Ganz schön kurzsichtig
Abriss nach nur 14 Jahren
Grefrath - Von wegen: „Die katholische Kirche denkt in Jahrhunderten!“ Im
alten Grefrath ließ sie eine Kirche bauen, die nur 14 Jahre später
– aufgrund des heranrückenden Braunkohletagebaus – wieder
gesprengt werden musste.
Mit einer einzigartigen Kurzsichtigkeit der Kirche befasst sich Erhard
Stolz in seinem Beitrag „Das kurze Leben einer Kirche“ in der
fünften Publikation des Kultur- und Heimatvereins Grefrath, die der
Verein unter dem Titel „Unter uns… - Geschichte trifft
Gegenwart“ herausgegeben hat.
Darin haben sieben Autoren wieder viele Interessante Informationen
über das kleine Dorf im Frechener Westen zusammengetragen. Die kurze
Geschichte der Dorfkirche ist aber die mit Abstand skurrilste.
Entscheidend für den Bau seien damals verschiedene Faktoren gewesen,
berichtet Stolz: Zum einen sei zur Zeit des Abbaus noch nicht
abzusehen gewesen, wie schnell die Braunkohleabbau in der
Nachkriegszeit voran schreiten würde, zum anderen zerstörte eine
Fliegerbombe die alte Pfarrkirche der Gemeinde im benachbarten und
später abgebaggerten Bottenbroich.
1946 wurde daher der Beschluss eines Kirchenneubaus in Grefrath
gefasst. Als Notkirche diente in dieser Zeit die Gaststätte
Lintermann in Grefrath. Im Mai 1947 begannen die Ausschachtarbeiten
für die neue Pfarrkirche durch Mitglieder der Pfarrgemeinde.
Im Anschluss entstand ein schlicht gehaltenes, vollunterkellertes
Gebäude im neoromanischen Stil mit einem 24 Meter hohen Kirchturm. Es
bot Platz für einen Pfarrsaal mit Bühne, eine Bücherei,
Gruppenräume und einen Kindergarten. Zwei Jahre später wurde die
Kirche St. Mariä Himmelfahrt feierlich eingeweiht.
Beim Bau wurde allerdings etwas geschludert, denn die Kirche wies –
laut eines Revisionsberichtes aus dem Jahr 1958 – bereits nach
wenigen Jahren erhebliche Baumängel mit Rissbildungen und
Feuchtigkeitsschäden auf. Letztlich ausschlaggebend für den frühen
Abriss war aber der, so Stolz, „Energiehunger der rasant wachsenden
Nachkriegswirtschaft und der Übergang zur Kohleabbautechniken mit
Großgeräten und hohen Förderleistungen.“ Dadurch hätte sich der
Tagebau Frechen wesentlich schneller nach Nordwesten ausgebreitet, als
erwartet.
„Trotzdem ist es nach heutiger Sicht schwer nachzuvollziehen, dass
1949 im alten Grefrath eine Kirche fertiggestellt wurde, während im
neuen Grefrath 1952 die ersten Häuser und die Schule entstanden“,
resümiert Autor Erhard Stolz.
„Die wollten damals nicht im Loch bauen“, weiß Alt-Grefrather
Horst Meul zu berichten und erklärt: „Das jetzige Grefrath nannten
wir damals das Loch“. Vor Beginn der Umsiedlung sei zudem Marsdorf
als Umsiedlungsort für die Grefrather im Gespräch gewesen. Ein
Kirchenneubau im „Loch“ hätte in diesem Fall also keinen Sinn
gemacht.
Das Schicksal ereilte die junge Kirche im Juni 1963. Sie wurde als
letztes Gebäude des alten Grefraths gesprengt.
- Lars Kindermann
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.