Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach
13 Verurteilungen - jüngstes Opfer war drei Monate alt
Der Fall hatte 2019 nicht nur in Bergisch Gladbach, sondern schnell bundesweit für Aufsehen gesorgt: der so genannte Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach. Er beschreibt ein großes Geflecht von Verdächtigen, die sich im Netz über Kindesmissbrauch austauschten. Der Fall kam ins Rollen, als Ermittler im Herbst 2019 bei einem Vater in Bergisch Gladbach zu einer Durchsuchung anrückten. Über seine Kontakte kamen sie immer mehr Verdächtigen auf die Spur. Jetzt wird die seinerzeit eingeführte Ermittlungsgruppe aufgelöst - nicht ohne eine erschreckende Bilanz ihrer Arbeit.
439 Tatverdächtige konnten identifiziert werden. Bundesweit gab es 27 Festnahmen, davon 13 in Nordrhein-Westfalen. Im Zusammenhang mit den Ermittlungen zum Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach hat es in Nordrhein-Westfalen mittlerweile 13 Verurteilungen gegeben. Insgesamt hätten in den vergangenen Jahren aus der Arbeit der speziellen Polizei-Ermittlungsgruppe «Berg» 15 «Kernverfahren» resultiert, sagte der Leiter der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime NRW, Markus Hartmann, am Mittwoch in Köln. In 13 Fällen habe es gerichtliche Entscheidungen gegeben, bei denen insgesamt mehr als 80 Jahre Freiheitsstrafe verhängt worden seien. Zwei Angeklagte seien noch vor einem Urteilsspruch gestorben.
Auch der Mann aus Bergisch Gladbach, der seine eigene Tochter missbraucht hatte, wurde 2020 zu einer zwölfjährigen Freiheitsstrafe und Unterbringung in Sicherungsverwahrung verurteilt.
65 Kinder und Jugendliche von Peinigern befreit
Die «Besondere Aufbauorganisation Berg» (BAO Berg) der Kölner Polizei hatte 2019 begonnen, in einem weit verzweigten Missbrauchskomplex zu ermitteln. Im Haus eines Mannes aus Bergisch Gladbach waren damals Unmengen kinderpornografischer Daten gefunden worden. Zudem stießen die Ermittler auf viele Kontakte zu Männern, die im Netz Videos und Abbildungen schweren sexuellen Kindesmissbrauchs austauschten. Nach und nach kam man immer mehr Verdächtigen auf die Spur.
Das jüngste Kind, das die Polizei-Ermittlungsgruppe «Berg» aus einer Missbrauchssituation befreit hat, war demnach nur drei Monate alt. Das Baby sei von seinen Peinigern vergewaltigt worden, sagte am Mittwoch der Leiter der Ermittlungsgruppe, Michael Esser, in einer Pressekonferenz in Köln. Insgesamt seien im Rahmen der Ermittlungen in den vergangenen beiden Jahren 65 Kinder und Jugendliche bis zum Alter von 17 Jahren befreit worden.
"Enormes Leid - selbst erfahrenste Ermittler waren erschüttert"
Kölns Polizeipräsident Uwe Jacob sagte, er habe in seiner Karriere schon viel Leid gesehen, «aber das, was wir hier aufgedeckt haben, das sprengt alle Maßstäbe.» Die beachtliche Bilanz der Ermittlungen sei kein Grund zum Feiern. «Dafür ist das Leid, das wir hier aufgedeckt haben, viel zu groß.»
Die Mitglieder der Ermittlungsgruppe hätten «enormes Leid gesehen», was zu psychischen Belastungen geführt habe, erklärte Esser. Die Situationen seien teilweise «sehr surreal» gewesen, etwa wenn die Kinder nach der Trennung von den Missbrauchstätern geweint hätten.
So habe sich zum Beispiel ein Mädchen in Aachen während einer Anhörung verzweifelt an ein Stofftier festgeklammert, das es von seinem Onkel geschenkt bekommen habe. «Die Tragik in dieser Aussage nahm uns alle mit, denn dieser Onkel war unser Tatverdächtiger, der ihr unbeschreibliches Leid angetan hatte», heißt es in einem Bericht des Einsatzleiters. «Selbst die erfahrensten Ermittlerinnen und Ermittler waren über die Schwere des Missbrauchs erschüttert.»
Man könne nicht davon reden, dass Kindesmissbrauch ein Verbrechen vom Rand der Gesellschaft sei, sagte Esser. «Wir haben Tatverdächtige aus allen Gesellschaftsschichten.» Darunter seien Leute, die von außen betrachtet ein völlig normales Leben geführt hätten: «Die gingen ganz normal ihrer Arbeit nach.» In den meisten Fällen hätten die Ehefrauen keine Vorahnung gehabt, was mit ihren Kindern passiere.
Verbliebenen Spuren wird weiter nachgegangen
Die BAO Berg wird nun zwar aufgelöst, die noch verbliebenen, belastbaren Spuren der Ermittlungsgruppe sollen aber auf anderen Ebenen weiter verfolgt werden - in diesen Fällen erwartet die Kölner Polizei aber nicht mehr das Aufdecken akuter Missbrauchstaten.
Die Menge der Daten, auf der die Kölner Ermittler weiter sitzen, ist gleichwohl riesig. Durch die Auswertung gefundener Datenträger waren sie nach eigenen Angaben auf Spuren gestoßen, die in der Theorie zu mehr als 30.000 Verdächtigen führen könnten. Da sie sich in Foren, Gruppenchats und in Messengerdiensten aber hinter Pseudonymen verbergen, ist die Identifizierung extrem schwierig. Dass am Ende 30.000 Anklagen erhoben würden, galt wegen der technischen und rechtlichen Gegebenheiten als utopisch.
Insgesamt stellte die BAO Berg rund 4700 Datenträger sicher. «Um es mal ganz platt zu sagen: Die Keller hier im Polizeipräsidium sind voll mit sichergestellten Festplatten, Computern und Handys», sagte Polizeipräsident Jacob. Sie bedürften alle noch der Auswertung.
(vd) / © dpa-infocom, dpa:220112-99-678842/2 / dpa:220112-99-678187/3 / dpa:220111-99-671751/4
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
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