Nach der letzten Szene kam die Flut
Gutes Ende für 26 Kinder
Kreis Euskirchen/Wißkirchen - 26 Teenager drehten mit professionellem Kamera-Equipment auf dem
Islandpferdehof in Wißkirchen ein Musik-Movie. Kurz bevor die
Wettersituation sich zuspitzte, handelten die Initiatoren, Lucas und
Martijn Theisen, blitzschnell und brachten alle Kinder in Sicherheit.
(me). Das Leben ist bekanntlich kein Ponyhof. Schon gar nicht für
Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen Familien, mit
Migrationshintergrund oder mit Behinderung. Doch für 26 Teenager
zwischen zehn und 15 Jahren traf diese zugegeben recht alberne
Lebensweisheit zumindest ein paar Tage lang zu. Sie hatten nämlich
auf dem Veybachhof von Dagmar Scholl in Wißkirchen ihr Ferienlager
errichtet und genossen das Leben in der freien Natur, mitten unter
zahmen und manchmal auch wilden Tieren, was die Insekten anging. Doch
kümmerten sie sich keineswegs nur um die Ponys, die täglich
gestriegelt und gefüttert werden mussten, sondern sie hatten darüber
hinaus einen Kulturauftrag: Sie wollten nämlich inmitten der 120
Vierbeiner - Katzen und Hunde nicht mitgerechnet - einen Musikfilm
drehen.
Und zwar kein Schmalspurvideo mit dem Handy, sondern ein echtes Movie.
Unterstützt wurden sie dabei von Rudi Kurth, einem Filmprofi, der
dazu einiges an Technik, darunter sogar einen Kamerakran aufgeboten
hatte, um die jungen Leute bestens in Szene zu setzen.
Initiator dieses ungewöhnlichen Jugendprojekts war das im Kreis
Euskirchen mittlerweile hinlänglich bekannte Künstler-Ehepaar Lucas
und Martijn Theisen. Ihre gemeinnützige Unternehmergesellschaft
„Spotlight Experience“ wurde 2019 gegründet, um Kindern und
Jugendlichen sowie Geflüchteten und Menschen mit körperlicher und
geistiger Beeinträchtigung eine Stimme zu geben.
„Das Projekt wurde gefördert aus Landesmitteln, genauer aus dem
Topf »Kultur macht stark« und hier aus den Mitteln »Movies in
motion«“, berichtete Lucas Theisen. Das Projekt unterteile sich in
drei Abschnitte: Feriencamp, Filmerstellung und schließlich die
Premiere-Veranstaltung im Kino Lindentheater in Frechen. „Zum Glück
hatten wir einen Tag, bevor das Gelände überflutet wurde, alle
wichtigen Szenen im Kasten“, so Lucas Theisen.
In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch seien vorsichtshalber schon
alle Sachen der Kinder gepackt worden, um das Camp notfalls schnell
auflösen zu können. Nur die Isomatten und Schlafsäcke lagen noch in
den Zelten. „Zu dieser Zeit haben wir noch völlig unterschätzt,
was da auf uns zukam“, gestand Theisen. Am Mittwochnachmittag habe
das Betreuungsteam überlegt, wie man die letzte Nacht im Camp
gestalten solle. Die Idee war, entweder die Nacht in der geschützten
Reithalle zu verbringen oder das Camp abzubrechen und die Kinder
abholen zu lassen. „Die jungen Leute wollten unbedingt bleiben und
machten diesem Wunsch mit Nachdruck Luft“, erinnert sich Theisen.
Aber dann sei ein Feuerwehrmann gekommen und hätte gesagt, dass sie
den Platz besser schnellstmöglich verlassen und die Kinder in
Sicherheit bringen sollten. „Da war uns klar, die Sache ist
ernst“, so Theisen weiter. Sogleich habe man die Eltern informiert.
„Wir haben die Kinder und ihr Hab und Gut dann in die von der Stadt
angemieteten höher gelegenen Duschräume der Sportanlage nebenan
gebracht“, erzählt Lucas Theisen: „Als die letzten Eltern
eintrafen, standen wir in den Umkleiden bereits knöcheltief im
Wasser.“
Danach erst wurde die Technik gerettet. Für die Zelte war keine Zeit
mehr. „Ich bin heilfroh, dass uns die Wasserlawine nicht in der
Nacht überrollt hat“, so Theisen weiter. „Das hätte in einer
Katastrophe geendet.“ So beklage man lediglich den Verlust von 22
Vier-Personenzelten und zwei große Gruppenzelten.
