Archiv-Schätze - Herriger Graduale
Ein Schatz aus Lumpen

Erftstadts Stadtarchivar Dr. Frank Bartsch freut sich über das kunstvolle Herriger Graduale, "ein Buch, das in der Oberliga spielt", wie er betont.
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  • Erftstadts Stadtarchivar Dr. Frank Bartsch freut sich über das kunstvolle Herriger Graduale, "ein Buch, das in der Oberliga spielt", wie er betont.

Was zwischen zwei dunklen ­Eichendeckeln vor mehr als
300 Jahren kunstvoll auf ­Büttenpapier erschaffen wurde, ist heute das „wertvollste“ ­Archivstück von Erftstadt – und noch gibt es Rätsel auf.

Erftstadt (vd). „Wie alle Stadtarchive erhalten auch wir in Erftstadt häufig historische Fotos, Dokumente und Fundstücke, die sich in Privatbesitz befinden. Bei Haushaltsauflösungen, im Keller oder auf dem Dachboden wird vielfach sehr Interessantes gefunden, was wir sehr gern ­begutachten, sichern und für die Öffentlichkeit bewahren“, fasst Dr. Frank Bartsch zusammen. Den wertvollsten „Schatz“ hat der Archivar der Stadt Erftstadt aber selbst „gefunden“ – das „Herriger Graduale“. „Im Grunde war es ein Zufall. Ich war im Juni 2019 wegen einer Führung in der Herriger Pfarrkirche St. Clemens zu Gast. Der dortige Küster Franz Gaspers machte mich dann auf einen Schrank in der Sakristei aufmerksam, in dem alte Bücher verwahrt wurden. Und dort lag dann auch dieses kunstvoll illus­trierte, liturgische Buch“, erinnert sich Dr. Frank Bartsch. Ihm war sofort klar: „Das ist ein Werk, das in der Oberliga spielt, das kostbarste Buch der Stadt, das bislang entdeckt wurde, aus dem Spätbarock. So etwas findet sich sonst eigentlich nur in bedeutenden Archiven und Bibliotheken.“

Chronogramm gibt Aufschluss

Denn das Choralbuch mit unzähligen Messgesängen zum Kirchenjahr ist meisterlich kunstvoll verziert und bebildert. Eines der wichtigsten Blätter ist dabei das Deckblatt, das dank Chronogramm auch das Entstehungsjahr verrät: „Die Großbuchstaben geben in römischen Zahlen Aufschluss. Wenn man alles addiert ergibt sich der Entstehungszeitraum: 1715-1716. An dem Werk wurde rund ein Jahr gearbeitet, von echten Meistern ihres Faches. Und wer auch immer es in Auftrag gegeben hat, muss sehr wohlhabend gewesen sein“, ist sich Dr. Frank Bartsch sicher. Denn solch außergewöhnliche Buchmalerei kennt man aus dem Mittelalter, vor allem in Verbindung mit Klöstern: „Das Herriger Graduale würde perfekt in Umberto Eccos Szenerie von ‚Der Name der Rose‘ passen“, schmunzelt Dr. Frank Bartsch. Mit dem im 15. Jahrhundert aufkommenden Buchdruck ging diese Kunst mehr und mehr verloren – nicht aber beim Herriger Graduale. Reich verzierte Initialen mit Ranken und Blüten, dreidimensionale Motive, Gesichtszüge und unzählige filigrane Feinheiten, „ich entdecke bei jedem Durchblättern immer wieder Neues“, verrät Dr. Frank Bartsch.

Dank an alle Helfer für Restauration

Der Archivar dankt dabei vor allem wichtigen Helfern: „Pastor Hans-Peter Kippels für die Leihgabe, dem Geschichtsverein Erftstadt und allen Gönnern, die die aufwändige Restauration ermöglicht haben, und nicht zuletzt Restauratorin Anja Koschel, die hervorragende Arbeit geleistet hat.“ Denn das Werk erstrahlt nach monatelanger Arbeit wieder farbenfroh und sozusagen in frischem Glanz. Der Vorteil: „Das Papier ist ebenfalls von hoher Qualität – auch wenn es sich im Grunde um Hadern handelt, also Lumpenreste. Das verwendete Büttenpapier ist stark und robust und glücklicherweise bei richtiger Lagerung sehr langlebig.“ Nichtsdestotrotz ist das Werk nur mit „Samthandschuhen“ beziehungsweise Baumwollhandschuhen anzufassen, um es zum Beispiel vor Körperfett und Ähnlichem zu schützen.

Noch ungeklärte Rätsel

Das „Herriger Graduale“ gibt dem Stadtarchivar aber auch noch einige Rätsel auf: „Wer genau war Ioann Iacob Nacken, der auf dem Deckblatt angegeben ist? Zu welchen adligen Häusern gehören die beiden Wappen auf dem Deckblatt? Wer hat die einzigartigen Illustrationen erstellt? Und wie und warum ist es nach Herrig nachgekommen?“ Denkbar wäre ein Hochzeitsgeschenk für ein Paar aus beiden Häusern. „Das alles wird momentan von einem profunden Wissenschaftler, der sich auf solche Werke spezialisiert hat, erforscht. Wir hoffen, einige der Rätsel bald aufklären zu können“, erklärt Dr. Frank Bartsch. Dann dürfte das Herriger Graduale ganz sicher einmal mehr in den Fokus der Öffentlichkeit rücken und im Historischen Archiv an der Bonner Straße 29 zu bestaunen sein. Normalerweise „ruht“ dieser Schatz aber sicher und unter optimalen Bedingungen unter Verschluss. Denn es ist, auch wenn er im Grunde aus Lumpen besteht, Erftstadts wertvollster Schatz.

Redakteur/in:

Düster Volker aus Erftstadt

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