Neue Stolpersteine in Wesseling
"Die eine Botschaft: Nie wieder"
Wesseling - Sechs neue „Stolpersteine“ wurden vergangene Woche in der Stadt am
Rhein verlegt. Fünf vor dem Haus Nordstraße 20, einer vor dem Haus
Kölner Straße 80.
Bei den Stolpersteinen handelt es sich um „Konzeptkunst“, wie
Künstler Gunter Demnig im Gespräch mit der Redaktion erläuterte.
1992 begann der gebürtige Berliner mit der Verlegung der Steine, die
im Boden verlegten kleinen Gedenktafeln aus Messing sollen an das
Schicksal der Menschen erinnern, die in der Zeit des
Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in
den Suizid getrieben wurden.
25 Jahre nach der ersten Verlegung ist die Anzahl der Steine auf
mittlerweile über 60 000 angewachsen und längst nicht mehr auf
Deutschland beschränkt: 270 Tage im Jahr sind Demnig und seine sechs
Mitarbeiter damit beschäftigt, dem enormen Wunsch der Menschen nach
Stolpersteinen europaweit nachzukommen.
120 Euro kostet ein solcher Stolperstein, eine „soziale Skulptur“,
wie Demnig sagte. Diese seien ein „völlig anderer
Geschichtsunterricht“, so der 69-Jährige. Mit der Zahl der
ermordeten Menschen in der NS-Zeit könne man nicht viel anfangen,
aber so fange die Geschichte vor der Haustüre an.
Und tatsächlich: Die Schüler der Wesselinger Wilhelm-Busch-Schule
Aran, Okan, Aleksandar (alle 16) und Alban (15), die mit ihrem Lehrer
zur Verlegung gekommen waren, waren sehr beeindruckt von den
Ausführungen der Stadtarchivarin Martina Zech über das Schicksal der
Menschen auf den Stolpersteinen.
Die Verlegung durch den Künstler begann in der Nordstraße in der
winzigen Seitengasse zum Rhein hin vor dem Haus Nummer 20, der letzten
bekannten Adresse der Familie Cahn. Mit vor Ort war auch Tana Stern
(74), ihre drei Halbgeschwister und die Mutter Irene Cahn hatten hier
ihre letzte gemeinsame Wohnadresse.
Irene Cahn, geborene Löwenstein, zog kurz nach ihrer Geburt 1907 mit
den Eltern nach Wesseling. Hier lernte sie Emil Cahn kennen und die
beiden heirateten 1925. Um ihre drei Kinder Josef (geboren 1925), Kurt
(geboren 1929) und Hannelore (geboren 1935) vor den
Nationalsozialisten zu schützen, schickten sie sie nach Rotterdam.
Doch das rettete die Kinder nicht, sie wurden zwei Jahre in das von
den NS-Besatzern eingerichteten Lager Westerburg interniert und 1944
erst in das Lager Theresienstadt, und noch im gleichen Jahr nach
Auschwitz. Hannelore wurde im Alter von 9 Jahren in Ausschwitz
ermordet, ihr Bruder Kurt starb mit 15 Jahren, ebenfalls in Auschwitz.
Den Recherchen von Tana Stern zufolge musste ihr Halbbruder Josef 1945
bei der Räumung des Vernichtungslagers Ausschwitz an dem Marsch nach
Buchenwald teilnehmen. Dort verliert sich seine Spur, er wurde später
für tot erklärt.
Tana Sterns Recherchen ergaben aber, dass der Bruder überlebt haben
soll – sie sucht bis heute nach ihm. Josef Cahn, sollte er noch
leben, wäre heute 88 Jahre alt. „Auch wenn er nicht mehr lebt,
vielleicht hat er Kinder“, sagte Stern zur Redaktion.
Emil Cahn war 1939 kurz in „Schutzhaft“ in Dachau und mit der
Auflage Deutschland zu verlassen, wieder freigekommen. Er floh nach
England, es gelang ihm nicht, die Familie nachzuholen. Um nicht in
einer Lager zu kommen, trat er in die englische Armee ein. Emil Cahn
starb 1958 in England.
