Schule in Corona-Zeiten
Erster Schultag aus Sicht eines Lehrers
Marienheide - Mathias Deger, Lehrer der Gesamtschule Marienheide, berichtet über
seinen ersten Schultag nach Öffnung der Schulen:
Erster Schultag für mich nach der Schließung der Gesamtschule
Marienheide am 13.03.2020. Es ist der 24.04.2020 kurz nach 7 Uhr
morgens und ich fahre auf das Schulgelände. Einige wenige Autos
stehen schon da, u.a. auch das des Schulleiters. Es ist ruhig und es
sind noch keine Schüler und wenige Lehrer da. Ich betrete das
Schulgebäude, wo eine Kollegin Aufsicht macht und offensichtlich die
Aufgabe hat, zu kontrollieren, ob alle eine Gesichtsmaske aufhaben. Im
Eingangsbereich herrscht schon reges Treiben. Ich begegne u.a. dem
Schulleiter, der mich daran erinnert, doch ein paar Bilder vom ersten
Tag und den schulischen Maßnahmen gegen Corona einzufangen. Alle
Kollegen sind vermummt, was ich erwartet habe, da der Schulleiter
„Maskenpflicht“ angeordnet hatte, jetzt kommt es mir dennoch
ungewöhnlich vor. Auch an die räumliche Distanz muss ich mich auch
hier erst noch gewöhnen.
Auf meinem Plan steht, dass ich in den ersten 2½ Zeitstunden einen
Leistungskurs Erdkunde betreuen und aufs Abitur vorbereiten soll. Die
Schüler des Kurses sind laut Plan auf zwei Räume verteilt. Das ist
nichts Ungewöhnliches, bereitet mir aber dennoch Unbehagen, weil man
sonst gewohnt ist, die zu unterrichtende Gruppe immer vor sich zu
haben. Der Schulleiter beruhigt mich und sagt, ich solle erste einmal
abwarten, ob auch alle Schüler kämen und ob nicht ein Raum
ausreiche. Das Sekretariat ist gut auf die neue Situation eingestellt
und hat wie jetzt in allen öffentlichen Räumen mit Publikumsverkehr
üblich Glasscheiben zum Schutz der Sekretärinnen bekommen.
Das Lehrerzimmer ist jetzt und bis zum Unterrichtsbeginn ungewöhnlich
still. Einige wenige Kollegen und Kolleginnen sitzen an ihren Tischen
und unterhalten auf Distanz. Das beherrschende Thema ist, wie kann es
auch anders sein, der Umgang mit Corona. Ich freue mich einen Kollegen
begrüßen zu können, der über 60 ist und den ich aufgrund seines
Alters derzeit nicht in der Schule erwartet hätte. Er sei gefragt
worden, ob er unterrichten wolle, gibt er mir zu verstehen, und da er
sich fit fühle, sei er jetzt hier und freue sich, dass er arbeiten
dürfe. Es ist nicht der einzige über 60-jährige, den ich an diesem
Morgen antreffe.
Ich mache mich auf den Weg zu den Unterrichtsräumen. Schon beim
Betreten des Schulgebäudes war mir beiläufig aufgefallen, dass alle
Türen offen standen, jetzt wird mir bewusst, dass sie alle mit
Holzkeilen aufgekeilt sind, damit sie offen bleiben. Mir ist unklar,
ob ein Berühren der Türen vermieden oder ein zusätzlicher
Luftaustausch in den Räumen gewährleistet werden soll. Für beides
sicher eine sinnvolle Maßnahme. Offene Klassentüren gibt es bei uns
sonst eher im Hochsommer, wenn die Hitze im Gebäude steht, jetzt
kommt es mir erst einmal ungewöhnlich vor.
An den Toiletten steht ein Schild „Bitte einzeln eintreten“. Ich
muss daran denken, dass die Toiletten zu normalen Unterrichtszeiten
stark frequentiert sind, einige Toilettenzellen sogar manchmal gerne
gemeinsam genutzt werden und frage mich, wie das demnächst werden
soll. Ich werfe einen kurzen Blick in die Herrentoilette und suche
nach Veränderungen. Toilettenpapier und Papiertücher sind in
ausreichender Zahl vorhanden. Das war aber bei uns spätestens seit
der Renovierung der Schule ohnehin nie ein Problem. Auch
Desinfektionsmittel entdecke ich, aber auch das war schon vor der
Schulschließung mit Beginn der Coronakrise dort vorhanden. Also
scheint hier alles bestens vorbereitet.
Auf dem Gang steht in der Nähe der Toiletten ein Tisch, der sonst
nicht dort steht. Später wird dort während des Unterrichts jeweils
ein Kollege sitzen, der den Zugang zu den Toiletten und die Gänge
überwachen wird, ob sich auch alle an die Abstandsregeln halten. Ich
denke mir, dass das nur eine vorübergehende Maßnahme für die ersten
Tage sein kann, bis die Regeln eingespielt sind. Mindestens 25% der
Kollegen fallen derzeit durch Corona und andere Gründe aus. Da wird
diese sicher notwendige Vorsichtsmaßnahme nicht auf Dauer aufrecht zu
erhalten sein, vermute ich.
