"Alte Meister"
Vor 60 Jahren erhielt Matthias Otten den Meisterbrief

Matthias Otten in seinem Metier: werkelnd auf seinem Sessel in der Werkstatt. | Foto: Düster
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Matthias Otten ist ein „Meister“ seines Fachs - genauer gesagt ein „Altmeister“. Denn vor ziemlich genau 60 Jahren erhielt der Bliesheimer seinen Meisterbrief als Schuhmacher. Noch heute steht der 85-Jährige von Montag bis Samstag in seinem Laden und „flickt“ bei weitem nicht nur Schuhe „meisterlich“ zusammen. Sein (Hand)Werk wird dabei weit über die Grenzen von Erftstadt hinaus von den Kunden geschätzt. Und Matthias Otten ist nicht der einzige noch ­aktive „Alte Meister“ in der Region. In den kommenden Wochen stellen wir in loser Folge „Meister“ der Kategorie „50+“ vor, die noch in ihrem Metier aktiv sind.

Am Montag ist es soweit! Dann ist Matthias Otten seit 60 Jahren verbrieft Schuhmacher-Meister! Und der 85-Jährige denkt nicht daran, sein Werkzeug aus der Hand zu legen - auch wenn er jüngst ein paar Tage ins Krankenhaus musste.

Sechs Tage die Woche klingelt es munter im Laden von Matthias Otten, wenn sich die Tür zu seinem Geschäft öffnet. Kamen in den ersten Jahren nahezu nur Bliesheimer, änderte sich das mit den Jahren. „Anfangs waren wir drei Schuster hier im Ort. Übrig geblieben bin nach einigen Jahren nur ich. Auch in Erftstadt gibt es heute nicht mehr viele“, fasst das Schuhmacher-Urge­stein zusammen. Daher kommen nun nicht nur Kunden aus Erftstadt, sondern auch aus Brühl, Kerpen, Hürth, Weilerswist, Metternich, Heimerzheim oder Zülpich.

Berufswunsch mit traurigem Ursprung

Der Wunsch, Schuhmacher zu werden, hat bei Matthias Otten einen traurigen Ursprung: „Mein Vater Theodor war Schuhmacher, er kam 1945 aber nicht mehr aus dem Krieg zurück. Da war ich sieben Jahre alt.“ 1953 trat er dann in seine Fußstapfen. Er begann eine Schuster-Lehre, „im Schuhhaus Nüssgen in der Friesenstraße in Köln. Danach bin ich zu Franz Römer in die Benesisstraße gewechselt - und von dort nach der Arbeit von 1961 bis 1963 zum Meister-Lehrgang ins Kolpinghaus gegangen.“ Am 6. November 1963, also vor ziemlich genau 60 Jahren, erhielt er seine Ernennungsurkunde als Schuhmacher-Meister. Am 15. April 1964 eröffnete er sein eigenes Geschäft in Bliesheim. „Diese Jahre waren sicher meine aufregendsten“, lacht Matthias Otten, „denn da habe ich auch meine Frau Elisabeth geheiratet und bin zum ersten Mal Vater geworden.“

Aufregende Reise - passendes Versteck

Zudem stand seinerzeit seine schwierigste Reise auf dem Programm: „Meine Frau ist aus Lutherstadt-Wittenberg. Wir wollten ihre Familie nach unserer Trauung besuchen und natürlich auch etwas mitbringen. Da habe ich mehrere hundert Ostmark in Köln in der Bank abgeholt und - verbotenerweise - mitgenommen“, erinnert sich Otten. „Wir sind von der Grenzpolizei der DDR dann auch aus dem Zug rausgeholt worden, die hatten wohl eine Ahnung“, schmunzelt er, denn: „Gefunden haben sie ja nix.“ Und wo hatte er das Geld versteckt? „Natürlich im Absatz meiner Schuhe. Die Verwandten haben nicht schlecht gestaunt, als ich meine guten Schuhe auseinander genommen habe, die Freude war dann aber groß!“

