Ungewöhnlicher Besuch
Edrees Temmori aus Afghanistan in der Schreibwerkstatt

Alle Mitglieder der Schreibwerkstatt verfolgen gespannt Edrees Temmoris Ausführungen über seine Route von Afghanistan nach Deutschland. | Foto: Blattgold
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  • Alle Mitglieder der Schreibwerkstatt verfolgen gespannt Edrees Temmoris Ausführungen über seine Route von Afghanistan nach Deutschland.
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Wir haben vergangene Woche einen jungen Mann kennengelernt: Edrees
Temmori (28). Er hat eine bewegende Vergangenheit hinter sich
gebracht. Er war Reporter beim Fernsehen in Afghanistan gewesen und
hatte über verschiedene Dinge dort berichtet. Weil einige Leute das
nicht wollten, was er berichtet hatte, sollte er ermordet werden.
Deshalb musste Edrees seine Heimat verlassen und lebt seit dem in
Deutschland. Er lernt hier Deutsch und möchte wieder in seinem alten
Beruf als Journalist arbeiten. Die Flucht war sehr beschwerlich, aber
er hat es heute viel besser und hofft in Deutschland bleiben zu
können. Denn er ist ein Flüchtling.

Edrees Temmori hat uns mit seiner Nachbarin Gerda-Marie Becker in der
Schreibwerkstatt besucht. Sie engagiert sich ehrenamtlich in der
Frechener Flüchtlingsinitiative und unterstützt ihn, wenn er Hilfe
braucht.

Das Interview wurde geführt von den Blattgold
Schreibwerkstatt-Mitgliedern

  • Ralf Fassbender[/*]
  • Bettina Hoppe[/*]
  • Angelika
  • Quiel[/*]

  • Jessica Reinhard[/*]
  • Jochen Rodenkirchen[/*]
  • Isabel
  • Schatton[/*]

unter der Leitung der Journalistin Anja Schimanke.

Blattgold: Hallo Herr Temmori, Sie sind Journalist und waren in
Afghanistan Nachrichtensprecher fürs Fernsehen. Sind Sie in Ihrer
Heimat berühmt?

Edrees Temmori: Ich bin bekannt, war nicht nur
Nachrichtensprecher, sondern habe morgens auch das
Frühstücksprogramm moderiert, bei vielen Zeitungen gearbeitet und
beim Radio.

Wie sieht es in Afghanistan aus, voller Wüste oder was wächst
da?

Edrees Temmori: Ja, es gibt Wüste. Kabul liegt in einem Tal
und drumherum sind karge Berge. Im Sommer ist alles grün und sehr
sonnig, da wächst alles gut, obwohl es nicht regnet. Im Winter haben
wir vier Monate lang Schnee. Ich habe Fotos auf meinem Handy. Soll ich
sie euch zeigen? Sie wurden vor dem Krieg aufgenommen…

Ja, gerne.

(Edrees Temmori zeigt Bilder)

Edrees Temmori: Das ist eine Statue, bevor sie von den Taliban
zerstört wurde. Das bin ich mit dem Präsidenten. Das bin ich im
Fernsehstudio. Und das ist mein Pferd …

Das ist bestimmt traurig, wenn Sie sich das ansehen, oder?

Edrees Temmori: Ja, natürlich.

Warum sind Sie in Deutschland?

Edrees Temmori: In Afghanistan gab es viele Probleme. Ich habe
über Korruption recherchiert und wurde mit dem Tode bedroht.

Gibt es in Afghanistan die Todesstrafe?

Edrees Temmori: Ja.

Stimmt es, dass Dieben die Hände abgehakt werden?

Edrees Temmori: Ja, die Taliban machen das.

Das ist furchtbar! Vermissen Sie Ihre Heimat?

Edrees Temmori: Ich vermisse meine Arbeit. Ich vermisse meine
Mutter. Wir skypen zweimal die Woche miteinander.

Wie sind Sie nach Deutschland gekommen?

Edrees Temmori: Zu Fuß, manchmal mit einem Auto, mit dem Zug
und mit dem Schiff.

Wir haben eine Weltkarte. Wenn man von hier losgeht (Finger auf
Afghanistan) wie lange geht man dann, bis man hier ist, in
Deutschland?

Edrees Temmori: Zwei Monate.

(alle durcheinander)
Was so lange!? Wir können einen Tag lang laufen, einen Spaziergang
machen, aber 2 Monate… Da hatten Sie bestimmt Blasen an den Füßen.
Wie haben Sie die Flucht geschafft?

Edrees Temmori: Laufen, Trinken, Laufen, Trinken… ohne
Pause.

Gab es auch einen Schleuser?

Edrees Temmori: Ja, das war teuer. Wir sind mit dem Bus in die
Türkei gekommen. Danach sind wir nach Griechenland. Von da aus sind
wir aufs Mittelmeer.

(Edrees zeigt seine Route auf der Weltkarte)

Zwei Schiffe sind gleichzeitig gestartet, aber nur eins ist
angekommen. Das andere Schiff ist gekentert und alle sind ertrunken.

(alle)
Oh, nein. Wie schlimm. Traurig.

Edrees Temmori: Dann sind wir von Bulgarien nach Österreich
und dann nach Deutschland.

Wo habt ihr geschlafen?

Edrees Temmori: Im Zelt.

Und was habt ihr gegessen?

Edrees Temmori: Nur Brot.

Kein Gemüse?

Edrees Temmori: Nein.

Was ist mit Ihrer Familie?

