Stählerne Riesen
ORTStermin im Tagebau Hambach - auf dem Schaufelradbagger 292
Rhein-Erft-Kreis - Gigantisch! Das ist mein erster Eindruck angesichts des riesigen
Erdlochs, das sich gerade vor mir auftut. Ich stehe, ausgerüstet mit
Schutzkleidung, an der oberen Geländekante des Tagebaus Hambach, am
Rand des Rhein-Erft-Kreises. Unter mir erstreckt sich eine fünf
Kilometer lange und bald 450 Meter tiefe Kohlegrube. Es ist die
größte von Deutschland. An diesem besonderen Ort kommen Maschinen
zum Einsatz, die weltweit ihresgleichen suchen.
Das rheinische Braunkohlerevier prägt seit vielen Jahrzehnten die
Region rund um Köln. Westlich der Domstadt baut die RWE Power AG,
vormals Rheinbraun, an drei großen Standorten Kohle ab - in Inden,
Garzweiler und Hambach. Der Tagebau Hambach ist dabei einer der
größten von Europa. „Allein durch diesen Tagebau werden fünf
Prozent des deutschen Strombedarfs gedeckt. Alle deutschen
Braunkohlentagebaue zusammen sichern rund 25 Prozent der Nachfrage.
Dieser hohe Anteil zeigt, dass unser Land so schnell nicht auf die
Braunkohle verzichten kann. Zumal wir ja zurzeit auch aus der
Kernenergie aussteigen“, erklärt mir Guido Steffen von der
RWE-Unternehmenskommunikation auf unserem Weg mit dem Geländewagen
hinunter in den Tagebau.
Deshalb hat die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen in ihrer
Leitentscheidung zum rheinischen Braunkohlerevier unter Berücksichtigung der
bundesdeutschen Energiewende 2016 festgelegt, dass der Tagebau Hambach
in seinen genehmigten Grenzen weiter zur Energiegewinnung genutzt
werden soll, auch wenn der hohe CO2-Ausstoß ein großes Manko ist.
„Die Braunkohle ist kostengünstig und braucht keine Subventionen,
und das, obwohl so große Anstrengungen nötig sind, um die Kohle zu
gewinnen“, erklärt Guido Steffen. Denn das Verhältnis von Abraum
zu Kohle beträgt im Tagebau Hambach 5,2:1, berichtet mir Guido
Steffen. Die Kohle liegt hier in einer Tiefe von rund 400 Metern
unterhalb der Geländekante. Auf einer Länge von fünf Kilometern
werden auf der einen Seite des Tagebaus die über der Kohle liegenden,
lockeren Erdschichten aus Sand, Ton und Kies sowie letztlich die Kohle
abgebaut, auf der anderen Seite wird der Abraum zur Rekultivierung des
Gebiets wieder aufgeschüttet. Und dafür sind außergewöhnliche
Maschinen nötig: Schaufelradbagger! Auf einem dieser Stahlkolosse
habe ich meinen „Ortstermin“.
Koloss auf breiten Sohlen
Mit dem Geländewagen geht es – vorbei an „Autobahnen“ von
Förderbändern - weiter hinunter in den Tagebau, genauer gesagt auf
die fünfte Sohle, rund 320 Meter unterhalb der Geländekante. Dort
wartet der Schaufelradbagger 292 auf mich. Er gehört zu den größten
„Abräumern“ im Tagebau Hambach. Je näher ich diesem Riesen
komme, desto beeindruckender sind die Dimensionen. Am Fuß des
Baggers, also am Kettenfahrwerk, das meine 1,80 Meter bereits locker
überragt, wartet Christian Müller auf mich. Er arbeitet seit 1983
auf den Stahlriesen und berichtet mir zunächst einmal von den
„persönlichen Daten“ des grauen Giganten, der sich über mir in
den Himmel erstreckt. Bagger 292 misst knapp hundert Meter in der
Höhe, 240 Meter in gestreckter Länge und wiegt rund 13.000 Tonnen -
alleine das Hauptgerät mehr als 9.200 Tonnen. Stolze 620 Tonnen
entfallen auf die Elektro-Ausrüstung dieses Baggerbergs, über den
rund 160 Kilometer verlegte Leitungen führen. „Trotz dieses
immensen Gewichts ist der Bodendruck aber insgesamt niedriger als bei
einem ‚Pfenningsabsatz‘ einer 60 Kilogramm schweren Frau mit
