Einfach ist das Maibaumsetzen in Corona-Zeiten nicht. Doch auch 1976 war es spannend…
Der Maibaum und die Regenrinne
„Klar setze ich einen Maibaum!“ Ehrensache im flotten Alter von 18 Jahren, was soll die Frage? Wir schreiben das Jahr 1976, die Trauer über die Auflösung der Beatles hält noch immer an, ABBA ist top, Deep Purple, Led Zeppelin, Motorräder, Matratzen und Schwarzlicht im Keller. Erfahrung haben wir keine, also improvisieren wir nach Generalstabsplan, Manfred, Gerd und ich. Die Namen der Mädchen nenne ich selbstverständlich nicht, auch wenn meine Tochter Susanne ihren Namen… aber ich schweife ab.
Natürlich sind wir alle verliebt, was sollen wir denn auch sonst in dem Alter tun? Gut, das Abitur steht drohend vor der Tür, aber man muss doch schließlich Prioritäten setzen, oder nicht? Nicht, dass wir solche tiefgreifenden Überlegungen überhaupt anstellen würden. Also los.
Man nehme: einen Maibaum pro Kopf und Mädchen, ein geeignetes Fahrzeug, bunte Bänder, irgendwas zum Festbinden. Nichts leichter als das. Ich besorge Fahrzeug und Maibäume. Nur dass es 1976 nicht an jeder Ecke einen passenden Mietwagen gibt. Und wenn wir eines im Überfluss haben, dann ist das kein Geld. Aber man kennt sich ja aus, und so ist ein passender VW-Bus schnell gefunden. Da ich morgens Brötchen und Brot für die Bäckerei Günther in Wesseling auf die Filialen verteile, überlässt mir Inhaber Armin Hecker den Bus für die wesentlich wichtigeren Dinge der Mainacht. Ein weißer VW-Bus mit Automatik, wie ihn die Zivilstreifen der Polizei gerne benutzen.
1976 ist es noch wenig üblich, Maibäume zu kaufen. Man geht in den Busch und schlägt sich seinen Baum selbst. Aber die Zeit dazu fehlt mir, deshalb kaufe ich die Maibäume bei Theo Engels, der in einer Seitenstraße zum Mühlenweg die Maibäume nach Bedarf schlägt. Gut, sie sind alle etwas länger als der VW-Bus, aber es ist doch sicher von Vorteil, wenn man mit offener Heckklappe fährt und diesen Brotgeruch mal auslüftet?
Manfred bringt die Bänder mit, Gerd was zum Festbinden. Jetzt wären wir einsatzbereit, aber so einfach geht das dann doch nicht. Zuerst die Pflicht, dann die Kür. Der Abend wird mit einem Tanz in den Mai eingeläutet, veranstaltet von der Tanzschule Reiss in Brühl. In Vochem im Saal Dreesbach geht es ganz brav nach Vorschrift zur Sache. Die Nischen rund um die Kirche nebenan könnten sicher noch andere Geschichten erzählen. Aber das hat nichts mit Maibäumen zu tun. Die Mädels müssen alle um 10 zu Haus sein. Was normalerweise für uns ein stetes Ärgernis ist, stört uns am Maiabend nicht. Schließlich muss ich noch das Auto samt Bäumen abholen.
Um 1 Uhr morgens fahren wir in Merten vor. Es ist nicht so einfach, einem Mädchen auf einem Dorf einen Maibaum zu setzen, man muss schon sehen, dass man niemandem in die Quere kommt. Aber alles läuft gut, wir binden den Maibaum am Gartenzaun fest, und Manfred ist schon einmal glücklich. Bei Gerd läuft es dann schon etwas schwieriger. Sein Mädchen wohnt in einem Wohnblock in Brühl mit etlichen Parteien und wohl auch einigen begehrten Mädchen. So um 2 Uhr morgens ist da einiges los auf der Straße. Mindestens 5 Trupps laufen dezent mit Maibäumen hin und her, so dass ich den VW-Bus erst einmal an der Seite parke, um die Lage zu sondieren.
Es dauert nicht lange, und schon kommt ein Abgeordneter der 5 Gruppen vorsichtig auf die vermeintliche Polizeistreife zu, um uns zu versichern, dass sie alle ihre Bäume ehrlich und für viel Geld erstan… aber da entdeckt er, dass er mit uns in einer Klasse ist, und das Problem ist erledigt. Damit ist auch der Maibaum von Gerd gesichert.