Edrees Temmori: Meine Mutter wohnt in der Nähe von Kabul.
Mein Bruder und beide Schwestern sind mit mir nach Deutschland
geflüchtet.

Gerda-Marie Becker: Heute gab es in Kabul einen Anschlag auf
ein Militärkrankenhaus. Die Attentäter haben sich als Ärzte
verkleidet. Einer der Attentäter hat sich am Eingang in die Luft
gesprengt und die anderen sind ins Krankenhaus eingedrungen. Es gab 13
Tote und 15 Verletzte.

(alle sind entsetzt)
Oh, Gott. Schlimm. Furchtbar. Wollen Sie Ihre Mutter nicht hier
hinholen?

Gerda-Marie Becker: Nächste Woche hat Edrees ein Interview, ob
er überhaupt in Deutschland bleiben kann.

Wo haben Sie das Interview, bei einem Radiosender oder einer
Zeitung?

Gerda-Marie Becker: Nein, beim Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge in Essen. Sie entscheiden, ob Edrees bleiben darf oder
nicht. Darauf wartet er schon fast 22 Monate. Vom BAMF hört man nicht
unbedingt das Beste.

Wie meinen Sie das?

Gerda-Marie Becker: Ein Freund hat die Ablehnung bekommen,
obwohl er in Afghanistan ebenfalls mit dem Tode bedroht worden ist.
Das Amt für Migration sieht das nicht als Fluchtgrund an.

Wenn man mit dem Tode bedroht wird, ist das ein guter Grund, hier
bleiben zu wollen. Sonst ist es wahrscheinlicher, dass man getötet
wird.

Edrees Temmori:  Wenn ich keine großen Probleme in meiner
Heimat hätte, wäre ich nicht nach Deutschland gekommen. Ich hatte
eine gute Arbeit, gute Kollegen, viele Freunde…

Seit wann sind Sie hier in Deutschland?

Edrees Temmori: Seit Mai 2015.

Was möchten Sie hier machen?

Edrees Temmori: Ich möchte in meinem Beruf arbeiten, ein
Praktikum machen, bei einer Zeitung, Radio, ganz egal.

Wie sieht dein Tag aus?'

Edrees Temmori: Ich stehe jeden Tag um 6 Uhr auf, um
pünktlich um 8 Uhr in der Schule zu sein. Dort lerne ich Deutsch. Um
16 Uhr bin ich wieder zu Hause, gehe ins Fitness-Studio, danach nach
Hause, schlafen. Manchmal treffe ich Freunde, die im Containerdorf
leben.

Was möchten Sie gerne mal machen?

Edrees Temmori: Ich möchte Leute kennenlernen, im Café
sitzen und erzählen, auch um besser Deutsch zu lernen.

Wie haben Sie sich beide kennengelernt?

Gerda-Marie Becker: Edrees und seine Geschwister sind in unser
Nebenhaus gezogen. Flüchtlinge, und dann auch noch gleich acht, in
eine 3-Zimmer-Wohnung, das sorgte für Aufregung in der Nachbarschaft.
Ich habe bei der Stadt angerufen, mich erkundigt und dann die Nachbarn
beruhigt – es sind vier nette junge Leute. Als sie nachmittags
kamen, habe ich sie willkommen geheißen. Und Inge, meine 87-jährige
Nachbarin hat sie gleich mit zum Begegnungscafé genommen, das bei uns
in der Gemeinde stattfindet.

(alle)
Sehr nett von Ihnen!

Gerda-Marie Becker: Für die anderen im Haus, habe ich einen
Zettel unten in den Hausflur gehangen: Hallo, für alle die uns noch
nicht kennen und uns kennenlernen möchten: wir sind 4 Geschwister aus
Afghanistan. Und dann war gut. Seitdem sind alle freundlich
miteinander. Inge nennen sie Mum und mich Tante.

(alle)
Das ist schön!

Gerda-Marie Becker: Ja, es ist ein schönes Gefühl, wenn man
eine Bezugsperson in seiner weiß. Und die Geschwister kümmern sich
ganz rührend um Inge, fragen jeden Tag, wie es ihr geht und helfen,
wo sie können. Für uns ist das alle eine Win-Win-Situation. Wir
lernen von euch und ihr lernt von uns. Integration geht uns alle an!

Reaktionen auf das Gespräch

  • Jessica Reinhard[/*]

Edrees hat erzählt, dass er mit dem Tod bedroht wurde – das hat
mich traurig gemacht.

  • Jochen Rodenkirchen[/*]

Ich finde es interessant, was er in Kabul gemacht hat. Es ist
gefährlich, die Wahrheit zu sagen. Bei seiner Arbeit beim
Frühstücksfernsehen hat er bestimmt ganz gut verdient.

  • Norbert Fuchs[/*]

In Afghanistan begrüßt man sich mit der Hand auf der Brust und einer
Verneigung. Sein Handy ist Edrees wichtig. Da sind ganz viele Bilder
von Afghanistan und seiner Familie drauf.

Anmerkung der Redaktion

Edrees Temmori hat in der Zwischenzeit Bescheid von der
Ausländerbehörde. Er hat eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre.

Gerda-Marie Becker arbeitet ehrenamtlich für die
Flüchtlingsinitiative miteinander – füreinander, die Ökumenische
Nachbarschaftshilfe
Königsdorf. http://www.kikö.de/Fluechtlingsnetzwerk/

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Edrees Temmori zeigt Norbert Fuchs seinen Fluchtweg auf der Karte. | Foto: Blattgold
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