Pferdefuhrwerk wurde dem Baron zum Verhängnis
Die Geschichte vom "Herriger Böömche"
Täglich passieren Menschen die Landesstraße 263 zwischen
Lechenich und Herrig. Was nur wenige wissen: Vor 117 Jahren
verunglückte dort Baron Georg von Bleichröder, ein Sohn des
bekannten und einflussreichen Berliner Bankiers Gerson von
Bleichröder.
Erftstadt-Lechenich (cs). Das Herriger Bäumchen – im Volksmund auch
Herriger Böömche genannt – ist ein denkmalgeschützter, von
Lindenbäumen gerahmter Bilderstock aus dem ausgehenden 18.
Jahrhundert. An seinem Standort, an der L 263 hinter dem Lechenicher
Ortsausgang, ereignete sich am 11. Juni 1902 ein folgenschwerer
Autounfall. Vom Bahnhof in Düren kommend kollidierte Georg von
Bleichröder in seinem Auto, wie Erftstadts Stadtarchivar Dr. Frank
Bartsch den Unfall in seiner veröffentlichten Dissertation
„Kontinuität und Wandel auf dem Lande“ schildert, „mit einem
Pferdfuhrwerk (…) so schwer, dass er kurze Zeit später auf seinem
Schloss den Verletzungen erlag“.
Georg von Bleichröder war der zweitgeborene Sohn Gersons von
Bleichröder (1822-1893), unter dessen Leitung das 1803 gegründete
Berliner Bankhaus S. Bleichröder eine Blütezeit erlebte. Bekanntheit
erlangte der 1872 nobilitierte Gerson von Bleichröder vor allem als
langjähriger Bankier des Reichsgründers und Reichskanzlers Otto von
Bismarck. Beim Tod des Vaters erbte Georg von Bleichröder, der Jura
studiert hatte, aber der Leitung des Bankhauses fortan nur noch
zeitweilig als stiller Teilhaber angehörte, 15 Millionen Mark.
Finanziell so ausgestattet, konnte er sich nun ganz seinen Interessen
widmen – und die lagen auch in Lechenich. Wahrscheinlich hatte der
Baron von dem aus Lechenich stammenden Bankier Simon Simon erfahren,
dass das Lechenicher Schloss zum Verkauf stand. Im Jahre 1894 erwarb
der Berliner Lebemann Schloss und zugehörigen Park für 100.000 Mark
und leitete umfangreiche Umbaumaßnahmen ein. Darüber hinaus kaufte
er Ende des gleichen Jahres das Landgut Römerhof. Dort, wo bis in die
1890er Jahre eine „Sauerkraut-Fabrik“ stand, züchtete der Baron
nun edle Rennpferde nach englischem und französischem Vorbild. Sein
Verhältnis zum Gemeinderat Lechenich war nicht immer unbelastet –
wiederholter Streitpunkt waren zu leistende Steuerzahlungen.
Nach seinem Tod wurde von Bleichröder, der wie seine Brüder Hans und
James um die Jahrhundertwende zum Protestantismus konvertiert war,
zunächst auf dem Neuen Jüdischen Friedhof im heutigen Römerhofweg
beigesetzt. Für die zahlreichen auswärtigen Gäste der Beerdigung
soll, so Bartsch, eigens ein Sonderzug vom Kölner Hauptbahnhof nach
Liblar eingesetzt worden sein. An der Unglückstelle, in der Nähe des
Herriger Böömche, errichtete Bleichröders Familie einen
Gedenkstein, der jedoch gut zwei Monate später umgeworfen und
demoliert wurde. Obwohl der Lechenicher Gemeinderat eine Belohnung zur
Ergreifung der Schuldigen auslobte, wurden diese niemals gefasst. Man
richtete den Gedenkstein an gleicher Stelle wieder auf; er wurde
jedoch 1937 von den Nationalsozialisten endgültig zerstört.
Elf Jahre nach seinem Tod, im Jahre 1913, trat Georg von Bleichröder,
oder besser gesagt seine Gebeine, eine letzte Reise an: Sie wurden
nach Berlin überführt und in dem neu erbauten Familienmausoleum auf
dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde bestattet. Von Bleichröders
letzte Ruhe wurde jedoch auch dort gestört. Auf Initiative Wilhelm
Piecks – des ersten und einzigen Präsidenten der 1949 gegründeten
DDR – wurde die imposante Familiengruft 1950 abgetragen, da sie
über die Mauer der benachbarten „Gedenkstätte der Sozialisten“
ragte und deren gewünschten Gesamteindruck zu beeinträchtigen
drohte.
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
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