Erlebnisreisen durch das Gehirn
Gedächtnistrainerin Judith Schmitz bietet dem Vergessen die Stirn
Zunehmende Vergesslichkeit gehört zum Alter wie Falten und graue Haare. Doch wann hört bloße Tüdeligkeit auf und fängt eine Demenz an? Regelmäßiges Training bringt die grauen Zellen auf Trab und macht dem Gedächtnis Beine. Mit ihren Kursen zeigt Judith Schmitz, wie man das Gehirn mal ordentlich durchlüftet und geistig fit im Alltag bleibt. „Gedächtnistraining kann Demenz nicht heilen, aber aufhalten“, ist sie überzeugt.
Kreuzworträtsel und Sudoku, die Lieblingsbeschäftigung vieler älterer Menschen, sind gut und schön, so Judith Schmitz. „Wichtiger aber ist, die ausgetretenen Wege zu verlassen, um dem Gehirn Anreize zu verschaffen und neue Nervenverbindungen herzustellen“, rät die zertifizierte Gedächtnistrainerin und Musikpädagogin. Um auf der Hirnautobahn noch lange auf der Überholspur zu fahren, übt sie mit Paaren und Singles über 60 die Konzentration des Kurzzeitgedächtnisses. Bewegungs-Koordinationsübungen gehören ebenso zu einem ausgewogenen Gedächtnistraining wie die Biographiearbeit.
Erinnerungen aktivieren
Ihre Kurs-Teilnehmer im katholischen Pfarrheim in Paffendorf und Oberaußem lassen sich gern mitnehmen auf die lustige Erlebnisreise durch das Gehirn und lernen Techniken kennen, wie sie sich Namen oder Zahlen besser merken können. Mit viel Spaß werden Wörter gesucht, Sätze vervollständigt, kleine Gedichte und Geschichten erdacht, gesungen und geklatscht. Viel trinken und Bewegung sind ebenfalls wichtig, um oben herum nicht einzurosten.
Im Pflegeheim sieht Gedächtnistraining schon ganz anders aus. Denn die Möglichkeit sich etwas zu merken, also Gedächtnis aufzubauen und es zu verbessern, ist durch die Krankheit zu stark eingeschränkt oder weitgehend verloren gegangen, so die Deutsche Alzheimer Gesellschaft. Je nach Fortschreiten der Erkrankung kann das Kurzzeitgedächtnis bereits so stark beeinträchtigt sein, dass sich die Betroffenen aktuelle Geschehnisse nicht mehr einprägen können. Deshalb ist es unterstützender, wenn die Erinnerungen aktiviert werden, die im Langzeitgedächtnis abgelegt sind. Fragen nicht beantworten zu können, führt leicht zu Enttäuschung und Frustration. „Grundsätzlich ist es wichtig, dass die Übungen Spaß machen und zu Erfolgserlebnissen führen. Das stärkt das Selbstwertgefühl“, so Judith Schmitz.
Schneeflöckchen bei der Sitzgymnastik
„Meine Knochen sind im Eimer, aber das hier kann ich gut mitmachen“, sagt die betagte Seniorin, die keinen Termin mit Judith Schmitz auslässt. Jede Woche kommt die gebürtige Aachenerin zum Training vorbei und arbeitet mit den Bewohnerinnen und Bewohnern in der AWO Quadrather Pflege- und Betreuungseinrichtung. Sie spricht laut und deutlich, holt die an den Rollstuhl oder an den Rollator gefesselten Frauen aus ihrer zusammengesunkenen Haltung und gequetschten Atmung heraus. Es hat geschneit, ein schöner Anlass, um ganz tief in die Erinnerungen abzutauchen und ein bisschen Biographiearbeit einzubauen. Alle Sinne werden angesprochen – Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten und Fühlen. Plötzlich sprudeln die Gedanken an früher nur so – wie das war beim Schlittschuhfahren auf dem Weiher, mit dem Schlitten am Huddeletum, beim Skifahren in Bayern oder als Kind bei einer Schneeballschlacht. Mit den Bildern im Kopf kommen lange unbenutzte Wörter wieder in den Sinn, ganze Liedtexte fallen wieder ein. Am Ende singt die ganze Gruppe mit einem seligen Lächeln „Schneeflöckchen, Weißröckchen“ und schwenkt bei der Sitzgymnastik selbstgebastelte Taschentuch-Schneeflocken im Takt.
Selbstwertgefühl stärken
Niemand über- oder unterfordern ist die hohe Kunst dabei, deshalb bereitet Judith Schmitz für jeden Kurs ein besonderes Programm vor. Die Fitten bringt die gelernte Erzieherin und Musikpädagogin gern auch mal an ihre Grenzen, Menschen mit Demenz begegnet sie mit Geduld und viel Einfühlungsvermögen. Dieses Wissen gibt sie auch in Fortbildungen weiter und schult Betreuungsassistenten und Angehörige, geistige Aktivierungen mit und ohne Stift und Papier durchzuführen.
Ein zweiter Schwerpunkt ist die Musik – die „Erlebnisreisen in Wort und Ton“, die etwa regelmäßig in der Stadtbibliothek Bergheim stattfinden, holen Menschen mit Demenz und Angehörige ab und bieten eine Auszeit vom Alltag. Neu im Repertoire sind der Rollator-Tanz oder das Fortbildungs-Thema „Kunst und Musik in der Demenz“. Kunst nicht „trotz Demenz, sondern mit Demenz“ – alles ist möglich.
Die nächste „Erlebnisreise in Wort und Ton“ ist am Donnerstag, 21. Februar, von 16:00 bis 17:00 Uhr in der Stadtbibliothek Bergheim. Wie war das früher im Karneval? Dieser Frage geht Judith Schmitz in heiterer Runde bei Musik und Mutzen auf den Grund. Mit ihrem erfolgreich gestarteten Konzept im Rahmen der Lokalen Allianz für Menschen mit Demenz möchte die Gedächtnistrainerin und Musikpädagogin Erinnerungen wecken und mit einem wahren Fundus an Geschichten, Liedern und Gedichten berühren und zu Gesprächen anregen. Der Eintritt ist kostenlos, um Anmeldung wird gebeten unter stadtbibliothek@bergheim.de, Telefon 02271 – 89 – 380.
LeserReporter/in:Andrea Floß aus Bergheim |
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