Nachdem Irene Cahn Wesseling verlassen musste, lebte sie mit ihrer
Mutter in Köln und versteckte sich nach deren Tod an einem
unbekannten Ort. Dort wurde sie schwanger mit Tana und musste ihr
Versteck für die Geburt der Tochter verlassen. Doch Irene wurde
sofort verhaftet und ins Kölner Klingelpütz gebracht, hier wurde
Tana geboren.
Tanas leiblicher Vater wurde erschossen, Mutter und Kind hat man
getrennt voneinander nach Theresienstadt gebracht. In dem Lager
kümmerten sich andere Menschen um Tana, unter anderem Fritz Stern.
Mutter und Tochter überlebten und fanden sich nach der Befreiung von
Theresienstadt wieder. Irene Cahn ließ sich von ihrem ersten Ehemann
Emil scheiden, sie heiratete Fritz Stern. Eine Weile noch blieb die
Familie nach dem Krieg in Köln wanderte aber 1949 nach Israel aus.
Hier lebt Tana Stern in Kfar Saba, einer knapp 100 000 Einwohner
zählenden Stadt etwa 15 Kilometer nordöstlich von Tel Aviv. Sie hat
drei Kinder und vier Enkelkinder, arbeitet täglich noch zwei Stunden
als Krankenschwester.
Man könne ganz normal in Israel leben, antworte Tana Stern auf die
Frage der Redaktion nach den dortigen Lebensumständen, in der Presse
und im Fernsehen würde vieles übertrieben und falsch dargestellt.
Tana Stern hat in ihrem Leben viele Nachforschungen über ihre Familie
betrieben, Hilfe bekam sie dabei von Heini Fritsche, einem
pensionierten Kriminalbeamten aus Bonn, den sie in Israel kennen
gelernt hatte.
Aber auch wenn die beiden gemeinsam vieles erreicht haben, so ist das
Schicksal von Tanas Halbbruder Josef weiter völlig unklar. Sein Tod
ist nicht bezeugt, eine Leiche wurde nicht gefunden. Sterns Recherchen
zufolge soll er kurz vor Kriegsende aus dem Lager Buchenwald mit einer
Freundin geflohen sein, und es in die Niederlande geschafft haben.
Nach der Verlegung der fünf Steine für die Familie Cahn gingen die
rund 40 Teilnehmer weiter zur Kölner Straße 80, der letzten
Wohnadresse von Walter Koppel, der 1906 in Wesseling geboren wurde. In
diesem Haus wohnte zudem Emil Cahn vor seinem Umzug in die
Nordstraße.
Koppel war Wesselinger Viehhändler und Metzger, wie sein Vater
Ludwig. Mutter Paula stammte aus Rheinbach. 1942 wurde Koppel nach
Theresienstadt deportiert, zwei Jahre später folgte die Verlegung
nach Ausschwitz, von wo aus er nach zwölf Tagen nach Dachau gebracht
wurde. Im Januar 1945 kam er in das heutige auf tschechischem Boden
gelegene Lager Leitmeritz, ein Außenlager des Konzentrationslager
Flossenbürg. Hier wurde Walter Koppel am 24. Januar 1945 ermordet. Er
wurde 39 Jahre alt.
Die verlegten Steine würden nicht nur zu stummen Zeugen, die erinnern
und mahnen, sondern auch zu Steinen des Anstoßes und zum Grund von
Gesprächen und des Austausches, sagte Monika Engels-Welter,
stellvertretende Bürgermeisterin, in ihrer Rede.
Mit den neuen sechs Stolpersteinen – vor drei Jahren wurden die
ersten acht Steine auf der Kölner Straße verlegt – würde die
Erinnerungskultur, welche schon lange in Wesseling gepflegt wird,
erweitert.
Es gibt das frühe Mahnmal auf dem jüdischen Friedhof sowie das
Gedenken am Standort der ehemaligen Synagoge, welches vor zehn zu
einem großen Mahnmal ausgebaut wurde.
„Wir gedenken der Familien, die zerstört wurden, unwiederbringlich,
da Angehörige Opfer der Verbrechen wurden. Wir wollen mit den
Gedenkveranstaltungen und den kleinen und großen Mahnmalen immer
wieder die eine Botschaft senden: Nie wieder“, schloss Monika
Engels-Welter sichtbar bewegt ihre Rede.
Redakteur/in:Montserrat Manke |
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