schreiben braucht es Einsamkeit

Lucy Fricke (l.) las aus ihrem Roman „Töchter“ in der Buchhandlung Haupt. Deren Inhaberin Claudia Pauli hatte sie eingeladen. | Foto: Jürgen Sommer
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  • Lucy Fricke (l.) las aus ihrem Roman „Töchter“ in der Buchhandlung Haupt. Deren Inhaberin Claudia Pauli hatte sie eingeladen.
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Waldbröl - Lucy Fricke las in der Buchhandlung Haupt

Zwei Freundinnen, Martha und Betty, beide Mitte 40, fahren in einem
klapprigen, ölfressenden Golf Richtung Schweiz. Grund für die Reise
ist Marthas krebskranker Vater Kurt, der blutspuckend und inkontinent
als Passagier auf dem Rücksitz zu einem Sterbeinstitut in der Schweiz
chauffiert werden möchte, um dort seinem Leben legal ein Ende setzen
zu können.

Das ist das Eingangsszenario in Lucy Frickes viertem Buch
„Töchter“. Fricke, die mehrfach ausgezeichnete deutsche Autorin,
ist derzeit auf Lesereise quer durch die Republik und machte jetzt auf
Einladung der nhaberin der „Buchhandlung Haupt“, Claudia Pauli, in
Waldbröl Station.

Detailverliebt und ausdrucksstark beschreibt Fricke Charaktere,
Personen, Empfindungen und Eindrücke, Gerüche und Geräusche, kurz
alles, was der Mensch über seine Sinne wahrnehmen kann. Der Leser
oder wie im vorliegenden Fall der Zuhörer, taucht sehr schnell in die
Gefühls- und Erlebniswelt der Protagonisten ein. Im Kopfkino entsteht
ein buntes Roadmovie und man wird ungewollt zum Blinden Passagier, der
gemeinsam aber unsichtbar, mit dem kuriosen Trio im alten Golf eine
ebenso kuriose Reise erlebt, die über Umwege, mit unerwarteten
Wendungen, letztlich in Griechenland endet. Man wird zum neugierigen
Lauscher und entwickelt eine Empathie für die beiden Frauen, die
unter anderem ihre Sozialisation als Töchter von sehr
„speziellen“ Vätern und Stiefvätern Revue passieren lassen.

Fast drei Jahre hatte Fricke, die in Berlin lebt, an ihrem Roman
geschrieben, der durch den wohl dosierten Mix von Tragik, Komik, Witz,
Melancholie und Satire immer wieder für überraschende Wendungen
sorgt. „Töchter ist einer der stärksten deutschsprachigen Romane
des Frühjahrs“, so urteilt Spiegel Online. „Zum Schreiben braucht
man große Empfindsamkeit“, gesteht Fricke nach der 45-minütigen
Lesung und betont, dass alles, was im Roman passiert, nur ausgedacht
sei und es keine lebenden Vorbilder gebe. Das Schreiben vollzieht sich
bei ihr in Phasen. Dazu brauche sie Freiheit und Einsamkeit.

Die Ideen finden nicht immer geschmeidig und druckreif den Weg vom
Kopf in die Tastatur. So hat die gebürtige Hamburgerin die ersten 50
Seiten einige Male neu geschrieben und immer wieder überarbeitet. Die
letzten drei Monate vor dem, vom Verlag gesetzten Abgabetermin,
zwingen zum intensivsten Arbeiten, gesteht die Schriftstellerin, die
auch aus dem Nähkästchen plaudert, wenn sie lächelnd erklärt,
warum der Trip im Roman nicht wie geplant in der Schweiz endet:

„Ich musste die Reise am Ende nach Griechenland bringen, um meine
Notizen verwerten zu können“. 230 Seiten hat das Buch, das man
gerne auch ein zweites Mal liest und genießt, wobei einem Martha,
Betty und Kurt so vertraut werden, als hätte man sie persönlich
kennengelernt.

- Jürgen Sommer

Redakteur/in:

RAG - Redaktion

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