Der Tod trägt Weiß
„Kongo! Eine Postkolonie“ am Theater im Bauturm

„Mein Geschlecht: Sexismus. Meine Nationalität: Schuld. Meine Rasse: Kolonialismus“ – Laurenz Leky gräbt sich in einer aufwühlenden Inszenierung zum Nullpunkt der Menschlichkeit. | Foto: ©Meyer Originals
  • „Mein Geschlecht: Sexismus. Meine Nationalität: Schuld. Meine Rasse: Kolonialismus“ – Laurenz Leky gräbt sich in einer aufwühlenden Inszenierung zum Nullpunkt der Menschlichkeit.
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Innenstadt - (ha) Mit dem Epos „Kongo! Eine Postkolonie“ intensiviert das
Theater im Bauturm zwei Zustände: das Schweigen und das Wüten
angesichts einer generationenübergreifenden Historie kolonialer
Ausbeutung auf dem afrikanischen Kontinent. Das Stück beerdigt den
Traum des brüderlichen Zusammenlebens, der als Lippenbekenntnis auf
den Antlitzen machtbesessener Herrscher und profithungriger CEOs ein
Scheinleben frönt. Nach Martin Luther King, Malcolm X, Live-Aid,
Uno-Resolutionen, Nelson Mandela und Barack Obama spiegeln sich die
weltweiten Machthierarchien überwiegend in weißen Patriarchaten und
bleiben die Zustände in vielen Ländern Afrikas chaotisch bis
mörderisch – auch in der Demokratischen Republik Kongo. Während
einer mehr als dreistündigen Solo-Performance zertritt Protagonist
Laurenz Leky die Scheinheiligkeit von Anteilnahme und Nächstenliebe
mit klobigen Armeestiefeln aus dem Reservoir der Vereinten Nationen.
Die Zusammenführung der Stücke „KoNGOland“ (Regie: Nina
Gühlstorff) und „Kongo Müller“ (Regie: Jan Christoph Gockel)
bittet, fordert und gewinnt das Publikum für solidarische Teilhabe,
befördert jenes sarkastisch-jovial zu zweifelhaften
Regionalkommandierenden oder fleht verstört um Beistand im Stürmen
von Hilflosigkeit, Angst und Verzweiflung. Kein Theater, weil kein
Spiel, sondern blutender Ernst füllt die Stätte zuweilen mit
tragischer Situationskomik, die Augenblicke später im Schock des
multimedialen Dramas gefriert. Entblößte Leichen strecken sich als
nackte Tatsachen einer in die Gegenwart verschleppten Kolonialpolitik
über die Bühne hinaus tief ins Bewusstsein der Zuschauer, die im
Drängen einer Historie der Ausbeutung nur schwerlich wegschauen
können. Zu präsent sind Lekys Charaktere, wie etwa der einstige
Wehrmachtssoldat Siegfried Müller, der in den 1960er-Jahren als
skrupelloser Söldner im Kongo tätig war und zu erschütternder
Berühmtheit gelangte. Steckenbleibend in der Schleife einer
permanenten Reflektion mit seinen Idealen als einst aktiver
Entwicklungshelfer neutralisiert sich auch Lekys Für und Wider
hinsichtlich kaum noch überschaubarer Non-Governmental Organisations
(NGOs), die zuweilen mehr Schaden hinterlassen als Verbesserungen
herbeiführen. Die Produktion zeigt auf, dass das Zeitalter der
Kolonien nicht überwunden ist. In die Abhängigkeit externer
Einflussnehmer getrieben, bleibt die Entwicklung und Selbstbestimmung
ganzer Nationen auf der Strecke. Selbstbestimmung und Wohlstand kommen
trotz vorhandener Potenziale nicht über die Theorie hinaus. Die
Zukunft einer vor Gewalt, Armut und fehlender Perspektiven
flüchtenden Generation endet weiterhin als treibende Leiche im
Mittelmeer. Diesem längst zu Allgemeinwissen geratenen Erkenntnissen
setzt die Inszenierung eine finale Stille als zitterndes
Ausrufezeichen entgegen. „Kongo!“ – ein markerschütterndes
Stoßgebet Richtung schwarzer Himmel und gleißend weißer Hölle.

Die nächsten Aufführungen finden statt am 20./ 21. Dezember jeweils
um 20 Uhr. Kartenvorbestellung unter Telefon 0221/ 524242.

Mehr Informationen finden sich unter www.theater-im-bauturm.de

Redakteur/in:

RAG - Redaktion

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