Ein Bläck Fööss sagt leise Tschüss
Bye-bye Bassist, mach et jot
Wenn et Leech usjeet em Henkelmännchen geht eine Ära zu Ende: Am letzten Abend des Jahres geben die Bläck Fööss ihr letztes Silvesterkonzert in der Lanxess-Arena. Danach ist auch für Hartmut Priess Schluss. Das Gründungsmitglied nimmt seinen Bass – und Abschied von den Bläck Fööss. Nach 48 Jahren! Ob er darüber sehr traurig ist? Wie lang es die Bläck Fööss noch ohne ihn machen? Und mit welcher Band es für ihn ein Comeback gäbe? Das und mehr hat er Blatt-Gold im Interview erzählt.
Blatt-Gold: Hallo Hartmut, warum hörst du nach so vielen Jahren einfach bei deinen Jungs, den Bläck Fööss, auf?
Hartmut Priess: Ihr habt die Fragen schon beantwortet: Nach so vielen Jahren … Ich merke, dass die Kräfte nachlassen und zwar überall: Am Kopp, in den Beinen, an den Händen … Ich kann das nicht mehr so gut, wie ich will und höre auf. In der Arbeitswelt geht man mit 65 in Rente, da bin ich schon drüber – ich bin 76. Und wir haben jemanden gefunden, der meinen Platz einnehmen kann, der das auf der Bühne sehr viel besser macht als ich – Hanz Thodam, eben weil er jünger und kräftiger ist.
Blatt-Gold: Wie hast du es geschafft, 48 Jahre in der Gruppe zu bleiben und durchzuhalten?
Gute Frage! Das kann ich mir selbst nicht erklären.
Alles lacht. Applaus.
Blatt-Gold: Bist du darüber traurig, dass du aufhörst?
Hartmut Priess: Der Mensch hat viele Gefühle. Es ist gut, dass ich aufhöre, sonst würde ich das nicht machen. Trotzdem würde ich gerne weitermachen und dann sagt der liebe Gott: Ja, was willst du denn nun: aufhören oder weitermachen? Und da habe ich gesagt: Aufhören. Ich will in Ruhe weiterleben und mehr Zeit zu Hause mit der Familie verbringen.
Blatt-Gold: Wenn du jetzt aufhörst, bist du in zwei Jahren, wenn die Bläck Fööss 50 werden, nicht mehr beim großen Jubiläum dabei.
Priess: Beim Jubiläum werde ich mitspielen. Sowas kann ich ja noch mitmachen. Kafi und Peter nehmen auch teil. Und auch an Silvester in der Arena. Wir haben jedes Jahr an Silvester gespielt, 19 Mal, jetzt kommt das 20. Mal – und dann hören wir auf.
Blatt-Gold: Was, alle?
Priess: Nein, das ist unser letztes Konzert in der Arena.
Blatt-Gold: Wie seid ihr auf die Idee gekommen an Silvester in der Lanxess-Arena zu spielen?
Priess: Dort wollten wir schon immer mal spielen und da sagte Bernd Assenmacher, der frühere Chef, zu uns: ‚Wenn ihr spielen wollt, bitte – der Silvestertermin ist noch frei!‘ Und so haben wir an Silvester ein Familienfest in der Arena gemacht und es ist uns geglückt: Die Stimmung ist familiär, friedlich, locker, freundlich und die Leute kommen nah zu uns an die Bühne, weil sie in der Mitte ist.
Blatt-Gold: Wie fühlst du dich, wenn du weißt, dass es bald zu Ende geht?
Priess: Das habe ich im Sommer schon im Tanzbrunnen erlebt. Und den Tanzbrunnen habe ich immer geliebt. Wenn man die Augen zumacht, fühlt man Köln. Da ist sehr Kölsch, auf eine schöne Weise. Wenn ich das letzte Mal in der Arena stehe, wird mir das nicht leichtfallen. Ich habe mich aber so in der Gewalt, dass ich das nicht unbedingt zeige. Es ist eine lange Strecke Weg, immerhin 48 Jahre lang, mein Berufsleben. Anderseits denke ich: Ich hab’s geschafft – jetzt kommt eine neue Zeit.
Blatt-Gold: Wann hast du mit Musikmachen angefangen?
Priess: Mit 15, 16 in der Schule. Gut, dass ich die Schule fast hinter mir hatte, weil ich anschließend für nichts anderes mehr Platz im Kopf hatte.
Blatt-Gold: Wie fanden das deine Eltern?
Priess: Die haben sich Sorgen gemacht.
Blatt-Gold: Welches Instrument hast du gespielt, den Bass?