Die Türklingel holt ihn zurück ins Hier und Jetzt, denn seine Dienste sind gefragter denn je. Kein Wunder: Der „Altmeister“ versteht sein Hand­werk – und ist auch im Alter noch kreativ. „Die Kunden bringen mir ja nicht nur Schuhe. Oft sind das eigentlich Sattler-Arbeiten. Gerade bei Reitfreunden hat es sich rumgesprochen, dass ich nicht nur neue Reißverschlüsse in Stiefel einsetze, sondern auch schon mal ein Halfter oder sowas repariere. Wenn ich eine Idee habe, mache ich mich ans Werk. Die Kunden sind dann meist heilfroh!“ Und wenn es nicht ohne Spezial-Werkzeug geht, schickt Matthias Otten die Kunden gleich zu passenden Meister-Kollegen in der Region. Denn sein „Tagesschäft“ sind und bleiben Schuhe aller Art. Ob neue Absätze für Stiefel oder „vernünftige“ Sohlen für zum Teil noch fast neue Schuhe, Otten weiß, was zu tun ist: „Meist ist der Kunststoff das Problem. Man rutscht schnell aus oder die Schuhe quietschen. In dem Fall sage ich den Kunden: Dann sind sie nicht bezahlt“, lacht Matthias Otten.

Mit 85 Jahren noch täglich im Laden

Auch mit 85 Jahren werkelt er noch täglich mit viel Spaß in seiner Werkstatt – und leistet echte Handarbeit. Neben der Ausputzmaschine für Schleifarbeiten, der Nähmaschine, dem Stanz-Apparat für Ösen und Häkchen und dem „Weit-­Apparat“ hält Meister Otten auch häufig seinen Hammer, Zangen, Bürsten und weiteres Werkzeug in den Händen, um alte Schuhe wieder „rauszuputzen“. Die alte Redewendung „Schuster bleib bei deinen Leisten“ ist bei Matthias Otten wörtlich zu nehmen, denn längere Pausen sind nichts für ihn: „Wir haben bis vor einigen Jahren im Sommer immer zwei Wochen Urlaub an der Ostsee gemacht, das war es eigentlich. Und nach der Flut, die bei uns glücklichweise nur knapp bis vor den Laden stand, war es mal eine Woche lang ruhig. Ansonsten bin ich hier in meiner kleinen Werkstatt und arbeite.“

Musik, Gesang, Kegeln und der FC

Sein einziger Kompagnon in all den Jahren: das Radio! „Die Musik und das Singen sind eine Leidenschaft von mir. Ich habe 63 Jahre im Männergesangverein Concordia Bliesheim gesungen – bis zu seiner Auflösung.“ Aufgelöst wurde nach rund 30 Jahren auch sein Kegelclub „Schräch Sechs“. Eine weitere Leidenschaft ist der Fußball, genauer gesagt der 1. FC Köln. Der ist auch im ­Laden nicht zu übersehen: Sogar zwei Sitzplätze aus dem alten Müngersdorfer Stadion stehen in der Werkstatt. „Die haben mein Sohn und meine beiden Töchter organisiert.“

Apropos Familie: Was sagt eigent­lich seine Frau Elisabeth dazu, dass er immer noch täglich arbeitet? „Wenn er nicht arbeiten kann, wird ihm schnell langweilig.“ Und ihr Mann ergänzt: „Sie steht ja selbst auch im ­Laden und vertritt mich, wenn ich zum Arzt oder wie jüngst ins Krankenhaus muss. Sie verkauft mit mir die letzten Paar Schuhe, die wir noch haben. Das sind unsere Restbestände. Mein Großhändler hat 2019 Schluss gemacht.“ Und dieser Gedanke ist ihm noch nie gekommen? „Nein. Ich mache weiter, so lange, wie ich kann – und der da oben mich lässt“, lächelt Otten glücklich, bevor die Klingel den nächsten Kunden im Laden des „Altmeisters“ ankündigt.

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Redakteur/in:

Düster Volker aus Erftstadt

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