Gedenken an die jungen Opfer
Zeugen der "Ausländerkinder-Pflegestätte" gesucht

Eine besondere Gedenkstunde für bedrückend junge Opfer des Nationalsozialismus in Alfter: Die anwesenden Politiker legten Steine mit den Namen der verstorbenen Säuglinge nieder, die heute etwa 75 oder 76 Jahre alt hätten sein können. Sie starben 1944/45 in der „Ausländerkinder-Pflegestätte“ der Nazis in Alfter. | Foto: Frank Engel-Strebel
  • Eine besondere Gedenkstunde für bedrückend junge Opfer des Nationalsozialismus in Alfter: Die anwesenden Politiker legten Steine mit den Namen der verstorbenen Säuglinge nieder, die heute etwa 75 oder 76 Jahre alt hätten sein können. Sie starben 1944/45 in der „Ausländerkinder-Pflegestätte“ der Nazis in Alfter.
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Alfter-Oedekoven - (fes) „Für mich ist der Holocaust ein wesentlicher Teil
deutscher Geschichte, an dem ich schwer trage und den viele nicht mehr
wahrhaben wollen. Daher möchte ich betonen, dass es bei dieser
Erinnerung nicht um Schuld der heute Lebenden geht, die zum damaligen
Zeitpunkt noch gar nicht gelebt haben. Es geht vielmehr um unsere
gemeinsame, kollektive Verantwortung, “ betonte Alfters
Bürgermeister Rolf Schumacher (CDU) bei einer besonderen Gedenkstunde
vor dem Alfterer Rathaus in Oedekoven.

Gemeinsam mit den Fraktionsvorsitzenden des Gemeinderates und den
Ortsvorstehern hatte er zu einer bewegenden Trauerfeier vor dem
Alfterer Rathaus in Oedekoven eingeladen, um einer besonders
„grausamen Wahrheit“ zu gedenken. Wie berichtet hatte
Gemeindearchivar Jens Löffler vor einigen Wochen eine detaillierte
Dokumentation zur Zwangsarbeit und zur Ausländerkinder-Pflegestätte
während der NS-Zeit in Alfter herausgegeben.

Den Impuls für die Recherchen gab ein Bürgerantrag der Studentin
Lynn Busch. Mindestens 19 Kinder waren in dieser Pflegestätte im
Landgraben in Alfter-Ort verstorben, von 14 sind die Namen bekannt.
Ihre Namen waren auf lackierte Kieselsteine geschrieben und lagen auf
einem Tisch vor dem Rathaus. Für die namenlosen Säuglinge hatte ein
Künstler Steine mit Engelsflügeln und Schmetterlingen bemalt.

Die Babys kamen 1944/1945 in der Ausländerkinder-Pflegestätte in
Alfter ums Leben. Schwangere Frauen, meist Zwangsarbeiterinnen aus
Osteuropa, die zur Arbeit auf den heimischen Höfen oder in Firmen
verpflichtet worden waren, mussten ihre frisch entbundenen Kinder in
dieser Stätte abgeben, damit sie weiterhin ihren Tätigkeiten
nachgehen konnten. Die meisten Mädchen und Jungen verstarben dort
durch Mangelernährung oder Krankheiten. Folglich sei der Begriff
„Kinderpflegestätte“ laut Schumacher auch eine zynische
Bezeichnung für diesen Ort.

„Wie viele Alfterer haben von den Morden gewusst? Wie viele Alfterer
waren an den Verbrechen beteiligt? Wir werden es nie erfahren.“ Mit
diesen eindringlichen Worten begann der SPD-Fraktionsvorsitzende
Thomas Klaus seine Trauerrede. Klaus sprach jedoch nicht als
Politiker, sondern als Vorsitzender der im März gegründeten
Arbeitsgruppe „Zwangsarbeit/Ausländerkinder-Pflegestätte“. Die
deutsche Bevölkerung habe die begangenen Verbrechen nach 1945 nicht
mehr wahrhaben wollen.

„Es waren lange Taten ohne Täter. Zack, mit der ‚Stunde Null‘
war 1945 alles vergessen. Aus heutiger Sicht waren es nicht nur Adolf
Hitler oder die SS in den Konzentrationslagern, es waren auch unsere
Urgroßväter, Großväter, Väter, auch Mütter in geringerem Umfang,
die gemordet haben.“ Besonders erschütternd sei es, so ortsnah mit
damaligen Verbrechen konfrontiert zu werden und auch noch die Namen
der Babys zu kennen, die durch Unterlassen umgebracht worden seien.
Und zu wissen, dass die Täter nach 1945 ein ganz normales Leben
führen konnten. Nach den Trauerreden legten Schumacher und Klaus
einen Kranz in Gedenken an die verstorbenen Säuglinge nieder. Die
anwesenden Politiker platzierten die Gedenksteine darum.

Um die Erinnerung an die Opfer weiterhin aufrecht zu halten, ist ein
Online-Vortrag zu den Recherchen mit Jens Löffler über die
Volkshochschule Bornheim/Alfter geplant. Ein Termin wird noch
bekanntgegeben. Sofern coronabedingt möglich, soll es
Präsenzangebote geben, um die Dokumentation öffentlich vorzustellen,
etwa in Zusammenarbeit mit dem Förderverein Haus der Alfterer
Geschichte.

Zeitzeugen werden gesucht

Gesucht werden zudem Zeitzeugen, die noch über die Zustände der
Pflegestätte berichten können. Sie können sich an Archivar Jens
Löffler per Telefon 0228 - 6484-139 (nur montags) oder per E-Mail an
archiv@alfter.de wenden. Die
Dokumentation kann kostenlos unter dem Link
https://www.alfter.de/schnellzugriff/gemeindeinfos/
heruntergeladen werden.

Die Namen der verstorbenen Pflegekinder

  • Edmund Bogdanowa,[/*]
  • Alexander
  • Hontar/Contar,[/*]

  • Michael Leoschik,[/*]
  • Jurik
  • Jawlowskaja,[/*]

  • Halina Konikowa,[/*]
  • Thadäus
  • Masurkewitsch,[/*]

  • Viktor Morkunow,[/*]
  • Johann
  • Plachina,[/*]

  • Wladislaus Polosowa,[/*]
  • Anneliese
  • Saruba,[/*]

  • Marija Sinjuk,[/*]
  • Rolf-Dieter
  • Trizipanzek,[/*]

  • Viktoria Tschupwina,[/*]
  • Peter
  • Turulina.[/*]

Redakteur/in:

RAG - Redaktion

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