Dicke Bretter bohren
Eingliederungsprojekt für Menschen mit psychischen Erkrankungen
Alfter/Bonn - Externes Arbeitstraining: Hinter diesem Schlagwort verbirgt sich ein
(Wieder-)Eingliederungsprojekt von Menschen mit psychischen
Erkrankungen in den Arbeitsmarkt. Der Bonner Verein „Hilfe für
psychisch Kranke“ wurde für dieses Projekt nun ausgezeichnet. Ein
wichtiger Partner des Projekts ist die Alfterer Bücherei, mit dem der
Verein seit 25 Jahren kooperiert.
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Meist geht es mit wenigen Stunden in der Woche los, eingesetzt werden
sie nach ihren individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten. Seit 25
Jahren beschäftigt die Öffentliche Bücherei St. Matthäus Alfter
Praktikanten, die an einer psychischen Erkrankung leiden. Eingebettet
ist dieses Projekt in die Maßnahme „externes Arbeitstraining“,
die der Verein „Hilfe für psychisch Kranke e. V. Bonn/Rhein-Sieg“
(HfpK) auf Initiative von Hildegunt Schnütt bereits 1983 auf den Weg
brachte, 1999 wurde das Selbsthilfeprojekt im Rahmen der
Eingliederungshilfe, durch das Amt für Soziales und Wohnen
professionalisiert und steht damit seither allen betroffen Bonner
Bürgerinnen und Bürgern offen. Seit 2007 vermittelt auch das Bonner
Jobcenter psychisch erkrankte Kunden. Geeignete
Arbeitstrainingsplätze und Paten konnten in den unterschiedlichsten
Betrieben, in Schulen, Behörden oder Einrichtungen wie der Alfterer
Bücherei gefunden werden. Kürzlich belegte das Projekt „Externes
Arbeitstraining“ den dritten Platz der Arbeitsgemeinschaft
Gemeindepsychiatrie Rheinland e. V. und erhielt den mit 1.000 Euro
dotierten Förderpreis, der im Bonner Landesmuseum verliehen wurde.
Uwe Flohr aus Alfter, seit 12 Jahren stellvertretender Vorsitzender
des Vereins und zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit, freut
sich, dass das Team der Bücherei Alfter sich nicht nur seit einem
Vierteljahrhundert an dieser Maßnahme beteiligt, sondern auch ein
Arbeitstrainingsplatz der ersten Stunde ist. Patin ist bis heute
Büchereileiterin Franzis Steinhauer. Ziel dieser „großen
Aufgabe“ sei es, so Flohr, Menschen wieder zu aktivieren, zu
trainieren und ihnen eine Tagesstruktur im Alltag sowie die
Möglichkeit zu geben, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Der
Erfolg kann sich durchaus sehen lassen, rund 45 Prozent der Patienten,
die an diesem Training teilnahmen, konnten eine Ausbildung oder ihr
Abitur machen oder fanden einen Platz auf dem Arbeitsmarkt.
„Manchmal ist es schon ein Erfolg, wenn ein Mensch pünktlich bei
seinem Praktikumsplatz erscheint“, schildert Franzis Steinhauer,
„viele haben oft eine unschöne Kindheit hinter sich, körperlichen
und seelischen Missbrauch erfahren, sie fangen bei uns neu an und
müssen erst einmal Vertrauen fassen.“ Oft leiden die Menschen an
Depressionen und haben einen Burnout hinter sich, ergänzt Flohr, auch
heute werden diese Krankheiten noch tabuisiert. Bewusst sind die
Aufgabenbereiche niederschwellig angelegt, der Rahmen ist geschützt,
zunächst gehe es darum die Arbeitswelt einer Bibliothek
kennenzulernen, erklärt Franzis Steinhauer. Am Anfang sortieren die
Praktikanten Bücher ein, suchen die gewünschten Medien für die
Kunden heraus oder übernehmen einfache Bürotätigkeiten. Das
Büchereiteam erfährt nur dann von der Erkrankung des Praktikanten,
wenn dieser es auch möchte, denn den Mitarbeitern soll vorurteilsfrei
begegnet werden: „Die psychisch erkrankten Mitarbeiter werden von
uns behandelt wie jeder andere Praktikant auch“, ist Steinhauer
wichtig.
Ein Publikumskontakt erfolgt nur dann, wenn der Praktikant hierzu
bereit ist. Schritt für Schritt werden die Menschen an ihr neues
Aufgabenfeld herangeführt, sie lernen dabei mit Stress umzugehen,
betreuen die Bibfit-Kurse, bei denen Vorschulkinder ihren
Bibliotheksführerschein machen können oder assistieren bei den
diversen PC-Kursen. „Wir konnten einen Praktikanten fit machen fürs
Abitur, ein anderer Praktikant studierte anschließend
Bibliothekswesen und viele nehmen ihre Aufgabe „mit einer großen
Euphorie auf,“ freut sich die Büchereileiterin. Längstens können
die Teilnehmer zwei Jahre dabei sein und auch hier kann sich die
Erfolgsbilanz sehen lassen: „Bei uns hat noch keiner aufgehört.“
Die Teilnehmer, die einen Trainingsplatz innehaben, sind meistens
zwischen 28 und 40 Jahre alt. Noch steht dieses Angebot nur Bonner
Betroffenen zur Verfügung, doch man stehe im Kontakt mit den
Behörden des Rhein-Sieg-Kreises, um dieses Angebot auch für
Patienten in der Region anbieten zu können. Doch hier müssen noch
dicke Bretter gebohrt werden, meint Uwe Flohr.
Das externe Arbeitstraining ist nur eines von mehreren Angeboten, die
der 1980 von Angehörigen psychisch Kranker gegründete Verein HfpK
anbietet. Wichtigste Ziele sind aktive Aufklärungsarbeit durch
themenspezifische Filmvorführungen, Vortragsreihen oder ein offenes
Begegnungscafé. Weitere Angebote sind die Projekte „Seele trifft
auf Schule“, ein Informationsprojekt für Lehrer und Schüler, oder
die „Sonnenkinder“. Hier finden Kinder und Jugendliche von
psychisch kranken Eltern Unterstützung.
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
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