Der Deutsche Herbst
Unvergessene Bilder des Schreckens
Frechen - Wilhelm Milz (85) wird diesen Abend vor 40 Jahren nie vergessen:
Vor einer Stunde noch hat er mit ihnen im Foyer der Bundesvereinigung
der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) Karten gespielt, jetzt muss
er die Leichen der Polizisten Reinhold Brändle (41), Helmut Ulmer
(24) und Roland Pieler (20) sowie die seines Fahrerkollegen Heinz
Marcisz (41) identifizieren.
Wilhelm „Willi“ Milz, im September 1977 BDA-Cheffahrer, war nach
der Polizei einer der ersten am Tatort der Entführung des
Arbeitgeberpräsidenten Dr. Hanns Martin Schleyer.
Das RAF-Kommando „Siegfried Hausner“, bestehend aus den
linksextremen Terroristen Peter-Jürgen Boock, Sieglinde Hofmann,
Willy Peter Stoll und Stefan Wisniewski, hatte den ungepanzerten
Mercedes 450 SEL Schleyers auf der Friedrich-Schmidt-Straße an der
Einmündung zur Vincenz-Statz-Straße am Kölner Stadtwald abgefangen,
den Chauffeur und die drei Personenschützer im Begleitfahrzeug
erschossen und den Arbeitgeberpräsidenten entführt. Schleyer war an
diesem frühen Abend auf dem Weg in seine Dienstwohnung an der
Raschdorfstraße gewesen. „Die Autos waren total durchsiebt“,
erinnert sich Milz. „Ich konnte nicht glauben, dass Herr Dr.
Schleyer da lebend raus gekommen sein soll.“
27 Jahre lang war der gelernte Kfz-Schlosser Angestellter der BDA,
viele Jahre davon Cheffahrer. „In dieser Zeit habe ich natürlich
auch unseren Präsidenten Herrn Dr. Schleyer häufig gefahren“,
erzählt der Frechener. An die Gespräche mit dem Daimler-Chef und
Arbeitgeberfunktionär erinnert er sich gerne. Milz: „Ich habe ihn
mal zum Flughafen nach Köln-Wahn gefahren, bis unter die Tragflächen
seines Privatjets. Damit flog er nach Moskau, um mit den Russen über
den Kauf von Lastwagenmotoren von Daimler Benz zu verhandeln. Als er
zurückkam, sah er ziemlich übernächtigt aus. Ich fragte ihn, wie es
gelaufen sei, und er sagte: „Die Geschäfte liefen gut. Den Erfolg
habe ich mir regelrecht ersoffen!“
Nachdem Schleyer auch Präsident des Bundesverbandes der Deutschen
Industrie (BDI) wurde, gab es bürokratisches Gerangel darum, wer nun
als Cheffahrer für den Doppelpräsidenten zuständig sein sollte.
„Das war dem Schleyer irgendwann zu blöd. Also ließ er sich von
der Daimler Benz AG in Köln einen Fahrer schicken“, erinnert sich
Milz. So lernte er Heinz Marcisz kennen. „Ein netter Kollege. Wir
haben hier in meinem Wohnzimmer gemeinsam gefeiert“, sagt der
85-Jährige und zeigt alte Bilder von einem ausgelassenen Fest.
Darunter steht: „Geselliges Beisammensein mit BDA-Kollegen.“
Beim gemeinsamen Warten auf ihre Chefs lernten sich die beiden
Chauffeure besser kennen. Nachdem bekannt wurde, dass der ehemalige
SS-Untersturmführer und spätere Wirtschaftsfunktionär Hanns Martin
Schleyer, ins Visier der Roten Armee Fraktion geraten war und als
besonders gefährdet galt, warteten ab 1975 auch Polizeibeamte der
Dienststelle „Personenschutz“ mit den Fahrern im Foyer des
Gebäudekomplexes am Kölner Oberländer Ufer. „Allesamt nette
Kerle“, erinnert sich Milz. Am liebsten hätten sie Doppelkopf
gespielt.
So auch am Abend des 5. Septembers 1977. „Dann kam der Schleyer
runter und rief: Auf geht’s!“ Wenige Minuten später saßen nur
noch Wilhelm Milz und der Pförtner im Foyer. „Kaum eine halbe
Stunde später klingelte das Telefon und der Pförtner meinte: Willi,
die haben den Schleyer entführt!“ Zusammen mit seinem Vorgesetzten
fuhr der Cheffahrer zum Tatort.
Milz: „Die Polizei hatte schon alles abgesperrt. Die Leichen lagen
unter Planen. Heinz lag direkt neben seinem Auto. Ich habe ihn sofort
erkannt. Er hatte immer so einen auffälligen, blauen Siegelring an,
und der schaute unter der Plane hervor.“ Trotzdem musste er sich
auch das Gesicht seines Kollegen anschauen, um ihn eindeutig zu
identifizieren. Auch der Anblick des von 60 Schüssen getroffenen
Reinhold Brändle und den beiden anderen Beamten blieb ihm nicht
erspart. „Der Jüngste war erst 20! Der lag im Rettungswagen“,
erinnert sich Milz.
Als ihn ein Polizist fragte, ob die Personenschützer nur ihre
Dienstwaffen gehabt hätten, erklärte er ihnen, dass sie auch mit
Maschinenpistolen ausgerüstet waren. Milz. „Die lagen aber noch im
Kofferraum. Auf dem in der Presse erschienenen Foto vom Tatort liegen
sie aber oben auf dem Autodach!“
Wilhelm Milz ist überzeugt, dass er seine Erlebnisse am 5. September
1977 „gut weggesteckt“ hat. Trotzdem ließ er sich nach den
dramatischen Erlebnissen in den Innendienst versetzen.
Vorbei war die Zeit mit feinen Mercedes Limousinen, Autotelefon und
langen Fahrten nach Brüssel, Paris und London. Und ab und zu –
besonders jetzt, durch die Berichterstattung zum 40. Jahrestag der
Bluttat - kommen in ihm wieder viele Bilder von damals hoch. „Und
die sind nicht schön!“, sagt er.
- Lars Kindermann
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
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