Eine Stele für Bliesheim
„Erinnerung scheint dieser Tage nötig!“

Burkhard Gäntgen, Dr. Ursula Kisters-Honnef und Dr. Frank Bartsch blickten zurück in die Bliesheimer Geschichte. | Foto: Düster
  • Burkhard Gäntgen, Dr. Ursula Kisters-Honnef und Dr. Frank Bartsch blickten zurück in die Bliesheimer Geschichte.
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Erftstadt (vd). „Auch Bliesheim möchte die Vergangenheit aufarbeiten und den Opfern der NS-Zeit gedenken“, erklärt Burkhard Gäntgen, Vorsitzender der Dorfgemeinschaft. Während bereits ­einige Stolpersteine zur Erinnerung an deportierte und ermordete Juden in Erftstadt verlegt wurden und in Erp, Friesheim und Gymnich Anfang Dezember 44 neue hinzu kommen, kristallisierte sich für Bliesheim ein anderes Bild heraus:

„Während der Novemberpogrome 1938 lebten keine jüdischen Mitmenschen mehr in Bliesheim“, so Gäntgen, aber: „Die Dorfgemeinschaft möchte dennoch auf diese Zeit und Opfer des Nationalsozialismus hinweisen, die es auch in Bliesheim gegeben hat!“ Mit ihrem Anliegen wandte sich die Dorfgemeinschaft an den Erftstadt-Anzeiger, der drei Parteien zu einem Austausch an einen Tisch brachte: Burkhard Gäntgen, Stadtarchivar Dr. Frank Bartsch und Dr. Ursula Kisters-Honnef. Die ehemalige Lechenicher Gymnasiallehrerin promovierte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn – ihr Thema: „Kirchen- und Religionspolitik des Nationalsozialismus in Erftstadt 1933-1945“.

Stadtarchiv und Expertin als fundierte Quellen

Dr. Frank Bartsch bestätigte zunächst, dass „im 20. Jahrhundert nur zwei jüdische Familien in Bliesheim lebten: Brünell und Kaufmann – beide in der heutigen Frankenstraße, im Unter- und Oberdorf. Die zuletzt in Bliesheim lebenden Familienmitglieder starben in den dreißiger Jahren.“ Er ergänzte aber, dass es in Bliesheim sehr wohl „Opfer“ des NS-Regimes gegeben habe – neben zahlreichen Verletzten und Kriegstoten auch einige Regimegegner. Derer gab es in Bliesheim nicht wenige, wie Dr. Ursula Kisters-Honnef erläuterte: „Bliesheim hatte ein stark ausgeprägtes religiöses Leben und war vom katholischen Milieu geprägt. Das zeigte sich bis zuletzt auch im politischen Verhalten. Bei den Reichstagswahlen im März 1933 erhielt die NSDAP in Bliesheim nur 18 Prozent und bei den Kommunalwahlen eine Woche später das Zentrum eine große Mehrheit. Die gewählten Räte wählten Jakob Giesen zum Gemeindevorsteher“, fasst Kisters-Honnef zusammen.

Bliesheim seit jeher stark christlich geprägt

Zur Pfarre St. Lambertus zählte seit 1928 auch eine Niederlassung der Schönstatt-Schwestern: „Die gestalteten die soziale Fürsorge des Ortes. 1931 wurde das Marienheim gebaut, als Jugendheim und Kindergarten, Koch- und Nähschule, Kranken- und Pflegestation, inklusive eines kleinen Altenheims. Es gab wöchentlich eine eigene Kirchenzeitung – und engagierte Pfarrer wie Stephan Pflugfelder und Johannes Frie­lingsdorf. Fast alle Einwohner waren in katholischen Vereinen aktiv, auch die Jugend“, so Dr. Kisters-Honnef. Daraus ergab sich, dass es die NSDAP schwer hatte, sich in Bliesheim durchzusetzen – davon würden zahlreiche Ereignisse zeugen, wie Dr. Kisters-Honnef betont: „Jakob Giesen, nach dem ja ein Platz in Bliesheim benannt ist, kam im Juni 1933 durch SA-Sturmführer in Schutzhaft, da er laut NSDAP-Ortsgruppe Hitler als ‚Hohlkopf‘ bezeichnet habe. Bis 1934 konnte Giesen sich noch halten, danach wurde zunächst der parteilose Engelbert Hommelsheim als Gemeindevorsteher installiert, bis dann Hubert Kessenich für die NSDAP übernahm. Der wiederum geriet in der Folge vielfach in Streit mit Pfarrer Pflugfelder, den er später allerdings auch hinsichtlich geplanter Maßnahmen gegen die Kirche warnte.“

Die NSDAP sei häufig in Auseinandersetzungen zum Beispiel mit katholischen Jugendverbänden geraten, die in Bliesheim sehr aktiv gewesen seien, auch noch nach deren Verbot 1938. „So arbeitete die so genannte Sturmschar weiter, unterstützt auch durch die Bliesheimer Kapläne Franz Merzbach und Gotthard Steinmetz. Und als den Schönstatt-Schwestern nach Kriegsbeginn die Leitung des Kindergartens entzogen und an die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt übergeben wurde, reagierten viele Eltern empört und ließen ihre Kinder zu Hause. Drei Frauen reisten, um zu protestieren, extra zum Regierungspräsidenten nach Köln. Dort wurden sie dann einen Tag lang verhört, weil sie ihre ‚Drahtzieher‘ verraten sollten“, so Dr. Kisters-Honnef.

Pfarrer Frielingsdorf in Haft

Protest, später aber auch aufkommendes Denunziantentum, hätten letztlich im März 1942 in der Verhaftung von Pfarrer Frielingsdorf gegipfelt: „Er wurde inhaftiert und in einem Bonner Gefängnis mehrere Tage lang verhört. Über die Haftzeit ist auch nach intensiven Recherchen nichts zu erfahren. Er selbst hat wohl nie über diese Zeit gesprochen oder sich auch später nicht schriftlich darüber geäußert“, erklärt Dr. Kisters-Honnef. Der Vorwurf: Frielingsdorf soll bei einem Bibelabend den kritischen „Möldersbrief“ verlesen haben. Dr. Kisters-Honnef: „Oberst Mölders verunglückte am 22. November 1941 bei einem Einsatz tödlich. Bis dahin war er der erfolgreichste deutsche Jagdflieger. Er soll sich in einem später von den Engländern vielfach abgeworfenen Brief schon damals sehr skeptisch über die deutsche Kriegslage geäußert und sich als gläubiger Katholik bekannt haben.“

Zu guter Letzt hätten sich die Bliesheimer, bis auf wenige Parteigenossen, auch noch der Zwangs­evakuierung im März 1945 widersetzt. Der Ort wurde in der Nacht zum 4. März kampflos eingenommen, „die Bliesheimer wollten sich der Gnade der Sieger überlassen“, so die Expertin.

Für Burkhard Gäntgen stand nach dem Austausch fest: „Wir werden versuchen, auch in Abstimmung mit der Kirchengemeinde, eine Erinnerungstele auf den Weg zu bringen, die allen Opfern des NS-Regimes gedenkt und derer, die sich zum Wohl der Menschen und ihrer Rechte eingesetzt haben. Daran zu erinnern, was aus Wahn erwachsen kann, scheint in diesen Tagen durchaus nötig!“

Redakteur/in:

Düster Volker aus Erftstadt

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