Neuanfang in Deutschland
Auf Jobsuche nach Flucht aus dem Iran
Die Liste der Vorurteile gegen Asylsuchende ist lang: Da ist die Rede
von Asyltouristen und Wirtschaftsflüchtlingen, von Ungebildeten und
Kriminellen, die nur nach Deutschland gekommen sind, um diesen
Sozialstaat unbarmherzig auszunutzen. Verallgemeinernde Aussagen, die
meist hinter vorgehaltener Hand oder im Schutze der
Social-Media-Anonymität getätigt werden und trotzdem das politische
Klima im Land vergiften und eine sachliche Diskussion verhindern. Wir
sprachen mit einem 30-jährigen Iraner, der versucht, hier Fuß zu
fassen und händeringend auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz
ist, über seine Beweggründe zur Flucht und sein Leben in
Deutschland.
Rhein-Erft-Kreis. Warum? Diese einfache Frage veränderte das Leben
von David A. (Name von der Redaktion geändert) grundlegend. Der
30-Jährige wuchs in der iranischen Hauptstadt Teheran auf. 18 Jahre
lang stellte er keine unbequemen Fragen. „Im Iran hast Du als
Heranwachsender wenige Möglichkeiten. Entweder du machst die
Ausflüge und Freizeitaktivitäten mit, die das Regime anbietet, oder
du machst überhaupt nichts“, erzählt er.
Er besuchte das Gymnasium, machte Abitur und begann mit dem Studium.
Dann kamen das Jahr 2009 und die „Grüne Bewegung“. Nach der
iranischen Präsidentschaftswahl warf die Opposition dem Amtsinhaber
Mahmud Ahmadineschād Wahlbetrug vor.
Dieser hatte in Umfragen, wenige Monate vor der Wahl, noch mit 15
Prozent weit abgeschlagen hinten gelegen und die Wahl schließlich mit
über 63 Prozent für sich entschieden. Es kam zu öffentlichen
Protesten und Demonstrationen.
Auch David ging auf die Straße. Zu viele seiner Fragen konnte die
iranische Regierung nicht beantworten. „Warum haben Frauen nicht
dieselben Rechte wie Männer? Warum müssen viele Kinder nach der
Schule hart arbeiten, weil ihre Eltern nicht genug zum Leben
verdienen? Solche Fragen beschäftigten mich und meine Freunde“,
erzählt er.
Die Proteste wurden zum Teil brutal niedergeschlagen, mehrere
Protestanten starben. David hatte Glück: „Das Handynetz
funktionierte plötzlich nicht mehr. Also habe ich meine Eltern von
einer Telefonzelle aus angerufen und ihnen gesagt, dass es mir gut
geht. Dann habe ich mich umgedreht, und da standen plötzlich vier
Männer in Zivilkleidung. Sie haben mir die Hände mit Kabelbindern
gebunden, haben mich und einen Freund zu einem Auto gebracht. Vor dem
Auto mussten wir uns hinknien und sie haben uns immer wieder auf den
Kopf und in den Nacken geschlagen. Wir waren uns sicher, dass sie uns
gleich ins Auto verfrachten, aber da kamen 200 bis 300 Demonstranten
auf uns zu. Die haben uns befreit und wir sind getürmt.“
Heute wisse er, dass viele der an diesem Tag Festgenommenen ins
gefürchtete Kahrisak-Gefängnis gebracht wurden. Dort seien sie in
eine viel zu kleine Gemeinschaftszellen gequetscht worden.
Überlebende berichteten später von brutalen Vergewaltigungen und
Folter. Vier jugendliche Demonstranten starben. Das Gefängnis wurde
anschließend, auf Anweisung von Ajatollah Ali Chamene’i,
geschlossen.
David wusste damals noch nichts von den schrecklichen Folgen, die eine
Gefangennahme für ihn hätte haben können. „Einen Tag später war
ich wieder auf der Straße“, erzählt er. Nur diesmal habe er
weniger Glück gehabt: „Polizisten auf Motorrädern haben mit ihren
Schlagstöcken im Vorbeifahren auf Demonstranten eingeprügelt. Mich
hat auch etwas am Rücken erwischt. Aber es muss etwas Spitzes und
Scharfes gewesen sein.“
Blutüberströmt schleppte er sich nach Hause. Sein Vater brachte ihn
aus Teheran heraus in ein Krankenhaus. „In den Teheraner
Krankenhäusern wartete schon die Geheimpolizei. Die haben da die
Verletzten eingesammelt und ins Gefängnis gebracht“, erklärt
David. Zwei Wochen musste er im Krankennhaus bleiben. Zurückgeblieben
ist eine hässliche Narbe.
Die Proteste waren nach seiner Entlassung endgültig niedergeschlagen.
David musste seiner Mutter versprechen, nicht wieder auf die Straße
zu gehen und seine Meinungen lieber für sich zu behalten. „Das habe
ich gemacht. Ich habe mein Studium abgeschlossen und habe mir einen
Job gesucht.“ Fünf Jahre arbeitete er als Vertriebsexperte in einer
iranischen Autofabrik.
