Baustoffspendenzentrum NRW
„Bedarf der Betroffenen ist weiter enorm!“
Auch ein Jahr nach der Flutkatastrophe sind bei weitem nicht alle Schäden behoben. Das gilt für städtisches wie für privates Eigentum gleichermaßen. „Der Bedarf ist immer noch enorm“, weiß Tibor Schady vom Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), Helfer der ersten Stunde und Leiter des Baustoffspendenzentrums NRW am Bonner Ring 57 in Erftstadt- Lechenich.
Erftstadt. „Bei all meiner Berufserfahrung mit Kampfmittelbeseitigungen samt Evakuierungen in Köln und vielem mehr, so etwas habe ich noch nie erlebt“, blickte Jörg Breetzmann auf die Geschehnisse rund um den 14./ 15. Juli zurück und betonte: „Was da von allen in Erftstadt geleistet wurde, grenzt an ein Wunder, wenn man bedenkt, dass es hier keine Toten oder Schwerverletzten gab“, so der 1. Beigeordnete der Stadt. Breetzmann vertrat die erkrankte Bürgermeisterin Carolin Weitzel im Baustoffspendenzentrum NRW in Lechenich. Dort hatte sich auch der Landtagsabgeordnete Gregor Golland eingefunden: „Ich konnte die Bilder der Zerstörung und die erschreckenden Zahlen nicht fassen: 49 Tote in NRW – und im Ahrtal war alles noch schlimmer.“
Das Ausmaß dieser Jahrhundert-Naturkatastrophe beschäftigt unzählige Menschen in der Region noch heute, ein Jahr danach: „Viele Betroffene stecken noch mitten in den Arbeiten“, sagt Tibor Schady, der genau weiß, wovon er spricht. Er war ein Helfer der ersten Stunde – wie so viele andere auch. Zahlreiche Helfer und Hilfsorganisationen hatten sich nun, knapp ein Jahr nach der Katastrophe, in Lechenich versammelt, um das Jahr Revue passieren zu lassen, aber auch, um einen Ausblick zu wagen:
Rettung in Radladern & Helikopter von Bohr-Plattformen
„Die Lage war in diesen Stunden in Erftstadt dramatisch – 80 Fahrzeuge mit Insassen auf der gefluteten Luxemburger Straße, die Angst vor einer radioaktiven Verseuchung im Krankenhaus Frauenthal durch medizinisches Gerät, eine Kerosin- und eine Gasleitung in Erp, die zu bersten drohten, und nicht zuletzt Boote aus Hamburg und Hubschrauber, die von Öl-Bohr-Plattformen aus der Nordsee angefordert wurden, weil diese über Winden zur Rettung von Menschen verfügten, sind ja nur einige der Facetten, die das Ausmaß widerspiegeln“, fasste Breetzmann zusammen. „Hinzu kam, dass die Infrastruktur massiv geschädigt war: überflutete Autobahnen und Straßen, kein Strom, kein Internet. Dass es da gedauert hat, das Chaos zu sortieren, ist nicht verwunderlich“, betonte Breetzmann, der sich noch einmal bedankte: „Bei allen, die sofort geholfen haben – von den Landwirten, die mit Radladern sogar Menschen in Schaufeln am Krankenhaus gerettet haben, über die Ortsbürgermeister, die als Sprachrohr für die Menschen vor Ort fungierten, bis hin zu allen Helfern, egal, ob Polizei, Feuerwehr, THW, ASB, DRK, Johanniter, Malteser und so weiter oder die vielen freiwillig Organisierten - die Solidarität war phänomenal“, versuchte Breetzmann den Bogen über alle Engagierten hinweg zu spannen.
Bei aller Kritik: „Zusammenarbeit war sehr gut!“
Bei aller, auch berechtigter Kritik – „das Ganze wird ja umfassend in einem Untersuchungsausschuss aufgearbeitet“, betonte Gregor Golland – lautete das Fazit von Tibor Schady rückblickend: „Die Zusammenarbeit nach der Katastrophe war insgesamt sehr, sehr gut.“ Erst recht, wenn man bedenkt, „dass viele in der Stadtverwaltung, bei Feuerwehren und Hilfsorganisationen selbst massiv betroffen waren, und trotzdem zuerst ihren Dienst geleistet haben, weit über das normale Maß hinaus“, so Breetzmann.
Nach den Aufräumarbeiten, standen dann die Wiederaufbauarbeiten an. „Und da ist der Stand auch heute noch total unterschiedlich. Bei einigen ist alles wieder in Ordnung, manche befinden sich im Endspurt, doch bei vielen bleibt auch noch immens viel zu tun. Bei einigen hat der Wiederaufbau sogar noch gar nicht begonnen - weil Gutachten fehlen oder immer noch zu viel Feuchtigkeit in Mauern und Böden steckt“, berichtete Tibor Schady. Umso glücklicher zeigte er sich, dass ein echtes Erfolgsprojekt langfristig fortgesetzt werden kann: das Baustoffspendenzentrum NRW.
