Noch ein paar Corona-Wochen zu Hause und mir passt keine Hose mehr. Dabei hatte ich doch so eine Mühe, die Kilos loszuwerden…
Fasten wie ein Profi

Das Sixpack am Bauch sitzt perfekt. Gut, die Schutzschicht darüber ist mit 3 cm mittlerweile vielleicht etwas zu großzügig geraten. Aber eigentlich ist es der Rücken mit seinen ständigen Verspannungen, der dann den Ausschlag gab. Zwei Wochen lang will ich mich nur von Fasten und Sport ernähren. Ich weiß, in meiner Generation macht man sowas eigentlich noch nicht. Dafür sind die Vegan-Vegetarier-Jünger mit ein paar Jahrzehnten weniger zuständig. Aber andererseits, es muss mal was passieren. Im Rheinland sagt man in einer solchen Situation: „Jetz is et ävver baal joot, ne!“. Schärfer kann der Rheinländer sein Unwohlbefinden kaum ausdrücken.

So finde ich mich also mitten in der ödesten Ecke des Bayrischen Waldes in einer Spezialbehörde wieder, in der das Essen nur auf Antrag in geringen Mengen ausgeteilt wird. Das Hotel ist so weit weg vom Schuss, ich glaube, die denken immer noch, Strauß sei Ministerpräsident. Aber mit Fasten kennt man sich hier aus, ganz im Gegenteil zu mir. Natürlich fällt das prompt auf.

„Ich nehme nur Omega 3“, beteuert eine engagierte Dame, während sie die Klärschlammmischung aus Heilerde und Wasser in ihrem Glas in wohldosierten Schlucken zu sich nimmt. Ich wusste nicht, dass Opel drei verschiedene Omega-Modelle gebaut hat, deshalb halte ich mich diskret zurück. Reihum trägt nun jede(r) seine bzw. ihre persönlichen Erfahrungen, Kalorienwerte und Kenntnisse über völlig indiskutable Ernährungsweisen zum Gespräch bei. Nach einer guten Stunde ernährungswissenschaftlicher Bemerkungen versuche ich vorsichtig, mich auch einmal ins Gespräch einzubringen. Immerhin sitzen einige Personen beliebigen Geschlechts am Tisch, denen der Grund, warum sie an einem Fastenkurs teilnehmen, ohne Lupe anzusehen ist. Nichtsdestotrotz scheinen alle mehr oder weniger Fastenprofis zu sein. Doch als ich nachfrage, warum sie denn bei all diesen Kenntnissen überhaupt da seien, breitet sich umfassendes und betretenes Schweigen aus. Offensichtlich ist der Unterschied zwischen Theorie und Praxis doch größer als erhofft.

Dann ist da noch der andere Bereich, in dem ich mit einer unendlichen Fülle von nichtexistierenden persönlichen Erfahrungen glänzen kann: der Sport. Ich bitte Euch, montags um halb acht Uhr morgens im Schwimmbad antreten zur Wassergymnastik. Natürlich bin ich der einzige Mann unter acht Damen, die meisten im mittleren Rentenalter. Ich hätte es wissen müssen. Andererseits ist das Herumspringen im Wasser mit so einer hinterhältigen Plastikwurst auch anstrengend. Vor allem, als sich einer am anderen anhängt, und die Kette flott durchs Becken marschieren soll. Wenig überraschend wählt die Hauptfeldwebelin am Beckenrand mich als Lokomotive aus. Vielleicht ginge es besser, wenn die drei jauchzenden Damen in der Kette groß genug wären, um auch mal die Füße auf den Boden zu bekommen. Das Leben ist manchmal hart.

Kaum abgetrocknet, steht Intervalltraining an. zehn Stationen, drei Wiederholungen, und ich allein mit einer gnadenlosen Trainerin. Hatte ich das falsch in Erinnerung, dass Männer den Frauen körperlich überlegen sind? In der Schule war das nie ein Problem, aber bei diesem Training habe ich keine Chance. Und da ich allein bin mit ihr, kann ich noch nicht mal trödeln oder mich verstecken. Nach 30 Übungen ist das Leben zu 87% aus meinem Körper entwichen. Unzufrieden mit dem unvollständigen Ergebnis setzt diese Sklaventreiberin dann Bodenübungen an, bis ich locker die 100% erreiche. Danach kehrt sie meine Überreste zusammen und schickt mich zum Frühstück.

So vergeht die Woche in stetem Wechsel zwischen Sport, kargen Mahlzeiten und Wiederbelebungsversuchen. Alle zwei Tage eine Waldwanderung. Warum muss man senkrechte Hügel hochklettern, wenn daneben eine asphaltierte Straße auch zum Ziel führt? Dazwischen dann noch Schwimmen, Massagen und Sauna. Vor lauter Aktivitäten komme ich gar nicht dazu, Hunger zu haben.