„Wir haben den jungen Leuten hier neun Tage lang die Möglichkeit
geboten, eine ganz besondere Ferienfreizeit zu erleben. Für einige
Kinder war das eine völlig ungewöhnliche Erfahrung, da sie noch nie
so etwas wie Urlaub gemacht hatten“, berichtet Martijn Theisen. Da
die Inzidenzen gerade niedrig waren, habe man für jeweils zwei Kinder
ein Zelt besorgt sowie Luftmatratzen, Schlafsäcke und aufgrund der
Wetterlage schließlich auch Gummistiefel.
Auch der Pferdehof sei schwer in Mitleidenschaft gezogen worden und
hätte sich in kurzer Zeit in eine Seenlandschaft verwandelt. „Elf
Helfer waren hier die ganze Nacht damit beschäftigt, die Pferde in
Sicherheit zu bringen“, so Theisen. „Teilweise standen sie dabei
bis zur Brust im Wasser.“
Die 26 Kinder waren über drei Institutionen vermittelt worden. Zum
einen vom Verein „Wellenbrecher“, einem anerkannten Träger der
freien Jugendhilfe und der Eingliederungshilfe für Menschen mit
Behinderung im Kreis Euskirchen, zum anderen von der Offenen Kinder-
und Jugendarbeit (OKJA) der Evangelischen Christusgemeinde Königsdorf
sowie vom Verein „Veedel“ aus Köln-Neubrück, der sich unter
anderem für Kinder aus sozialen Brennpunkten starkmacht.
Vor Ort kümmerten sich um die jungen Leute drei Künstler, zwei
Assistentinnen und vier Ehrenamtler.
„Besonders stolz sind wir darauf, dass wir mit Ronahi und Jian zwei
Ehrenamtliche mit an Bord hatten, die bereits bei unserem Projekt
»Home« als Akteure mit dabei waren“, berichtete Martijn Theisen.
Aber auch der Ponyhof sei nicht zufällig ausgewählt worden. Denn
Hanna Schumacher, die auf dem Islandpferdehof arbeite, habe mit zu den
Solistinnen eines anderen Musical-Projekts gehört, bei dem die
Thomas-Esser-Berufsschule involviert gewesen sei. „Sie wollte damals
weder singen noch tanzen, doch dann gefiel ihr die Arbeit so gut, dass
sie sogar solo gesungen hat“, erinnern sich die Theisens. So habe
man sich kennengelernt und die Idee mit dem Ponyhof entwickelt. Für
Hanna Schumacher sei es eine schlimme Nacht gewesen.
Für die Technik war Rudi Kurth zuständig, der bereits bei großen
Filmproduktionen wie „High Life“ mit Robert Pattinson und Juliette
Binoche, „Only Lovers Left Alive“, einem Film von Jim Jarmusch mit
Tilda Swinton und Tom Hiddlestone in den Hauptrollen, oder dem
David-Kronenberg-Movie „Eine dunkle Begierde“ mit den
Schauspielern Michael Fassbender und Keira Knightley sowie 36 weiteren
Kinofilmen mitgewirkt hat.
Die Jugendlichen unterteilten sich in mehrere Gruppen. Die einen waren
für Schauspiel zuständig, erarbeiteten Szenen, andere kümmerten
sich um Gesang und Tanz.
Neben dem professionellen Tänzer Lucas Theisen und Choreograf Martijn
Theisen war auch Anna Grah mit von der Partie. Die Kölner
Musicaldarstellerin ist Tanz- und Vokalpädagogin und vom Songtext bis
zur Aufnahme für alles zuständig. Weiterhin waren mit dabei Lena
Sofouglu, die als „gute Seele“ des Projekts vor allem für die
gute Laune sorgte, auch wenn im Schlafsack mal ein Ohrenkneifer
gefunden wurde, der Regen einem die Klamotten durchweichte und der
Wind ein Zelt vom Platz fegte.
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
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