Der eine oder andere Laufweg im Schulgebäude wird mir durch Barrieren
versperrt, die mich zwingen einen anderen Weg zu nehmen. Auch eine
Vorsichtsmaßnahme, um zu viele Kontakte zu vermeiden. Ob die Schüler
die Barrieren akzeptieren werden, bleibt abzuwarten. Im
Unterrichtsraum angekommen sehe ich, dass sich statt der sonst ca. 15
Tische mit 30 Stühlen nur noch etwa 12 Tische mit 12 Stühlen
befinden. In Nachbarräumen sehe ich später, dass einzelne Tische
sogar noch einmal markiert sind, um den Schülern zu zeigen, wo sie am
Tisch (nicht) sitzen sollen, um die Abstandsregeln einzuhalten. Vorne
am Waschbecken sind Seife, Handtücher und Desinfektionsmittel
vorhanden.
Die Schüler trudeln nach und nach ein und suchen sich Plätze. Am
Ende werden es 9 von 21 Abiturienten sein, die den Weg an diesem Tag
in den Erdkunde-LK gefunden haben.
Ich muss also meinen Kurs nur in einem Raum unterrichten. Wie
wohltuend es ist, nur eine kleine Lerngruppe unterrichten zu müssen!
Wenn das doch immer so sein könnte! Alle haben unterschiedliche Mund-
und Nasenmasken am. Das wird wohl dieses Jahr die neue Mode werden,
denke ich mir. Das Unterrichten selbst ist dann doch etwas
ungewöhnlich. Am meisten stört mich die Maske. Bei mir und bei den
anderen. Ich spüre, dass es beim Sprechen unter der Maske nach kurzer
Zeit ungewöhnlich warm wird und frage mich, wie das erst im Sommer
bei hochsommerlichen Temperaturen werden soll. Bei den Schülern muss
ich das eine oder andere Mal nachfragen, was sie denn gesagt haben,
weil die Maske wohl einige Silben verschluckt hat.
Aber auch daran werde ich mich wohl gewöhnen müssen. Am Ende der 2½
Stunden bin ich dann erst einmal froh, den Mund- und Nasenschutz für
einige Momente abnehmen zu können. Viel störender empfinde ich
jedoch die Distanz. Sind wir Lehrer es sonst gewohnt, die Schüler in
sogenannten kooperativen Lernformen zusammen zu führen, damit sie
z.B. in Partner- oder Gruppenarbeit interagieren können, ist das
aufgrund der notwendigen räumlichen Distanz nicht möglich oder muss
ganz neu eingeübt werden. Während ich den Abiturienten der früheren
Jahrgänge immer empfohlen habe, sich in Kleingruppen aufs Abitur
vorzubereiten und sich gegenseitig abzufragen, ist all dies derzeit
nur unter erschwerten Bedingungen möglich.
Nach den 2½ Unterrichtsstunden müssen die Schüler das
Unterrichtsgebäude für eine Pause verlassen. Ich nehme mir
Desinfektionsmittel, sprühe alle Tische ein und wische sie
anschließend ab. Auch bei dieser möglicherweise sinnvollen Maßnahme
frage ich mich, wie lange sie aufrechterhalten werden kann.
Spätestens wenn einige hundert Schüler mehr wieder in der Schule
sind, wird das Desinfizieren schon zeitlich nicht mehr möglich sein,
vermute ich. Jetzt sind nur die Abiturienten und die 10.-Klässler im
Hause, die auf unterschiedliche Räume verteilt werden können.
Bis dann aber bald mal die unteren Klassen mit stellenweise bis zu 30
Schülern pro Klasse unterrichtet werden sollen, muss wohl noch
einiges bedacht und organisiert werden müssen. Schon vor der Krise
waren die Lehrerstellen sowie die Unterrichtsräume knapp bemessen und
die Schülergruppen im Vergleich oft zu groß. Ich muss daran denken,
dass derzeit noch alle Läden über 800m² geschlossen haben müssen,
hier jedoch bald weit über 1000 Schüler auf engem Raum unterrichtet
werden sollen. Das wird der Schulleitung noch einiges an
Organisationstalent abverlangen, um das möglich zu machen.
Was bleibt für mich am Ende dieses Tages? Ich bin froh, dass ich
wieder mehr mit den Schülern direkt arbeiten kann, auch wenn das
„Lernen auf Distanz“ mit den meisten anderen Schülern noch einige
Zeit so weiter gehen wird. Es tut trotz aller Veränderungen und
Einschränkungen gut, Schüler und Kollegen wieder live zu erleben.
Fragen der Schüler können direkt beantwortet werden und das Gefühl
der Normalität, das sich an diesem ersten Tag in der Schule zumindest
ansatzweise einstellt, ist ein gutes Gefühl.
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
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