Bruder mit Down-Syndrom - wenn uns früher einer blöd kam, haben wir unseren großen Bruder geholt
Ziemlich beste Brüder
Einen großer Bruder - das stellen sich viele toll vor. Gerald Fuchs hat so einen älteren Bruder. Ein besonders inniges und liebevolles Verhältnis hat er allerdings zu Norbert, seinem kleinen Bruder. Kurz vor seinem 2. Geburtstag kam er auf die Welt. Er hat das Down-Syndrom. Wie war das damals in den 1960er Jahren, was haben die Brüder zusammen erlebt und wie war Norbert als Kind? Gerald Fuchs arbeitet mittlerweile bei der Hochwasserschutzzentrale in Köln und Norbert ist Mitglied bei Blatt-Gold...
Blatt-Gold: Ihr zwei seid Brüder. Habt ihr noch mehr Geschwister?
Norbert: 4 Brüder habe ich.
Gerald: Unser ältester Bruder ist der Bernhard, dann komme ich …
Norbert: … als Dritter komme ich …
Gerald: Genau, danach wurde Reimund geboren und dann Sebastian, das ist der Jüngste. Unsere Eltern wollten gerne ein Mädchen bekommen, haben aber nach dem 5. Jungen aufgegeben.
Blatt-Gold: Sonst wärt ihr jetzt sechs Brüder, sieben, acht… immer mehr.
Gelächter
Blatt-Gold: Wie war das bei euch mit 5 Brüdern?
Gerald: Bisschen chaotisch. Norbert und ich haben das engste Verhältnis, weil wir nur anderthalb Jahre auseinander sind. Wir sind das Zwillingspaar, wenn irgendwas war, haben wir uns geholfen und waren füreinander da.
Blatt-Gold: Und wie war Nobby zu seinen Brüdern?
Gerald: Zu seinen beiden jüngeren Brüdern war Norbert sehr fürsorglich. Er musste genauso auf sie aufpassen wie wir anderen auch. Das hat er gerne gemacht, mit ihnen gespielt und sich Dinge abgeguckt. Dass er so lange mit ihnen spielen konnte, war für Norbert ein Vorteil. Er hat auch mal auf seine kleinen Brüder geschimpft, wenn sie etwas angestellt haben. Aber wenn es Streit gab, hat Norbert immer vermittelt. Streit ist für Norbert ein Graus, besonders unter uns Brüdern!
Norbert (nickt): Ja, ein Graus!
Blatt-Gold: Was machst du, wenn es Streit gab?
Norbert: Ohren zuhalten, wenn es so laut ist.
Blatt-Gold: Habt ihr euch auch mal gestritten?
Gerald (überlegt): Nein, gestritten haben wir uns noch nie. Ich kann mich gar nicht erinnern, dass ich auf Norbert überhaupt jemals schon mal böse gewesen bin. Wenn Norbert sein Zimmer mal nicht aufräumt, dann sage ich ihm das, er guckt sich das an und beim nächsten Mal ist es aufgeräumt, einigermaßen. Wie soll ich ihm denn da böse sein? Norbert kann man nie bösen sein!
Blatt-Gold: Hat der Norbert als Kind viel Blödsinn gemacht?
Norbert: Nein!
Gerald: Norbert war sehr brav.
Blatt-Gold: Hattet ihr ein Kinderzimmer zusammen oder jeder ein eigenes?
Gerald: Nur unser ältester Bruder hatte ein Zimmer für sich allein, wir anderen haben uns eins geteilt, aber unsere beiden jüngeren Brüder kamen ja etwas später dazu. Norbert und ich hatten ein Zimmer zusammen und ein Etagenbett.
Blatt-Gold: Wer hat oben geschlafen oder unten?
Gerald: Ich habe oben geschlafen. Norbert mochte das nicht.
Blatt-Gold: Guckt ihr gerne fernsehen, wo ihr zwei klein wart?
Gerald: Wir sind ohne viel Fernsehen aufgewachsen. Früher gab es morgens noch nichts im Fernsehen. Das Programm fing erst nachmittags an und endete um Mitternacht mit dem Testbild.
Blatt-Gold: Oh. Wenn man mit 4 Brüdern aufwächst, braucht man auch kein Fernsehen, dann hat man Bonanza im eigenen Garten.