Priess: Nein, Gitarre und die liebe ich immer noch, habe sie fast verlernt, weil ich immer den Bass spielen muss. Aber ich liebe die Gitarre. Zuhause habe ich noch eine Zeitlang Konzertgitarre geübt – unser Kater liebte das, ist dann auf meinen Schoß gesprungen, hat dazu geschnurrt und war glücklich. Das war ein schönes Gefühl.
Alle lachen.
Priess: Es gibt ein Lied über meinen Kater, wie er nachts rausgeht und morgens wiederkommt. Wunderbar! Lieder, die keine große Bedeutung haben, die aber etwas genau beschreiben, eine Geschichte erzählen. Das haben wir gelernt, als wir mit Musik beim WDR Kinderfunk angefangen haben und der Redakteur zu uns gesagt hat: ‚Kinder wollen Geschichten hören. Wenn sie die nicht hören, machen sie etwas anderes.‘ Erwachsene sind auch so. Darum haben unsere guten Lieder alle eine Geschichte! Und im besten Fall kann man auch noch drüber lachen, auch wenn es die eigenen Schwächen sind.
Blatt-Gold: Wolltest du immer Musiker werden?
Priess: Ich hatte den Wunsch, aber auch gleichzeitig Angst, ob ich das schaffe und habe mir ein paar Jahre große Sorgen gemacht. Rückblickend kann ich sagen, es ist gut, dass ich Musiker geworden bin. Wir sind nicht reich geworden wie Dagobert Duck, aber haben gut davon leben können. Ich hatte Schutzengel. Ich bin glücklich, dass ich mein ganzes Leben lang Musik machen konnte. Hätte ich einen anderen Beruf wählen müssen, wäre ich wohl unglücklich geworden.
Blatt-Gold: Wer oder was hat dich inspiriert?
Priess: Woody Guthrie, ein amerikanischer Liedersammler und Sänger, und Pete Seeger, die haben mich beide sehr inspiriert. Und Musik aus aller Welt, insbesondere Volksmusik! Aber denkt jetzt bitte nicht an lustige Musikanten oder so. Ich meine Volkslieder, die das Leben beschreiben, ob in Südamerika oder Europa – das interessiert mich.
Blatt-Gold: Wie würdest du die Bläck Fööss beschreiben?
Priess: Wir sind nicht wie andere Bands, die man sieht, wenn man den Fernseher anmacht. Wir gehören zu der Stadt, haben mit allem zu tun, was in Köln los ist, und treten überall auf – in der Kirche, im Pascha, im Knast – überall da, wo städtisches Leben ist. Wir beschreiben die Stadt in Lieder. Wenn wir das gut machen, haben wir gute Lieder. En unsrem Veedel zum Beispiel handelt ja davon, dass der Wohnraum immer kleiner wird und die Leute Angst haben, nicht mehr in der Stadt wohnen zu können. Unsere Lieder aus den letzten 50 Jahren sind ein kleines Geschichtsbuch über Köln.
Blatt-Gold: Was hat dir bei den Bläck Föss am meisten Spaß gemacht?
Priess: Wir machen sehr vielseitige Musik. Wir spielen mal auf einem großen Platz, dann auf einen ganz kleinen, mal laut, mal leise, da ist immer viel Abwechslung.
Blatt-Gold: Und was magst du persönlich am liebsten?
Wir haben in Kneipen vor ganz wenig Leuten gespielt, das war besonders schön. Es gibt Lieder, die man in einem ganz kleinen Rahmen viel schöner bringen kann, als auf einer großen Massenbühne. Wenn es nach mir ginge, würden wir nur das machen. Aber davon können wir nicht leben. Und ich bin ja nicht allein auf der Welt. Wir müssen uns einigen.
Blatt-Gold: Seid ihr alle Freunde?
Priess: Teilweise. Jeder hat von Freundschaft eine andere Vorstellung, das macht auch Entwicklungen durch. In den ersten Jahren war es sehr viel intensiver. Das wurde später sachlicher und kollegialer. Letzten Endes ist es gutgegangen, sonst wären wir ja nicht die ganzen Jahre über zusammengeblieben.
Blatt-Gold: Die meisten jedenfalls … Wir wollten das Thema Thomas Engel eigentlich lassen, weil du darüber bestimmt nicht gerne sprichst …
Priess: Warum? Ich kann doch sagen, dass er seine Sache bei uns sehr gut gemacht hat. Er ist ein guter Musiker und Darsteller. Das ging bis zu einem Tag gut und danach nicht mehr. Was er dann gemacht hat, dazu kann ich nicht viel sagen. Da mussten wir uns um uns kümmern und alle Energie darauf richten, nach vorne zu gucken. Zurückgucken, und fragen, was schiefgelaufen ist, bringt nichts.
