Heimatpreis 2022 in Bergheim verliehen
Zeitzeugen-Interviews bauen Brücken
Der Q1-Zeitzeugen-Kurs der Gesamtschule Bergheim hat den zweiten Platz beim Heimatpreis NRW für das Projekt "Jüdisches Leben in Bergheim" gewonnen. Erster wurde der Museumsverein der Stadt Bergheim mit dem Projekt „Früher war es anders schön“, der Bergheimer Geschichtsverein landete mit dem Jahrbuch „Geschichte in Bergheim“ auf den dritten Platz. Zum vierten Mal hatte die Kreisstadt Bergheim zur Teilnahme an der NRW-Initiative aufgerufen.
Unter dem Motto „Heimat. Zukunft. Nordrhein-Westfalen – Wir fördern, was Menschen verbindet“ würdigt der Heimatpreis Engagement und Praxisbeispiele, verbunden damit sind Preisgelder in Höhe von 3.000, 1.500 und 500 Euro sowie hochwertige Glastrophäen des Landesministeriums NRW, die Bürgermeister Volker Mießeler höchstpersönlich den Ausgezeichneten überbrachte.
Beworben hatten sich die Schüler*innen Caro Beulke, Johannes Pfordt und Franca Lang mit der Vertonung der bewegenden Briefe der Holocaust-Überlebenden Sally Simons und Rosa Eckstein, die auch während der Stolpersteinverlegung in Quadrath-Ichendorf im August 2022 verlesen wurden. Auch in diesem Jahr war der Zeitzeugen-Projektkurs wieder unterwegs, die Rechercheergebnisse sind auf der städtischen Homepage nachzulesen. Mit Familienforschung, die sich diesmal hauptsächlich um die Bergheimer Familie Schnog drehte, einer Stadtführung und einem Tanzworkshop schlugen die Jugendlichen bei Interviews mit drei Jüdinnen Brücken zwischen den Kulturen: Inessa Burdsgla, Inhaberin der Bergheimer Tanzschule Belaro, kam im Alter von zwölf Jahren aus der Ukraine mit ihrer Familie nach Deutschland. Nancy Schnog ist die Urenkelin des Bergheimers Arnold Schnog und Dr. Dana Seewi ist in Köln geboren und aufgewachsen.
Komischer deutscher Nachname
Auf Spurensuche nach ihren deutschen Vorfahren klopfte Nancy Schnog (63) bei der neuen Bergheimer Stadtarchivarin Lena Delbach an. Ihr Uropa Arnold Schnog ist am 6. April 1871 in Bergheim geboren und lebte später mit seiner Frau Friederika und den beiden Kindern Selma und Ludwig, Nancys Großvater, in Köln. Dem Schneidermeister und seiner Familie war Ende der 1930er Jahre noch die Flucht nach Amsterdam gelungen, wo er am 28. Mai 1943 angesichts der bevorstehenden Deportation an einem Herzinfarkt starb. Seine Frau und seine Tochter wurden 1943 kurz nach ihrer Ankunft im polnischen Vernichtungslager Sobibor ermordet. Sohn Ludwig, Jahrgang 1903, überlebte: Er emigrierte 1940 mit seiner Frau Margaret und den gemeinsamen Kindern, den damals neunjährigen Zwillingen Alfred und Norbert, in die USA. Während der stolze Amerikaner nach dem Trauma des Holocausts mit Deutschland anfangs nichts mehr zu tun haben wollte, begann Nancys Vater Alfred später mit Nachforschungen zu seiner Familiengeschichte, die ihn wie seine Tochter nach Bergheim und Deutz führten. "So langsam fühle ich mich auch ein bisschen als Bergheimerin“, gestand die pensionierte Englischlehrerin den Jugendlichen im Videochat. Verheiratet mit einem Israeli, hat sie den „komischen deutschen Nachnamen“ behalten. „Ich bin und bleibe Schnoggy".
"Ich will mich nicht mehr verstecken"
Für Inessa Burdsgla, die seit 2012 mit ihrer Tochter in Bergheim lebt, waren die „Jüdischen Kulturwochen“ 2021 der Anlass, sich zum ersten Mal öffentlich zu ihren Wurzeln zu bekennen. Geboren 1979 in Kiew, kam sie mit ihren Eltern Anfang der 90er Jahre nach Deutschland. Georgisch-orthodox getauft und mit nicht-jüdischem Nachnamen war sie es gewohnt, ihren Glauben aus Angst vor Anfeindungen geheim zu halten. In Deutschland wähnte sich die junge Ballettschülerin zunächst in Sicherheit, wurde dann aber wegen ihres Davidsterns von Jugendlichen angepöbelt. „Ich trage meine Halskette heute nicht mehr“, sagt Inessa. Nach ihrem Outing habe sie anfangs Angst gehabt. "Aber ich will mich nicht mehr verstecken."
Da es in Bergheim keine jüdische Gemeinde mehr gibt und nur noch wenige Zeitzeugen, nahmen die Jugendlichen das Angebot gern an, mit der Kölnerin Dr. Dana Seewi (56) zu sprechen. Als Kind habe sie sich oft als Außenseiterin gefühlt, auch Beschimpfungen waren ihr nicht fremd. „Ich bin nicht religiös, fühle mich dem Judentum aber natürlich sehr verbunden durch die Geschichte meiner Eltern und Großeltern“, sagt die 56jährige. Ihre Mutter Margot Rapp war als 13-Jährige mit einem der letzten Kindertransporte nach Israel gekommen, ihre Eltern hatten sich dort kennengelernt. Einen Rat gab die promovierte Betriebswirtin und Ford-Mitarbeiterin den Schülerinnen und Schülern noch mit auf den Weg: „Lauft nie einfach der Mehrheit hinterher – die Geschichte darf sich nicht wiederholen.“
Die Gesamtschüler wollen einen Großteil ihres Preisgeldes an eine Organisation spenden, die sich gegen Antisemitismus einsetzt - welche, stand noch nicht fest.
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LeserReporter/in:Andrea Floß aus Bergheim |
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