Infostele für Opfer
Hier soll ein Ort der Erinnerung entstehen
Oedekoven (fes). An ein ganz besonders dunkles Kapitel deutscher Geschichte erinnert seit kurzem eine Infostele am Alfterer Rathaus in Oedekoven: Die Namen all der Säuglinge, die zwischen Januar 1944 und März 1945 in der sogenannten „Ausländerkinder-Pflegestätte“ in Alfters ums Leben kamen, sind darauf verzeichnet.
Jeanette Schroerlücke, Alfters zweite stellvertretende Bürgermeisterin, und Thomas Klaus, Vorsitzender des Arbeitskreises Zwangsarbeit/“Ausländerkinder-Pflegestätte“ im Förderverein Haus der Alfterer Geschichte, und der Vorstandsvorsitzende der VR Bank Bonn Rhein-Sieg, Holger Hürten, enthüllten diese Stätte. Die Bank unterstützt die Gemeinde bei einer Crowdfunding-Aktion um einen Erinnerungsort mit einem Gedenkstein neben der Infostele zu schaffen. Dafür werden 5000 Euro benötigt (siehe Kasten).
Zum Hintergrund: 2021 hatte der ehemalige Gemeindearchivar Jens Löffler die Geschichte dieser Pflegestätte und der Zwangsarbeit auf dem heutigen Gebiet der Gemeinde Alfter während des Zweiten Weltkrieges aufgearbeitet und in einer knapp 30-seitigen Publikation zusammengefasst. Den Impuls diese Forschung aufzunehmen, gab ein Bürgerantrag, eingereicht in den Haupt- und Finanzausschuss. Rund 13,5 Millionen Ausländer mussten unter dem Nazi-Regime unter schlimmsten Bedingungen arbeiten, 80 bis 90 Prozent von ihnen als Zwangsarbeiter. Die Auswertung von Meldekarten ergab, dass gut 590 Ausländer in Alfter im Einsatz waren, der größte Teil kam aus osteuropäischen Ländern. Untergebracht waren sie meist direkt bei ihren Arbeitgebern, also bei Landwirten und Betrieben oder in diversen Lagern. Acht Lager zwischen Witterschlick und Alfter-Ort sind bekannt.
Schwangere Zwangsarbeiterinnen waren den Nationalsozialisten sowohl aus ökonomischer als auch rassenideologischer Sicht „ein Dorn im Auge“, schreibt Jens Löffler, denn die „Aufrechterhaltung der Produktion“ galt als Hauptziel, doch „trotz aller Anstrengungen war es den Nazis nicht möglich, Schwangerschaften von Zwangsarbeiterinnen zu unterbinden.“ Schätzungen gehen von 40 000 Schwangerschaften im gesamten damaligen Reichsgebiet aus, wovon einige Frauen bereits schwanger verschleppt worden waren. Zunächst schoben die Nazis schwangere Frauen in ihre Heimatländer ab, als jedoch die Schwangerschaften unter ihnen massiv anstiegen, wurden zunehmend Entbindungs- und Kinderanstalten errichtet. Die Heime erhielten bewusst die beschönigende Bezeichnung „Ausländerkinder-Pflegestätten“, in den Dienststellen sprach man hingegen schlicht von „Aufzuchtsräumen für Bastarde“. Für Alfter ist laut Löffler die Existenz einer solchen Einrichtung seit Mai 1944 belegt. Die Literatur berichtet seit 1990 darüber. Eine eigene Untersuchung hierzu gab es bis 2021 nicht. Die Pflegestätte soll Quellen und Zeitzeugen zufolge am „Landgraben 112“ in Alfter-Ort gestanden haben, der Adresse des Ortsbauernführers Johann Hennes. Mutmaßlicher Träger der Pflegestätte war die Kreisbauernschaft Bonn, die Organisation vor Ort lag jedoch in den Händen des Ortsbauernführers. Von 19 verstorbenen Säuglingen konnten 14 namentlich identifiziert werden. Ihre Namen sind auf der Infostele zu lesen.
In diesen Pflegestätten fehlte es an allem, nicht nur an Kleidung, Windeln, Bettwäsche und Handtüchern, sondern auch an Stroh für die Betten. Oft waren die Räume unterkühlt, Wasser gab es kaum und Nahrungsmittel wurden weder den Säuglingen noch den Müttern in ausreichender Menge zugeteilt.
„Die Geschichte des Nationalsozialismus lässt uns nicht los. Wir enthüllen heute als sichtbares Zeichen der Erinnerung diese Infostele, die die Namen der in Alfter misshandelten Kinder trägt“, sagte Jeanette Schroerlücke. „Mit dem Gedenkstein wird die Erinnerung an die deutschen Verbrechen und deren Aufarbeitung während der NS-Zeit fortgesetzt. Es ist schmerzlich, zu erfahren, dass solche schrecklichen Taten auch vor unserer Haustüre passiert sind. Die in der sogenannten Alfterer ‚Ausländerkinder-Pflegestätte‘ getöteten Babys und Kleinkinder lebten bis zu ihrem frühen Tod unter miserabelsten Bedingungen. Sie sollen nicht vergessen werden. Jede Spende hält die Erinnerung wach“, erklärte Thomas Klaus.
Crowdfunding-Kampagne
für einen GedenksteinJeder der das Projekt unterstützen möchte, kann ab sofort auf der Crowdfunding-Plattform www.viele-schaffen-mehr.de/projekte/erinnerungsort-zwangsarbeit spenden. Die Mindestsumme von 5.000 Euro muss innerhalb von 90 Tagen erzielt werden, nur dann kann der Gedenkstein realisiert werden. Jedes Funding ab 10 Euro pro Unterstützer bezuschusst sie mit weiteren 10 Euro. Hintergründe zu der Kampagne, zu dem Arbeitskreis und zu die Dokumentation zum Thema „Ausländerkinder-Pflegestätte“ finden sich unter www.zwangsarbeit-in-alfter.de. Die Publikation kann kostenlos heruntergeladen werden.
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.