Zum Schluss fahren wir in die Schildgesstrasse. Mittlerweile ist es 3 Uhr morgens, wir sind zwar nüchtern, aber bester Laune. Es handelt sich da um eine kleine Stichstraße, wir lassen den Bus draußen stehen und sondieren die Lage.
In einer Mainacht führt irgendwann jedes gesprochene Wort zu einem Lachanfall bei allen Beteiligten. Dagegen ist kein Kraut gewachsen. Immerhin stellen wir jetzt den dritten Maibaum auf, der stark nach Oberländer Brot riecht. Mit der Diskretion eines kleinen Karnevalsvereins schleichen wir uns zum Haus und stellen als Erstes fest, dass wir keine Leiter dabeihaben. Das Zimmer meiner Angebeteten liegt im ersten Stock, folglich kommt auch der Maibaum da hinauf. Auf‘s Dach geht schon mal gar nicht, die Regenrinne muss herhalten. Doch wie dorthin kommen? Alle Vorschläge enden in einer Lachsalve, von der in der ganzen Straße niemand etwas mitbekommt. Nie nicht. Improvisieren ist angesagt.
Zuerst wird der Maibaum herbeigeschleppt. Über die Frage, ob der Geruch jetzt eher Oberländer oder doch Erdbeertorte sei, geraten wir schon wieder aus der Fassung. Ruhe, wir sind hier nicht allein. Ah, die Mülltonne! Eine große Zinktonne bietet sich doch glatt als Leiter an. Ich stelle die Tonne mitten in das frisch aufbereitete Blumenbeet neben der Regenrinne. Standen da nicht gerade noch Blumen? Vorher, meine ich?
Es braucht ein paar Anläufe, dann stehe ich auf der Mülltonne. Zwar etwas wacklig, aber immerhin. Ich wuchte den Maibaum nach oben, um ihn dort anzubinden. Die Regenrinne ist mein einziger Halt, als die Misere beginnt. Ein Mann plus ein Maibaum, das ist dem Blumenbeet dann doch zu viel. Langsam, aber sicher versinkt die Mülltonne im Beet. Das ist so nicht geplant. Ich hänge oben an der Regenrinne, während unten die blöde Tonne das Weite sucht. Aufgeben ist keine Option, also halte ich mich mit einer Hand an der Regenrinne fest, in der zweiten Hand den Maibaum, und überlege still vor mich hin.
Es gibt Momente im Leben, in denen man wahre Freunde erkennt, und dies ist ein solcher. Während ich im ersten Stock an der Regenrinne um mein Leben und das des Maibaums kämpfe, wälzen sich meine Kumpels auf dem Rasen vor Lachen. Die Mülltonne ist zwischenzeitlich umgekippt und zu einer weiteren Zusammenarbeit nicht bereit. Zu allem Überfluss muss ich selbst lachen. Mit lauten „Psssst“-Rufen können wir gerade noch verhindern, dass irgendjemand etwas von unseren Aktivitäten mitbekommt.
Es bleibt mir keine Wahl, ich klemme einen Fuß hinter die Regenrinne und binde den Maibaum fest, wie es sich gehört. Ein dezenter Sprung in das vormalige Blumenbeet schließt die Aktion graziös ab. Wir bringen das Auto zurück, wo es hingehört, nicht ohne ein paar lose Blätter zu entfernen. Schließlich muss morgens wieder Brot ausgefahren werden.
Stolz präsentieren wir uns dann am 1. Mai unseren Mädels, die natürlich restlos begeistert sind. Das mit dem Blumenbeet ist schon etwas heikel. Aber die lehmigen Fußabdrücke an der Fassade im ersten Stock, die hat mir mein damals möglicher Schwiegervater wohl nie verziehen.
Vielleicht habe ich ja deshalb eine andere Frau geheiratet.
Diesen Artikel gibt es hier auch als pdf. Weitere Geschichten gibt es in meinem Profil.
Wenn der Text ein wenig zum Schmunzeln anregt, würde ich mich freuen. Es gibt genug Dinge, über die man nicht Schmunzeln kann.
LeserReporter/in:Dieter Weidenbrück aus Wesseling |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.