Stadtarchiv
Ein Koffer voller Überraschungen

Übergaben die historischen Unterlagen samt Koffer an Bürgermeister Dr. Uwe Friedl (2.v.r.) und Stadtarchivarin Gabriele Rünger (r.): Hermann Verbeek (v.l.), Gisela Verbeek und Hilde Fettweis-Verbeek. | Foto: Tom Steinicke
  • Übergaben die historischen Unterlagen samt Koffer an Bürgermeister Dr. Uwe Friedl (2.v.r.) und Stadtarchivarin Gabriele Rünger (r.): Hermann Verbeek (v.l.), Gisela Verbeek und Hilde Fettweis-Verbeek.
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Euskirchen - So manch einer soll einen Koffer in Berlin haben. Im Elternhaus der
Geschwister Gisela, Hilde und Hermann Verbeek lag jahrelang einer im
Keller. Direkt neben der Sauna! Mit abgerissenem Tragegriff! Den
rotbraunen Koffer samt dem spektakulären Inhalt haben die drei
gebürtigen Arloffer jetzt dem Euskirchener Stadtarchiv übergeben.
Zahlreiche schriftliche Dokumente - zum Teil gut 150 Jahre alt - aus
dem Fundus des Arloffer Lehrers Matthias Casper wechselten dabei
offiziell den Besitzer.

Die Geschwister Verbeek sind die direkten Nachfahren des Lehrers, der
als Schöffe am ehemaligen Schöffengericht Arloff/Weingarten
arbeitete. „Die Schriftstücke haben höchste regionalgeschichtliche
Bedeutung“, sagte Euskirchens Bürgermeister Dr. Uwe Friedl bei der
Unterzeichnung des Depositalvertrages. Doch was schlummerte so lange
unbeachtet in dem unscheinbaren Koffer? „Es sind zum Teil private
Unterlagen wie Liebesbriefe, aber auch Dokumente des
Schöffengerichts, das zum kurkölnischen Amt Hardt mit Amtssitz auf
der Hardtburg gehörte“, erklärte Gabriele Rünger, Leiterin des
Stadtarchivs.

Seit einigen Monaten liest sich die Historikerin durch die in
Kurrentschrift verfassten Dokumente, transkribiert sie ins
Hochdeutsche und versucht Ordnung in die Schriftstücke zu bekommen.
Ehrenamtliche Unterstützung erhält sie von Karin Trieschnigg. Zwei
Drittel hat das Duo schon gelesen und zugeordnet.

Besonders einige, zu einem Paket zusammengeschnürte Unterlagen
trieben Rünger fast die Tränen in die Augen. „Als ich den Namen
Gertrud Orth gelesen habe, blieb mein Herz kurz stehen. Dann habe ich
die Akten sofort in den Tresor geräumt“, erinnerte sich Rünger.
Unter dem Pseudonym „Ännchen von Kalkar“ sei Orth zum
Hauptbestandteil zahlreicher regionalen Sagen und Legenden geworden.
Rünger: „Ihr wurde wegen Kindesmord der Prozesse gemacht und sie
wurde 1768 hingerichtet. An der Stelle des heutigen Stadtwalds wurde
sie geköpft.“ Laut Rünger gestand Orth den Mord unter Folter -
zehn Jahre bevor die Folter verboten worden sei.

Solche und ähnliche Protokolle galten Jahrzehnte als verschollen. Nun
sollen sie wissenschaftlich aufgearbeitet und später der
Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

In den entdeckten Protokollen geht es aber nicht nur im
Kapitalverbrechen. Auch das Gerichtsurteil einer Kirmesschlägerei hat
Rünger schon transkribiert. 1789 machten sich neun Arloffer auf den
Weg nach Satzvey, um den Schmied der Burg aufzumischen und ordentlich
zu vermöbeln. Ein Dieb aus Weyer, der eine Hose gestohlen hatte,
wurde laut der Mitschriften zu Stockhieben verurteilt - in der zuvor
geklauten Hose. Das älteste in dem Koffer entdeckte Dokument - eine
Urkunde - stammt laut Rünger aus dem Jahr 1562.

Aber nicht nur der Koffer ist nun im Besitz des Euskirchener
Stadtarchivs. Die Geschwister Verbeek überreichten Rünger auch gut
400 Jahre alte Bücher und zahlreiche Aktenordner mit Notizen über
Testamente, erbrachte Einquartierungsleistungen für fremde Truppen
sowie Niederschriften über Streitigkeiten im Bereich Wald- und
Weiderechte. „Wir sind stolz, dass die Unterlagen in Euskirchen
bleiben und in einer so guten Hand sind. Wir sind aber auch gespannt,
ob wir noch ein bisschen über unsere Vorfahren erfahren“, sagte
Hermann Verbeek bei der Vertragsunterschrift.

Die Stadtverwaltung sei sich zunächst aber gar nicht sicher gewesen,
dass Koffer und Co. tatsächlich in Euskirchen bleiben dürfen, so
Bürgermeister Friedl. „Wir haben geprüft, ob andere Archive einen
Anspruch gehabt haben. Sämtliche Fristen sind aber abgelaufen und so
durfte Familie Verbeek entscheiden, was mit den Dokumenten
passiert.“

- Tom Steinicke

Redakteur/in:

RAG - Redaktion

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