Sascha Jügel:
"Ein Pakt mit dem Teufel"

Letzte Woche im Rat der Stadt: Die Zuschauertribüne ist gut gefüllt, später werden die GAG-Anwohner, zum größten Teil aus Wesseling-Süd, immer wieder mit Zwischenrufen ihrem Unmut Luft tun. | Foto: Montserrat Manke
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  • Letzte Woche im Rat der Stadt: Die Zuschauertribüne ist gut gefüllt, später werden die GAG-Anwohner, zum größten Teil aus Wesseling-Süd, immer wieder mit Zwischenrufen ihrem Unmut Luft tun.
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Wesseling - Es sei "ein Pakt mit dem Teufel" sagte Ratsherr Sascha Jügel vom
"Bündnis Soziales Wesseling" bei der jüngsten Ratssitzung. Er meinte
damit den Verkauf der 444 GAG-Objekte im Nordwesten Wesselings an die
Industria.

Heiß her geht es im ehrwürdigen Ratssaal zu Wesseling: Gut 30
Anwohner - allerdings überwiegend aus den GAG Wohnungen in Wesseling
Süd - haben im Zuschauerraum Platz genommen, und sie sind
aufgebracht, denn - so Susanne Steinbock - "von uns redet hier
niemand".

Unter den Zuschauern ist auch Maria Halft die seit 46 Jahren dort
wohnt, bis vor elf Jahren in der Siegstraße, dann zog sie um in die
Odenwaldstraße. 400 Euro inclusive Nebenkosten, aber ohne Heizung
zahlt die 81-Jährige für 73 Quadratmeter. Im Gespräch mit der
Redaktion kullern ihr ein paar Tränchen über die Wange, sie hat
Angst, sie landet auf der Straße.

Lieselotte (59) und Heinz (67) Imig aus der Odenwaldstraße zahlen
ebenfalls 400 Euro, im Winter fallen noch gut noch mal 400 Euro an
für Kohle. Heinz Imig wohnt seit 65 Jahren in Wesseling, "Ich ziehe
nicht nach Köln", sagt er. Er habe 1300 Euro Rente, seine Frau
arbeite in einem Mini-Job, da bleibe nicht viel für Miete: "Warum hat
die Stadt nicht Wohnungen für die Einwohner gebaut? Warum nur für
Asylanten?", fragt er. Man habe sich auf dem Wohnungsmarkt umgesehen,
unter 700 sei nichts zu bekommen.

Für 152 Wohnungen in Wesseling-Süd habe die GAG einen "potentiellen
Investor" gefunden: Das teilt der Vermieter den Anwohnern in einem
Schreiben mit, welches Steinbock mit zur Ratssitzung gebracht hat. Die
Ratsdamen und -herren wissen davon nichts.

Diese diskutieren letzte Woche Dienstag erst mal die Geschehnisse im
Nordwesten der Stadt und Bürgermeister Erwin Esser muss sich der
Vorwürfe erwehren, er hätte schon früher vom Verkauf der 444
Wohnungen rund um den Kastanienweg gewusst. Und er wehrt sich,
berichtet, dass er noch am selben Tag, als er vom Verkauf erfahren
habe, einen Termin bei der Industria in Frankfurt gemacht habe und
dort die Bedenken der Anwohner vorgetragen habe.

Dort habe man ihm gesagt, dass man keine Fluktuation wolle, sondern
dort fortfahre, wo die GAG jetzt aufgehört habe: "Die Industria ist
keine Heuschrecke, sie ist seit vielen Jahren in Wesseling verzahnt.
Viele Jahren wurden Werkswohnungen der Degussa unterhalten. Die
Industria hat auch jetzt noch Wohnungen in Teilen von Wesseling und
Berzdorf".

Man habe Esser den bestehenden Mieterschutz bestätigt, und auch den
Wesselinger Mietspiegel: "In den Wohnungen herrscht einen Mietspiegel
von 6,50 Euro - das ist bindend. Luxusrenovierungen sind
ausgeschlossen".

Der neue Vermieter wolle die langjährigen Mietverhältnisse beachten,
sei sich seiner sozialen Verantwortung bewusst. Und wenn man verkaufe,
würde man an die Mieter herantreten und auch eine Finanzierung über
die Degussa-Bank ermöglichen. Wenn es zu Verkäufen an Nichtmieter
komme, würde man an Kapitalanleger veräußern, die nicht selber
mieten wollen.

Esser nimmt aber auch Stellung zu den Wohnungen der GAG in
Wesseling-Süd: Hier sei der Zustand der Wohnungen "erbärmlich": "Da
sind Wohnungen aus den 40- und 50er Jahren, da ist seit langem nichts
getan worden", so der Bürgermeister. Das ganze Areal ist im
NRW-Flächenpool mit drin, der Bereich soll neu bebaut werden.