Planungssicherheit bis zum 31. März 2023
„Dank der Stadt Erftstadt, der Aktion ‚Deutschland hilft e.V.‘ und dem ASB herrscht nun Planungssicherheit bis zum 31. März 2023“, freute sich Schady, der aber betonte: „Die Spendenbereitschaft hat massiv nachgelassen.“ Deshalb lautete sein Appell: „Bei allen aktuellen Krisensituationen, vergessen Sie bitte nicht die Betroffenen der Flut.“
Denn die besuchen auch ein Jahr nach der Katastrophe noch immer häufig das Zentrum am Bonner Ring – „zwischen 50 und 70 pro Tag, manchmal auch deutlich mehr, nicht nur aus Erftstadt, sondern auch aus Nachbarstädten bis Bad Münstereifel!“
Baustoff-Spenden in Höhe von 4,3 Millionen Euro
Der Startschuss für das Projekt fiel im Januar, nach einem Vorbild von der Ahr. Schnell wurden Baustoffe und mehr angeboten: „Zu Beginn vor allem auch Bautrockner, Waschmaschinen oder Kühlschränke“, erklärte Philipp Uhle, Fachbereichsleiter Bevölkerungsschutz des ASB Regionalverbandes Rhein-Erft/Düren e.V. - vieles andere folgte: „Mittlerweile konnten durch das Zentrum Baustoff-Spenden in Höhe von 4,3 Millionen Euro an rund 19.300 Betroffene verteilt werden. Möglich ist das alles vor allem dank der rund 120 freiwilligen Helfer, die sich hier engagieren“, richtete Tibor Schady das Augenmerk erneut auf die vielen Ehrenamtler.
Das Baustoffspendenzentrum ist ein gelungenes Beispiel dafür, dass – entgegen häufiger Kritik in sozialen Netzwerken – die Gelder von Spendenaktionen wie „Deutschland hilft“ ankommen und Betroffenen direkt helfen – nicht nur materiell: „Das Zentrum dient auch dem Austausch der Menschen, bis hin zu weiteren Projekten wie der Trauma-Beratung, an die wir besonders Betroffene vermitteln“, so Uhle. Auch er sieht daher weiter einen hohen Bedarf an Unterstützung und verweist auf weitere Hilfsangebote, wie „Beratungen durch Ingenieure oder die Stromkosten-Pauschale für Einsatzzeiten von Trocknungsgeräten.“ Zum Thema Spendengelder fügte Jörg Breetzmann hinzu: „Wir haben als Stadt Erftstadt unmittelbar nach dem Ereignis rund 780.000 Euro Handgeld an Betroffene verteilt und letztlich rund 8,5 Millionen Euro vom Spenden-Konto der Stadt komplett weitergegeben.“ Und doch: „Wenn man die Aufarbeitung der Schäden der Flutkatastrophe als Marathon sieht, dann stehen wir noch ziemlich am Anfang. Alleine die Stadt verzeichnete Schäden in Höhe von 75 Millionen Euro. Da sind die Autobahnen, der Öffentliche Personen-Nahverkehr oder das Krankenhaus gar nicht dabei.“ Für Breetzmann ist klar: „Das wird uns noch 5 bis 10 Jahre beschäftigen.“
„Müssen wieder besser für Krisen gerüstet sein
Auch Gregor Golland sieht noch eine Mammutaufgabe, denn: „Wir haben seit den 90er Jahren unseren Zivil- und Katastrophenschutz massiv abgebaut. Wir müssen wieder besser für Krisen gerüstet sein. Auch Präventionsmaßnahmen werden Geld kosten, sind aber notwendig! So wird im Rhein-Erft-Kreis zum Beispiel ein eigenes Amt für Katastrophenschutz auf den Weg gebracht.“ Für alle Betroffenen gelte, so der Landratsabgeordnete: „Es gibt die finanzielle Hilfe vom Staat, scheuen Sie sich nicht, diese zu beantragen - auch wenn es dauert. In einem Rechtsstaat muss auch geprüft werden, und es ist eine große Flut an Anträgen“, erklärte Golland mit Blick auf öffentliche Kritik und versprach im Zweifel auch Hilfe.
Anlaufstelle für Betroffene aus allen Regionen
Ob Baumaterial, wertvolle Informationen und Beratungen, das Baustoffspendenzentrum NRW dient bescheinigt Betroffenen als Anlaufstelle - ebenso wie Spendern und Sponsoren aller Art. Infos rund um das Zentrum sind direkt per Hotline unter 0170/ 6593461 zu erfragen.
Und so waren sich am Ende alle Versammelten einig: Es bleibt noch viel zu tun, beim Wiederaufbau und Lehren ziehen für die Zukunft.
Redakteur/in:Düster Volker aus Erftstadt |
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