Mit der Reichsbahn in den Tod
„Vier Pfennig pro Kilometer - Kinder die Hälfte“

Mit eindringlichen Worten schilderte Dr. Ludger Heid in der Halle 32 die perfide Rolle, die die Deutsche Reichsbahn bei der Judenverfolgung und dem Holocaust spielte. | Foto: Gunter Hübner
  • Mit eindringlichen Worten schilderte Dr. Ludger Heid in der Halle 32 die perfide Rolle, die die Deutsche Reichsbahn bei der Judenverfolgung und dem Holocaust spielte.
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Gummersbach - (gh) „Ich werde ihnen einiges zumuten müssen“. Mit diesen Worten
begann Dr. Ludger Heid seinen beklemmenden Vortrag über die Rolle der
Reichsbahn bei der Verfolgung, Deportation und Massenvernichtung der
Juden während des „Dritten Reichs“.

Dr. Ludger Heid war einmal mehr auf Einladung der Oberbergischen
Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und des
Katholischen Bildungswerks in die Halle 32 auf dem Gummersbacher
Steinmüller-Gelände gekommen, um die Zuhörer über Täter und
Mittäter bei dem Vernichtungsfeldzug des Naziregimes vor und während
des Zweiten Weltkriegs zu informieren. Der Historiker und Publizist
gilt als ausgewiesener Experte der deutsch-jüdischen Geschichte.

An vorderster Front:

die Reichsbahn

„An vorderster Front des Holocaust, dem Millionen von jüdischen
Mitbürgern aus Deutschland und aus den von den Deutschen besetzten
Ländern, zum Opfer fielen, stand die Reichsbahn“, so Dr. Ludger
Heid. Dies unterstrich er anhand von Dokumenten, Aktennotizen,
amtlichen Verfügungen und Gerichtsprotokollen, die aus diesem
dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte noch erhalten sind.

Sie erzählen vom unermesslichen Grauen, die die Nazis und ihre
Schergen in geradezu zynischer Art über die Juden brachten. Um ihr
Vermögen, ihr Hab und Gut gebracht (die Wohnung ist „besenrein“
zu verlassen) und mit 50 Reichsmark als „Reisegeld“ ausgestattet,
starteten die Züge der Reichsbahn in „Evakuierungstransporten“,
die der „Wohnsitzverlagerung“ dienten, so der Originalton, gen
Osten in den Tod.

Was sich vor und während dieser Transporte in den blutroten Waggons
abspielte, schilderte der Historiker an einigen Beispielen, die seine
Zuhörer sprachlos werden ließen.

„Der Führer setzt großes Vertrauen in unsere Arbeit“

Es war ein gutes Geschäft für die Reichsbahn, so Dr. Ludger Held,
denn schließlich mussten die Juden pro Gleiskilometer vier Pfennig
zahlen. Kinder die Hälfte. Bald hieß es seitens der Bahn, wir
brauchen mehr Züge, rollten doch tagtäglich die Todeszüge gen
Osten.

Aber „der Führer setzt großes Vertrauen in unsere Arbeit und das
wollen wir nicht enttäuschen“, zitierte Dr. Ludger Heid aus einem
Schreiben von Dr. Albert Ganzenmüller. Er war als Staatssekretär im
Reichsverkehrsministerium und als stellvertretender Generaldirektor
der Deutschen Reichsbahn zuständig für die Todesfahrten. Der
persönliche Adjutant von Adolf Hitler, Karl Wolff, dankte ihm am 13.
August 1942 in einem persönlichen Schreiben.

„..Mit besonderer Freude habe ich von Ihrer Mitteilung Kenntnis
genommen, dass nun schon seit 14 Tagen täglich ein Zug mit je 5.000
Angehörigen des auserwählten Volkes nach Treblinka fährt und wir
doch auf diese Weise in die Lage versetzt sind, diese
Bevölkerungsbewegung in einem beschleunigten Tempo durchzuführen.“
Sarkasmus und tiefste Menschenverachtung triefen aus diesem Brief.

Was sich in den rollenden Kerkern während der tagelangen Fahrten bei
Kälte oder Hitze, dazu ohne Verpflegung und nur mit karg ausgeteilem
Wasser unter den „Passagieren“ abspielte, bleibt ohne Worte; kann
kaum erahnt werden. Aber „alles ging nach Vorschrift, wurden doch
lediglich Parasiten ausgerottet“, wie einer der Schergen festhielt.

Diese Dokumente des Grauens, die Dr. Ludger Heid aus dem Vergessen
zog, gipfelten in der Tatsache, dass zum Beispiel Dr. Albert
Ganzenmüller nach dem Krieg zunächst nach Argentinien flüchten
konnte, dann aber unbehelligt nach Deutschland zurückkehrte.

Später wurde ein gegen ihn begonnener Prozess wegen
Verhandlungsunfähigkeit abgebrochen. Dr. Albert Ganzenmüller starb
1996 im Alter von 91 Jahren in München. Er überlebt seine Opfer um
mehr als ein halbes Jahrhundert.

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RAG - Redaktion

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