Flüchtlingssituation
Hilfe leisten bei alltäglichen Herausforderungen

Asem, Mooaz (v.l.) und Muhammed (r.) im Gespräch mit Jugendcafé-Leiter Thomas Nolden | Foto: Deitenbach
  • Asem, Mooaz (v.l.) und Muhammed (r.) im Gespräch mit Jugendcafé-Leiter Thomas Nolden
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Eitorf - In der jüngsten Sitzung des Integrationsrats gab das Fachamt aktuelle
Zahlen zur Flüchtlingssituation in Eitorf bekannt. Demnach wurden
seit 2015 mehr als 500 Asylsuchende zugewiesen. Wieviel davon
tatsächlich noch hier leben, lässt sich laut Sachbearbeiter Joachim
Pohl nicht wirklich sagen, da anerkannte Flüchtlinge sich selbst
Wohnungen auf dem freien Markt suchen können und oft keine Kenntnis
über ihren Verbleib besteht.

Auch ziehen inzwischen Flüchtlinge, die keine Wohnsitzauflage mehr
haben, nach Eitorf, ohne hier als Asylbewerber erfasst zu werden. Je
nach Status fallen viele auch in die Zuständigkeit der Arbeitsagentur
und so verwischt sich im Laufe der Zeit die allgemeine Statistik.
Konkrete Erfassung ist nur noch für die inzwischen auf 25 reduzierten
gemeindlichen Unterkünfte möglich. Dort wohnen aktuell 159 Personen,
demnach nur unbedeutend weniger als vor einem Jahr. Davon befinden
sich 85 Menschen noch im Verfahren, 50 sind abgelehnt, aber aus
verschiedenen Gründen weiter hier geduldet, die Übrigen wurden
bereits anerkannt, haben einen Flüchtlingsstatus oder subsidiären
Schutz. Abgeschoben wurden aus Eitorf bisher knapp 20 Menschen,
freiwillig in ihre Heimat zurückgekehrt sind bislang nur einige
wenige.

Einblick in die Flüchtlingssituation hinter den nackten Zahlen fand
das Extra-Blatt im Jugendcafé. Arbeitsstelle, Ausbildungsplatz oder
eigene Wohnung sind wichtige Meilensteine auf dem Weg zu Integration
und gesellschaftlicher Teilhabe, aber schnell stoßen Flüchtlinge
dabei an ihre Grenzen, stellt OT-Leiter Thomas Nolden mehr und mehr
fest. Zwar haben viele inzwischen Integrationskurse erfolgreich
absolviert, beherrschen auch die deutsche Sprache immer besser, aber
gesellschaftliche Rahmenbedingungen bleiben oft ebenso Neuland wie
gesetzliche Vorgaben im Arbeits-, Miet-, Verkehrs- oder Steuerrecht.

Zwar gibt es für viele Anliegen Beratungsstellen, doch längst nicht
alle Betroffenen nehmen zunächst überhaupt wahr, dass
Beratungsbedarf besteht, weil Dinge anders gehandhabt werden als aus
der Heimat gewohnt. Wird das Informationsdefizit dann erkannt, mangelt
es oft an Kenntnis der Zuständigkeiten oder an sachlichen
Grundkenntnissen, um das eigene Anliegen zu thematisieren. Sozialamt
oder Arbeitsagentur als Wegweiser werden oft gescheut, fühlt man sich
doch dem Behördendschungel endlich entronnen.

So zeigt sich Beratungsbedarf bei Alltagsfragen inzwischen immer
deutlicher auch im Jugendcafé. Junge Flüchtlinge - die Angebote
stehen jungen Menschen bis zum Alter von 27 Jahren zur Verfügung -
haben das gemeindliche Jugendcafé meist frühzeitig kennengelernt als
Ort nicht nur für Freizeitgestaltung, sondern für Begegnung,
Kommunikation, Kultur- und Bildungsangebote und nicht zuletzt als
niederschwellige, vertrauliche Anlaufstelle bei allen
Alltagsproblemen.

Diese reichen von der Hilfe bei Schulangelegenheiten oder der Frage,
wohin man schicklich ein Mädchen ausführen kann, über die
Kündigung von Handyverträgen oder Zeitschriftenabos, der Buchung von
Flugtickets, der Erläuterung von Behördenschreiben oder Hilfe beim
Ausfüllen von Formularen bis zur Unterstützung bei Bewerbungen und
Anträgen für Krankenkassen oder Kindergeld, weiß OT-Leiter Thomas
Nolden aus seinem Arbeitsalltag.

Aktuell mehren sich auch Fragen zu zunehmend obligatorischen
Onlineanmeldungen, beispielsweise für Kindergärten oder Schulen.
Seit Jahresbeginn kommen auch immer mehr arbeitende junge Menschen mit
Lohnsteuerbescheiden, die sie weder verstehen, noch wissen, wozu sie
dienen. Vergleichbare Informationsdefizite haben oft auch deutsche
Jugendliche, vor allem bei bildungsfernem Elternhaus, hat Nolden bei
Vergleichen festgestellt, aber bei den jungen Flüchtlingen treten sie
gehäuft auf.

Der OT-Leiter und sein Team bewegen sich bei der Integrationshilfe auf
einem schmalen Grat. Während die Hilfe bei Bewerbungen,
Onlineanmeldungen oder Antragsstellungen in der Regel unkritisch ist,
müssen sie bei Rechtsfragen an Fachstellen oder Behörden verweisen.
Doch auch um diese zielgerichtet kontaktieren zu können, fehlt den
Jugendlichen oft Grundwissen.

Individuell wäre Unterstützung hier kaum zu leisten, daher fassen
die OT-Kräfte gerne Hilfesuchende mit ähnlichen Anliegen in
Kleingruppen zusammen. So erklärte Nolden jüngst den Syrern Asem und
Moaaz, die bei einer Fastfood-Kette arbeiten, Inhalt und Zweck von
Lohnsteuerbescheiden, um sie auf die Beratung bei Steuerbüros oder
Lohnhilfevereinen vorzubereiten. Muhammed, der im Irak ein
Ingenieurstudium abgeschlossen hat, hier aber bisher nicht in seinem
Beruf arbeiten darf, nutzte die Gelegenheit, sich frühzeitig zu
informieren.

In ihren Heimatländern gebe es keine allgemeine Steuerpflicht, sind
sich alle drei einig. Steuerklassen oder Lohnabzüge für
Sozialversicherungen sind ihnen ebenso fremd wie die Möglichkeit
durch Lohnsteuerausgleich zu viel gezahlte Steuer zurück zu bekommen.
Der Unterschied zwischen Minijob und sozialversicherungspflichtigem
Arbeitsverhältnis ist genauso erklärungsbedürftig wie der zwischen
Brutto- und Nettolohn oder die steuermindernde Wirkung von Fahrtkosten
oder der Anschaffung von Arbeitskleidung.

Dass der Arbeitgeber Beiträge zur Rentenversicherung abführt und
damit Grundlagen für eine spätere Rente geschaffen werden ist ebenso
unbekannt. Begrifflichkeiten wie „zu versteuerndes Einkommen“ oder
„Identifikationsnummer“ werden hinterfragt, Tipps wie die Nutzung
eines Nettolohnrechners im Internet zur Einschätzung ob ein
Jahresausgleich lohnt, werden dankbar angenommen.

Nach dem Gespräch fühlen sich die jungen Männer der Integration
wieder einen Schritt näher gekommen und künftigen
Steuerangelegenheiten eher gewachsen.

Redakteur/in:

RAG - Redaktion

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