Blatt-Gold: Habt ihr euch denn im Frieden getrennt?
Priess: Im Frieden hätten wir uns ja nicht trennen müssen. Das sind Dinge, die man lieber für sich behält.
Blatt-Gold (Ralf Faßbender): Ich fand Tommy Engel gut und Elvis.
Priess: Elvis fand ich auch toll. Ich habe mal am Barbarossaplatz auf die Straßenbahn gewartet, um zu unserem Büro nach Sülz zu fahren, gucke nach rechts und da steht Elvis neben mir! Es gibt Leute, die laufen rum wie Elvis, ziehen sich so an wie er. Auf der gegenüberlegenden Seite war ein Wartehäuschen mit einem Plakat auf dem stand: ‚Jesus lebt‘ – das habe ich zusammengeführt und Elvis lebt daraus gemacht. Mit meiner Idee bin ich zu Hans Kniep und den Jungs gegangen und wir haben daraus das Lied Elvis lebt gemacht.
Blatt-Gold: Wenn ihr Lieder schreibt, wie entstehen die, zum Beispiel Hück es Polterovend …
Priess: In der Elsaßstraße haben wir 1973 einmal auf einer Verlobung gespielt. Nur ein paar Meter entfernt hatten wir damals eine Stammkneipe am Chlodwigplatz und im Keller da drunter haben wir geübt. Man macht die Augen auf, überlegt, was man erlebt hat und dann wird das geschrieben. Es ist immer gut, wenn man was wirklich erlebt hat. Wenn wir nur so tun, als ob, merken die Leute sofort, dass wir keine Ahnung haben. Und das wäre für uns peinlich.
Blatt-Gold: Hast du ein Lieblingslied und Lieder, die dir zum Halse raushängen?
Priess: Es gibt Lieder, die wir besonders oft spielen, spielen müssen, weil die Leute sie hören wollen wie Mer losse de Dom in Kölle. Das Lied haben wir 1973 aufgenommen, Drink doch ene mit schon 1971. Da könnt ihr euch vorstellen, wie oft wir das schon gespielt haben. Da muss ich dem lieben Gott Danke sagen, dass wir diese Lieder haben, davon leben wir, da kann mir keins zum Hals raushängen.
Blatt-Gold: Gar keins?
Priess: Nein. Ein Straßenbahnfahrer fährt ja auch jeden Tag Straßenbahn … Und ich kann nicht auf der Bühne stehen und den Leuten vermitteln, dass ich das grauenhaft finde. So gebe ich mir Mühe, das sehr gut zu machen, auch wenn ich das schon tausend Mal gespielt habe.
Blatt-Gold: Warum stehst du auf der Bühne immer so weit hinten mit deinem Bass?
Priess: Ja, weil ich so bin! Da fühle ich mich wohl. Ich bin ein sehr ruhiger Mensch und will gar nicht vorne stehen. Vorne stehen ja andere.
Blatt-Gold: Ihr habt über 400 Lieder. Kannst du die alle auswendig?
Priess: Nein. Wenn ich Noten habe, geht es besser, obwohl ich sie nicht wie eine Zeitung lesen kann. Ich kann aber was damit anfangen, muss mich etwas damit beschäftigen bis ich weiß, um was es geht. So übe ich dann auch. Ich höre, versuche zu begreifen. Ich übe sowieso am liebsten auf der Bühne.
Blatt-Gold: Gibt es ein Lied, auf das du besonders stolz bist?
Priess: Es gibt eine ganze Menge Lieder, die ich durch die Bank gut finde. Von denen könnten wir eine Woche spielen ohne uns zu wiederholen. Bei manchen bin ich traurig, dass wir sie selten oder gar nicht spielen.
Blatt-Gold: Welche Lieder sind das?
Priess: Kennt ihr den Friedenspark? Da ist ein Adler zu sehen, ein Kriegerdenkmal vom 1. Weltkrieg. Als ich 14, 15 war, konnte man die Inschriften noch lesen. Da standen Sprüche wie ‚Im Felde unbesiegt‘ und das war nach dem 1. Weltkrieg auch der überwiegende Gedanke in Deutschland. Von Trauer war da nicht die Rede. Damit nimmt man einen weiteren Krieg vorweg und der kam dann auch 1939. Der Adler sieht aus, als würde er landen und sagen: Solange er da sitzt, ist das gut. Er soll bloß nicht wieder losfliegen! Ungerm Adler hat einen tollen Text und eine schöne Melodie.
Blatt-Gold: Du hast gar keinen kölschen Akzent.