Alle lachen
Gerald: Wir haben auch mit den Nachbarsjungen gespielt, Fußball und so weiter und Norbert hat mitgespielt. Damals war es noch etwas schwierig und nicht so selbstverständlich – wir wurde deswegen auch schon mal ausgegrenzt.
Blatt-Gold: Warum denn das?
Gerald: Weil man noch nicht genau wusste, woher das kommt, das Down-Syndrom.
Der Mama hatte man nach der Geburt nicht gesagt, dass du eine geistige Behinderung hast.
Norbert (entrüstet): Ach, nee.
Blatt-Gold: Wer hat euch denn ausgegrenzt, die Kinder beim Fußball spielen?
Gerald: Ja, vor allem wegen seines Aussehens. Und weil sie nicht damit umgehen konnten. Aber da wir eine große Familie waren, konnten wir uns schon durchsetzen. Wenn einer blöd kam, dann haben wir ihn eben verkloppt.
Norbert: Ja, klar! Genau.
Gerald: Dann war das Thema schnell durch. Oder wir haben unseren großen Bruder geholt, den Bernhard, der ist sechs Jahre älter.
Blatt-Gold: Und wie war das in der Schule?
Gerald: Norbert, du bist relativ spät in die Schule gekommen. Wie alt warst du?
Norbert: 10 Jahre.
Gerald: Dazu muss man wissen, dass diese Einrichtungen erst geschaffen wurden. Mein Vater hat damals mitgeholfen, den Paul-Kraemer-Kindergarten aufzubauen. Die Wohngruppe , in der Norbert wohnt, war einer der ersten. Vorher gab es das so in der Form noch nicht.
Blatt-Gold: Seid ihr früher auch gerne mit Mama und Papa zum Mäckes gefahren?
Gerald:Leider ist der Mäckes erst 1975 nach Deutschland gekommen, wir hatten also keine Möglichkeit. Aber Norbert mag das auch gar nicht. Er ist sehr feinfühlig an den Fingern und wenn da was klebt …
Norbert:… ist das nicht schön!
Gerald:Mit den Fingern essen, das machst du sehr ungern und alles, was an den Zähnen klebt auch nicht.
Norbert: Nee, Reis mag ich nicht.
Blatt-Gold: Ihr habt früher gerne zusammen Fußball gespielt. Was macht ihr heute gerne zusammen?
Norbert: Fotos gucken.
Gerald: Ins Kino gehen.
Norbert: Stimmt, Kino war ich auch schon gewesen.
Blatt-Gold: Und wie oft seht ihr euch im Monat oder im Jahr?
Gerald: Einmal im Monat oder auch mal zwischendurch. Wir Brüder teilen uns das auf, damit Norbert Abwechslung hat. Mal holt ihn der Reimund ab zum Kuchen essen, dann der Sebastian fürs Kino … Wir sind auch schon mal alle zusammen nach Rust in einen Freizeitpark gefahren. Norbert hat ja auch seine Wohngruppe. Das ist seine Familie. Das akzeptiere ich.
Blatt-Gold: Bist du Norberts gesetzlicher Betreuer?
Gerald: Ja, bin ich, die Aufgabe habe ich von unserer Mutter übernommen. Wenn ich mal nicht bin, dann kommt Reimund dran und der Sebastian. Das ist schon festgelegt.
Blatt-Gold: Norbert trägt immer einen Anzug und eine Fliege und achtet auf sein Äußeres. Von wem hat er das?
Gerald: Das frage ich mich auch dauernd. Damit fällt Norbert vollkommen aus der Art. Ich bin eher leger gekleidet, unsere Brüder auch. Nur unser Papa hat zur Arbeit einen Anzug getragen, zwar keine Fliege, aber eine Krawatte. Er ist dein Vorbild, oder Norbert?
Norbert: Ja, genau.
Blatt-Gold: Hast du mehr an Mama oder Papa gehangen?
Norbert: Meine Mutter.
Blatt-Gold: Was ist für dich Bruderliebe?
Norbert: Ich bleibe immer bei Gerald.
Blatt-Gold: Und was bewunderst du besonders an den Norbert?
Gerald: Wenn man irgendwo eine Fahne sieht, dann braucht man nur Norbert zu fragen, zu welchem Land sie gehört – mein Bruder kennt sie alle. Das ist phänomenal!
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