Und dann sind da diese ganzen unbekannten Themen. Yoga. Qui Gong usw. Als ein Faszientraining angeordnet wird, frage ich vorsichtshalber erst einmal nach, ob Männer das auch haben. Man möchte sich ja nicht blamieren. Ich habe das Training dann mitgemacht und bin ganz schön von der Rolle. Unsere Trainerin hat eine Traumfigur und scheint über ihrer Faszienrolle geradezu zu schweben. Rolle unter dem Oberschenkel, einen Arm locker aufgestützt, die Beine kerzengerade horizontal in der Luft ausgestreckt. Faszinierend. Da muss man sich schon anstrengen, allein schon, um den heruntergefallenen Unterkiefer wieder einzusammeln. Als ich selbst auf der Rolle liege, fühle ich mich wie unsere Katzen, die sich auf beliebig strukturiertem Untergrund „ausgießen“ können, als ob sie keine Knochen hätten. Mein Oberschenkel wickelt sich elegant um die Rolle, damit das wertvolle Zentrum meines Körpers gesichert am Boden bleiben kann. Flugs entscheide ich, dass meine Lebensziele in anderen Bereichen liegen.

Am Ende der ersten Woche verabschieden sich fast alle Mitfaster, es kommt eine neue Gruppe. Alles nette Menschen, allerdings doch einige mit einem intensiven Mitteilungsbedürfnis. So gibt es eine Dame, die an allem herumschwäbelt und nichts ohne Kommentar durchgehen lassen kann. Sie arrangiert Essenszeiten, Zutaten und anderes für sich und ihren Ehemann (der ab und an auch mal zu Wort kommen darf) abseits des für alle geltenden Planes. Eine weitere Dame in undefinierbarem Alter mit Kurzhaarschnitt, dick umrandeter schwarzer Brille und schwarzem Lippenstift bringt so viel Intelligenz mit an den Tisch, dass sie ständig etwas davon abgeben muss. Mein Pech ist, dass sie direkt neben mir sitzt und immer wieder auf ihre Weise Konversation betreiben will. Nur, dass ich von ihren Themen offensichtlich keine Ahnung habe.

„Was sagen Sie zu Quinoa?“, ist beispielsweise so eine Frage. Herrgott, was soll man als durchschnittlicher Mann rheinischer Prägung darauf schon antworten? „Tut mir leid, ich war bisher nur auf den Philippinen und Papua-Neuguinea, aber Quinoa kenn ich noch nicht.“ Das ist offenbar nicht die Antwort, die sie erwartet, sie wendet sich leicht pikiert anderen Personen am Tisch zu, die vielleicht eher ihrem Wissensstand entsprechen.

Ein besonderes Highlight beim kargen Essen sind aber die Gespräche über Darmentleerungen. Geht es am ersten Abend noch darum, wer denn nun Glaubersalz schlucken würde und warum, so werden dann am nächsten Tag mit einer für fast alle am Tisch verständlichen Vertraulichkeit die Ergebnisse diskutiert. Überdies gibt es eine spezielle Therapie mit irgendeiner Flüssigkeit, die - ohne ins Detail gehen zu wollen - irgendwo eingebracht wird, um dort eine Zeit zu wirken, und dann den natürlichen Weg allen Seins zu gehen. Ich brauche dafür nur diesen Hirsebrei. Das sind die Gelegenheiten, wo ich eher durch vornehmes Schweigen auf mich aufmerksam mache. Was soll man auch einer durchaus charmanten Dame sagen, die einem vertraulich mitteilt, dass sie unmöglich Schwimmen gehen kann, weil das Glaubersalz ...

Zum Glück bin ich entschuldigt. Wann immer ich mit komplizierten Fragen bedrängt werde, habe ich die perfekte Ausrede: „Meine Frau hat mich hergeschickt.“ Sofort verständnisvolles und äußerst positives Kopfnicken der Damen, keine weiteren Fragen, höchste Anerkennung. Damit kann ich leben.

Am Ende der zwei Wochen bin ich zufrieden. Nette Gesellschaft, gutes, wenn auch minimales, Essen, erstaunliche Ergebnisse aus den sportlichen Aktivitäten. Da macht es mir auch nichts aus, dass ich nur teilweise heimkehren kann, und dass fast acht Kilo dortgeblieben sind. Leider kamen die aus den Beinen und sonst woher, aber nicht vom Bauch. Ich muss bei der Buchung irgendwas falsch gemacht haben.

Diesen Artikel gibt es hier auch als pdf. Weitere Geschichten gibt es in meinem Profil.
Wenn der Text ein wenig zum Schmunzeln anregt, würde ich mich freuen. Es gibt derzeit genug Dinge, über die man nicht Schmunzeln kann.

LeserReporter/in:

Dieter Weidenbrück aus Wesseling

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