Als der Bürgermeister sagt, dass die Mieter schon lange von der GAG
angeschrieben worden seien, bei der Suche nach einer neuen Wohnung zu
helfen, gibt es Zwischenrufe: "Das stimmt nicht". Eine Mieterin ruft,
dass sie ein Schreiben bekommen hat, man zahle ab 1. Januar 2017 an
einen neuen Vermieter. Erwin Esser: "Das ist uns nicht bekannt".

Sascha Jügel fragt den Bürgermeister, ob er sich über den eben so
hochgelobten Verkäufer richtig informiert habe. Er habe auf der
Homepage der Industria gelesen, dass man Wohnungen aufkaufe und mit
Renditen von 5 und mehr Prozent wieder verkaufe. Wert und
Ertragsoptimierung seien weitere Säulen des Unternehmens: "Ja was
auch sonst? Das ist ein Wirtschaftsunternehmen."

Jügel sagt, es sei eine einfache Rechnung: "Wenn so ein Reihenhaus,
sagen wir mal 100 000 gekostet hat, dann kommen da Notarkosten drauf,
und verdienen wollen die ja auch. Im Gegenzug bietet die Degussa
Finanzierungen an. Da wird zweimal verdient". Sascha Jügel schlägt
vor, mit der neuen Eigentümerin eine Sozialcarta zu vereinbahren, um
die rund 1000 Mieter zu schützen. Den späteren Antrag dazu werden
alle Fraktionen unterstützen.

Helge Herrwegen von der SPD lobt den Bürgermeister für seinen
Einsatz und sagt, dass er getan habe, was er konnte: "Ich finde es
wichtig, der Industria eine Chance zu geben". "Was für ein
Schleimer", ruft jemand laut aus dem Publikum. Und: "Hier wird sich
doch nur geaalt für die nächsten Wahlen".

Einig waren sich aber alle Fraktionen, dass die GAG den Rat der Stadt
über den Verkauf früher hätte informieren sollen, Manfred
Rothermund von der CDU rügte die GAG "ausdrücklich": "Ich kann nicht
verstehen, dass man Menschen so in Ängste versetzen muss".

Klaus Meschwitz von WIR Freie Wähler dankte dem Sozialen Bündnis,
ohne die der Verkauf nicht so früh ans Tageslicht gekommen wäre:
"Wir wussten alle nichts davon. Ob die Gesellschaft, die jetzt kommt,
gut oder schlecht ist, kann ich nicht beantworten. Aber eine
85-jährige Frau bekommt keinen Kredit mehr, um eine Wohnung zu
kaufen."

Am nächsten Morgen trifft sich die Redaktion vor Ort an der
Hardtstraße in Wesseling Süd mit rund 15 Anwohnern im Alter von 24
bis 72. Die Sorge steht ihnen allen ins Gesicht geschrieben, einige
von ihnen waren am Vorabend ebenfalls bei der Ratssitzung.

Oliver Schneider (24) will aus dem Mietvertrag raus, das wurde aber
abgelehnt, man habe sich auf die dreimonatige Kündigungsfrist
berufen. Esther Recht (50) habe erst im November 2015 ihre Wohnung
für 5000 Euro renoviert, auch weil ihr im Telefonat mit der GAG
bestätigt worden sei, dass man nicht vorhabe, die Häuser
abzureißen.

"Wir haben damals extra nachgefragt, weil damals die Mieter in der
Taunusstraße entmietet wurden", sagt sie. Dort sind zurzeit übrigens
Flüchtlinge untergebracht, die Stadt hat die Wohnungen nach der
Entmietung angemietet.

Zwischen den zur Abriss-Disposition stehenden Häuserblöcken sind
weitläufige Gärten und man sieht, dass die Grundstücke mit viel
Grün gerne genutzt werden. Von der Hardtstraße aus blickt man vor
Kopf auf die Mainstraße und hier stehen dieselben Häuser wie in der
Hardtstraße.

Fast dieselben, denn diese haben einen anderen Eigentümer und werden
zurzeit saniert: Neue Heizungen und Leitungen seien schon drin, sagt
eine Anwohnerin, äußerlich kann man die Sanierung anhand neuer
bunter Fassaden sowieso schon sehen und bald bekämen diese Mieter
Balkone - anstatt die Abrissbirne.

Und in Haus Nummer 5 auf der vom Abriss bedrohten Hardtstraße hängt
derweil seit dem frühen Morgen ein Zettel von der GAG: Man informiert
die Mieter, dass ab dem 29. September Vermessungsarbeiten im gesamten
Wohnquartier Taunusstraße, Odenwaldstraße, Hardtstraße,
Eifelstraße und Ahrstraße stattfinden.

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Redakteur/in:

Montserrat Manke

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