Priess: Ich bin auch kein Kölner, ich bin Berliner. Ich bin mit 9 Jahren nach Köln gekommen und vor Heimweh fast umgekommen, weil ich mit einem Schlag all meine Freunde verloren hab. Ich habe hier neue Freunde gefunden, alle waren gut zu mir, das war nicht das Problem, aber sie können nicht das ersetzen, was weg ist.
Blatt-Gold: Sind deine Eltern Berliner?
Priess: Auf der heutigen Europakarte sind meine Eltern Polen. Meine Mutter stammt aus Posen, mein Vater aus Stettin. Sie haben sich in Berlin kennengelernt. Ich bin in Berlin zur Welt gekommen. Mir ist das vollkommen egal – ich bin Europäer!
Blatt-Gold: Kannst du denn Kölsch?
Priess: Ich hab‘s gut gelernt, höre es gern und kann es sehr gut verstehen. Aber ich will es nicht sprechen. Dazu finde ich Kölsch zu schön. Sollen die es sprechen, die es sprechen können.
Blatt-Gold: Welches Lied hättest du gern selbst erfunden?
Priess: Da gibt es verschiedene. Von Kasalla Wir sind immer noch da oder auch Alle Gläser hoch, ein Lied über den Tod, was der Basti über seinen verstorbenen Vater gemacht hat – sehr schön. Ich finde auch ein paar Lieder von Querbeat gut wie Nie wieder Fastelovend am Klavier gesungen. Querbeat finde ich sehr gut, ihre Art gefällt mir, sie haben viel Leben auf die Bühne gebracht.
Blatt-Gold: Hat sich Karneval verändert?
Priess: Ja! Als wir am Anfang auf die Bühnen beim Sitzungskarneval gingen, war das alles noch steif; die ganzen Rituale, die Reden, das Verleihen der Orden – wir hatten es schwer, die Leute mit Musik in Schwung zu bringen. Sie wollten zuhören und jedes Wort verstehen. Da hieß es: ‚Spielt nicht so laut, wir wollen eure Texte hören!‘ Wenn ich das mit heute vergleiche, haben wir damals unendlich leise gespielt, aber es war ihnen immer noch zu laut.
Blatt-Gold: Und heute?
Priess: Das, was früher zu steif war, ist heute zu viel Party! Party ist etwas anderes als Karneval. Es dreht zwar immer noch um Lieder, wenn wir auf die Bühne gehen. Aber wenn die ganze Aufmerksamkeit des Publikums auf Party und darum geht, abzufeiern, verschwinden die Texte und wir könnten auch auf Finnisch singen. Die ganzen Großveranstaltungen in Köln haben der Stadt sehr zugesetzt. Darum gehen wir am 11.11. nicht mehr auf den Heumarkt. Die Zustände sind schlimm. Es schadet der Stadt, was da passiert. Karneval muss so gemacht werden, dass es mit der Stadt verträglich wird. Ändert etwas, dann kommen wir wieder!
Blatt-Gold: Du hörst aber jetzt auf. Und die anderen sind sich am verjüngen.
Priess: (lacht): Ja, das müssen wir und tun wir ja. Wenn ich aufhöre, könnte die Gruppe sagen, dann hören wir auch auf. Das wäre traurig. Also habe ich ihnen einen Bassisten vorgeschlagen, wir haben mal mit ihm geprobt - war gut – und sie machen weiter.
Blatt-Gold: Wie lange wird es die Bläck Fööss noch geben?
Priess: Wir haben sehr viele Lieder. Und wenn die Jungs klug sind und gut arbeiten, kann es sie noch sehr lange geben.
Blatt-Gold: Es könnte passieren, dass die anderen in ein paar Jahren keine Lust mehr haben oder das Publikum macht nicht mehr mit.
Priess: Ja, das kann passieren. Dann ist es tatsächlich vorbei. Als Tommy Engel bei uns aufgehört hat, haben viele auch gesagt: ‚Mit den Bläck Fööss kann das nie wieder was geben.‘ Und wir haben gesagt, wir machen weiter, haben die Lieder anders aufgeteilt, neue Lieder gemacht – das ging wunderbar.
Blatt-Gold: Mit welcher Band gäbe es für dich ein Comeback?
Priess: Mit gar keiner! Ich gehe, weil mir alles zu viel wird, sonst könnte ich ja bleiben. Ich bin kein Fußballprofi, der den Verein wechselt.
Das Interview führte Blatt-Gold, die Schreibwerkstatt der Gold-Kraemer-Stiftung unter der Leitung der Journalistin Anja Schimanke. Dabei waren Christiane Becker, Ralf Faßbender, Jochen Rodenkirchen und Isabel Schatton.
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