Neues Hilfsprojekt „Aruon“ in Köln
Mit TikTok obdachlosen Drogensüchtigen helfen

Seit 2024 ist auch ein Team in Hamburg für Aruon unterwegs. Jasmin Bröckler 2.v.l. Mohamed Bousaaidi 4.v.l. 
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  • Seit 2024 ist auch ein Team in Hamburg für Aruon unterwegs. Jasmin Bröckler 2.v.l. Mohamed Bousaaidi 4.v.l.
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Wir möchten drogenabhängigen Menschen, die auf der Straße leben, auf ihrem langen Weg aus der Sucht in ein geregeltes Leben begleiten“, sagt Mohamed Bousaaidi. Früher war er im Frankfurter Bahnhofsviertel Drogendealer. Mit seinem Projekt „Aruon“ und seinem Livestreams auf TikTok will er nun Obdachlosen helfen.

von Angelika Stahl

Sie stechen heraus, seine kurzen, empathischen Videos auf TikTok, die Mohamed Boussaaidi vor seinen Hilfsrundgängen durch die Frankfurter Innenstadt unter dem Namen „m069“ live streamt. Sie zeigen nicht – wie so häufig – eine heile Glitzerwelt, sondern geben obdachlosen, süchtigen Menschen eine Stimme und lassen sie über ihre Sorgen, Gedanken und Probleme berichten.
Inzwischen sind diese Livestreams laut Bousaaidi eine Art Selbsthilfegruppe geworden, in denen hunderte Betroffene neue Hoffnung, Stärkung und eine Gemeinschaft finden. Mit seinen Videos über den Alltag dieser Menschen erhält er auf TikTok großen Zuspruch. Täglich schauen rund 500 bis 1000 Menschen auf seinen Kanal. Insgesamt folgen 26.000 Menschen seinem Account und kommentieren die kurzen Filme mit ermunternden und lobenden Worten. Seine Follower spenden Kleidung, Geld oder auch Tierfutter, das dann an die Obdachlosen weitergegeben wird.
„Falsche Freunde und meine Spielsucht haben mich in die Arme von Kredithaien getrieben. Ich hatte die Kontrolle über mein Leben komplett verloren“, erzählt der 35-Jährige. „Nach einem sechsmonatigen Gefängnisaufenthalt und einer intensiven Therapie habe ich es geschafft, aus der Sucht herauszukommen und mir ein neues Lebensziel zu setzen.“ 2022 rief er in Frankfurt das Projekt „Aruon“ ins Leben. „Die Hilfe, die ich während dieser Zeit im Quartier erfahren habe, möchte ich nun zurückgeben“, begründet der 35-Jährige sein Engagement. Mittlerweile unterstützen ihn 90 ehrenamtliche Mitstreiterinnen und Mitstreiter in ganz Deutschland.
Bisher waren Bousaaidi und seine Gruppe außer in Frankfurt auch in Hamburg unterwegs, wo sie obdachlosen, drogenabhängigen Menschen bei Behördengängen, Anträgen oder Arztbesuchen unterstützten. Nun ist Köln als dritter Standort dazugekommen.
13 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, teils ehemalige Betroffene, gehören zum Kölner Team. Geleitet wird es von Bianca Bessler. Sie war selbst süchtig und hat durch Bousaaidi und seine Mitstreiter die Sucht überwunden. Je nachdem wie das Team Zeit hat, trifft sich die Gruppe zu ihren Hilfsrundgängen durch die Stadt und spricht obdachlose Menschen rund um den Hauptbahnhof, den Neumarkt und den Ebertplatz an. Im Gespräch bieten sie ihre Unterstützung an.

Menschen auf Augenhöhe begegnen und Vertrauen aufbauen.

„Wichtig ist, dass wir den Menschen auf Augenhöhe begegnen und Vertrauen zu ihnen aufbauen, sie ernst nehmen“, erläutert Jasmin Bröckler, eine Weggefährtin Boussaaidis. „Hören wir heraus, dass sie Hilfe aus ihrer Sucht suchen, bieten wir ihnen an, sie bei den dafür notwendigen Anträgen zu begleiten.“
Das Besondere an ihrer Arbeit sieht Bröckler in der familiären Gemeinschaft von Helfenden und Suchtkranken. „Wir sind immer ansprechbar, Begleiter, Motivatoren und Stützen in jeder Phase des Entzugs, der Therapie und auch noch danach.“ Als Konkurrenz zu bestehenden, professionellen Hilfsangeboten und Institutionen soll laut Bröckler das Projekt nicht gesehen werden: „Vielmehr möchten wir im Hintergrund deren Arbeit unterstützen, da sein, wo ihnen die Kapazität fehlt. Therapieanträge können nur über einen Sozialarbeiter beantragt werden, das können wir als Privatpersonen nicht.“
Sozialarbeiter Sven Aulmann von Off Road Kids sagt dazu: „Ein Großteil der Sozialarbeit müssen ausgebildete Sozialarbeiter übernehmen. Das nicht nur etwas mit Wissen zu tun hat, sondern auch mit Schutz, Nähe und Distanz, und es erfordert eine gefestigte und starke Persönlichkeit. Das mag Herr Boussaidi schaffen, aber vielleicht nicht jeder in seinem Team.“
Sein Kollege Norbert Teutenberg findet es grundsätzlich bergüßenswert, wenn sich Menschen ehrenamtlich engagieren, um anderen zu helfen. Eine Kooperation mit professionellen Einrichtungen und der Initative setze ein aufeinander abgestimmtes Konzept voraus. Eine Absprache zwischen einem Träger und einer Initiaive allein reicht in seinen Augen nicht. „Ich fände es tatsächlich hilfreich, das Projekt dem Gesundheitsamt vorzustellen und dann gemeinsam zu schauen, wie es in das Gesamtkonzept der Kölner passen könnte.“
Ähnlich sieht es auch Prof. Dr. Carmen Kaminsky von der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften der TH Köln „Sich mit Empathie für Menschen in Not einzusetzten, ist ein lobenswerter Ansatz. Ihnen Hilfe und Unterstützung anzubieten ist eine gute Sache. Bei so viel ehrenamtlichem Engagement wäre es in meinen Augen gut, wenn dieses mit dem, was professionelle Sozialarbeit ausmacht, verknüpft würde.“
Erste Kontakte zu sozialen Einrichtungen für Jugendliche sowie Sozialarbeitern hat die Kölner Gruppenleiterin bereits geknüpft. Nun bleibt abzuwarten, wie die Menschen auf der Straße das Projekt annehmen und ob sich eine Zusammenarbeit mit weiteren professionellen Einrichtungen oder den Stadtämtern etablieren lässt.
Bisher finanziert die Initative ihre Ausgaben aus eigener Tasche und durch Geld- oder Sachspenden ihrer Unterstützer in den Sozialen Medien.
Für die Zukunft wünscht sich Mohamed Bousaaidi, dass Obdachlose nicht von der Gesellschaft ausgeschlossen werden. „Helfen bedeutet nicht unbedingt, Geld geben. Vielmehr tut es diesen Menschen auch gut, wahrgenommen zu werden und ihnen das Gefühl von Zugehörigkeit zu geben. Bis auf wenige Ausnahmen lebt meiner Erfahrung nach kein Mensch gerne auf der Straße, und die Auslöser für die Sucht können unterschiedliche Gründe haben. Das wird oft vergessen.“

Redakteur/in:

EXPRESS - Die Woche - Redaktion aus Köln

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