„Wir haben chinesische Autos für den iranischen Markt
hergestellt“, erzählt er. Mit seinen Kollegen kam er gut zurecht,
auch wenn es mit manchen zu politischen Diskussionen kam. „Einige
haben mir dann gedroht und gesagt: Du musst aufpassen, was du
sagst!“
Als die iranische Regierung 2017 ankündigte, große Teile des
staatlichen Haushalts in religiöse Institutionen, das Militär und
die Revolutionsgarde zu stecken und das bei einer extrem hohen
Arbeitslosenquote, Wassermangel im Umland und steigender Armut, gingen
wieder viele Menschen auf die Straße.
Auch David fasste Hoffnung, endlich etwas im Iran ändern zu können.
„Wir haben bei der Organisation einer mehrtägigen Großdemo in
Teheran geholfen. Alles lief super. Dann kam der Anruf“, erinnert er
sich. David kam gerade aus der Mittagspause, da klingelte sein Handy.
Am anderen Ende war seine Mutter, die ihm nur sagte „Komm nicht nach
Hause“.
Für David kam diese Nachricht nicht ganz unerwartet: „Wir wussten,
was mir machen ist gefährlich und wir wussten welche Konsequenzen
unser Handeln haben könnte.“ Ohne weiter nachzufragen, schnappte er
sich seinen Rucksack und machte sich auf zum Flughafen.
„Ich habe den erstmöglichen Flug nach Istanbul gebucht. Die Türkei
ist das einzige Land, in das wir ohne Visum einreisen dürfen. Ich
habe auch extra eine türkische Airline gewählt. Da wusste ich,
sobald die Maschine in der Luft ist, bin ich safe.“
Doch auch die Türkei sei für iranische Oppositionelle kein sicherer
Hafen. David: „Die liefern in den Iran aus.“ Also ging für ihn
die Odyssee weiter. Sein Ziel: „Kanada. Einige befreundete Iraner
haben sich dahin abgesetzt.“ Doch die Reise endete früher als
geplant: Schleuser ließen ihn in Bremen am Flughafen zurück. „Die
sagten, sie kümmern sich um die Tickets und dann waren sie weg“,
erzählt David.
So endete seine Flucht unerwartet früh in einem Land, zu dem David
überhaupt keine Verbindung hatte. In den kommenden Wochen wurde er
von Asylunterkunft zu Asylunterkunft geschoben. Einige Wochen lebte er
auch auf der Straße.
Jetzt ist er im Rhein-Erft-Kreis angekommen, spricht neben Fārsī,
Türkisch und Englisch auch schon gut Deutsch. „Ich liebe den Iran.
Ich liebe die Menschen dort, die Geschichte und die Geographie des
Landes. Aber ich bin Realist genug, um zu wissen, dass ich nie in
meine Heimat zurückkehren kann. Wenn ich einen Fuß auf iranischen
Boden setze, werde ich verhaftet, und man sieht mich nie wieder“,
ist David überzeugt.
Prominentere Oppositionelle würden im Hausarrest sitzen und blieben
ansonsten vom Regime unbehelligt. David: „Aber was ist mit den
vielen, vielen anderen, die keiner kennt? Die verschwinden einfach,
und kaum jemanden interessiert es.“
Mit über 30 Jahren möchte er sich jetzt in Deutschland eine Existenz
aufbauen. Dafür ist er bereit, hart zu arbeiten. „Rumzusitzen in
den Asylunterkünften, das ist nichts für mich. Da kommen die Leute
nur auf dumme Gedanken. Ich möchte raus, Menschen kennenlernen,
Freunde finden, für mein Geld arbeiten.“
Vor der Corona-Pandemie habe er bereits in einem Kölner Altenheim
gearbeitet. David: „Dann habe ich mich selber angesteckt und musste
in Quarantäne.“ Anschließend habe er Vollzeit in einem
Veranstaltungstechnik-Unternehmen gejobbt, bis sich die Auftragslage,
coronabedingt, verschlechterte. Über 100 Bewerbungen hat er
geschrieben. Unterstützt wird er dabei von einem jungen Lehrerpaar.
„Die beiden sind jetzt wie ein Teil meiner Familie“, bedankt sich
David.
Das Problem: Sein Asylverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Er
besitzt nur eine Duldung, darf allerdings eine Berufsausbildung
beginnen. Diese würde sich sicherlich positiv auf sein Asylverfahren
auswirken. Am liebsten wäre ihm eine Ausbildung im elektronisch,
technischen Bereich. Produktdesign und Produkttechnik kämen seiner
Ausbildung am Nächsten. Aber David will nicht zu wählerisch sein:
„Ich bin jetzt hier, ich möchte bleiben, und ich möchte etwas tun.
Einen Weg zurück gibt es leider nicht.“
Doch wenn es Absagen hagelt, gerät er schon mal ins Grübeln: „Ich
hätte es mir einfach machen und keine Fragen stellen können. Mir
persönlich ging es doch gut. Aber was sagt das über mich, wenn ich
einfach mit dem Strom geschwommen wäre?“
David hat Angst um seine Familie im Iran, daher haben wir seinen Namen
geändert. Wer mit David in Kontakt treten möchte oder ihm einen
Ausbildungsplatz anbieten kann, der kann sich per E-Mail an
lars.kindermann@rag-redaktionsservice.de wenden. Wir leiten die
E-Mails dann an ihn weiter.
Redakteur/in:Lars Kindermann aus Rhein-Erft |
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