Stöckelschuhen“, weiß Christian Müller zu berichten - „dank der
rund 700 Quadratmeter großen Auflagefläche des Baggers.“
Christian Müller ist einer von insgesamt rund 120 so genannten
„Großgeräteführern“, die im Tagebau Hambach auf den Stahlriesen
arbeiten. „Ohne diese, meist einen Handwerksberuf begleitende
Ausbildung, die ich in der Rheinischen Braunkohlenbergschule in
Frechen absolviert habe, kommt keiner auf diese Bagger“, berichtet
er mir, während wir über eine heruntergelassene Stahltreppe den
Bagger besteigen. Mich erwarten die ersten von unzähligen Stufen, die
ich auf meiner Tour über den Koloss noch auf und absteigen werde –
stets begleitet von Christian Müller, der seinen Beruf sichtlich
liebt. „Insgesamt sind wir mit vier Kollegen während einer Schicht
im Einsatz. Zu unseren Aufgaben zählen neben der Steuerung des
Baggers im Führerstand auch die Kontrollgänge entlang der Bänder
für den Abraum, Erdbeseitigungen mit kleinen Raupen im Fahrbereich
des Baggers oder im Notfall auch Löscharbeiten, als erste
Feuerwehrmänner vor Ort. In der Frühschicht gehört zudem ein
Schlosser zum Team, der ebenfalls überall nach dem Rechten sieht.“
Neben der ganzen Mechanik, die ich auf dem Bagger in ungeheuren
Dimensionen aus nächster Nähe in Aktion erleben kann, hat auch auf
diesen gefräßigen „Ungeheuern“ längst modernste Technik Einzug
gehalten. Per Computer und GPS wird der Bagger und sein Schaufelrad
mittels Geoposition zentimetergenau gesteuert, verrät mir Christian
Müller. Der gesamte Aufbau des Tagebaus, der sich mit den
verschiedenen Sohlen neben dem Bagger vor mir auftürmt, ist per
Bohrungen detailliert vermessen, um exakt bestimmen zu können,
welcher Boden in welcher Tiefe anzutreffen ist. Danach richtet sich
auch die Planung der Verteilung des Abraums. Die Erdmassen werden auf
kilometerlangen Förderbändern transportiert, die ich mittlerweile -
rund 50 Meter über dem Boden stehend - quer durch den Tagebau laufen
sehen kann.
Mehr Antrieb als in der Formel 1
Vor den immensen Erdwänden wirken die Bewegungen des Giganten auf
mich zunächst behäbig und langsam, aber weit gefehlt. Christian
Müller entkräftet meinen Einwand gleich, denn diese Bagger können
mit echten Superlativen aufwarten: „Gemessen am Gewicht ist
beispielsweise die Antriebsleistung bei unseren Baggern höher, als
bei Sebastian Vettels Ferrari in der Formel 1 - auch wenn der Bagger
tatsächlich nur 10 Meter pro Minute schnell ist.“ Und der
Baggerführer aus Bergheim-Kenten legt gleich noch einmal nach: „Wir
können mit diesen Baggern pro Tag rund 240.000 Kubikmeter Erdmasse
abtragen. Das bedeutet, wir könnten ein großes Fußballstadion
innerhalb von zwei Tagen bis zum Dach randvoll schütten.“ Diese
Leistung hat aber auch ihren Preis: „Der Energiebedarf eines solchen
Baggers entspricht ungefähr dem einer Kleinstadt mit 20.000
Einwohnern!“
Abgetragen werden die Erdmassen mit Sand, Ton, Eisenstein oder
letztlich auch die Kohle mittels des riesigen Schaufelrads, das sich -
noch aus einiger Entfernung betrachtet - unaufhörlich, scheinbar
spielend leicht und mit stoischer Ruhe dreht. Es lässt sich bis zu
einer Höhe von 40 Metern über die Baggerstandfläche anheben und 16
Meter unter dieses Niveau absenken, erklärt mir Christian Müller und
führt mich über Leitern und Treppen in den so genannten
Führerstand. Hier erwartet mich Josef Meyer aus Siersdorf. Er steuert
das Schaufelrad gerade sowohl per Schwenkbewegung des Arms als auch in
punkto Tiefe, mit der sich die Schaufeln in den Berg hinein fressen,
dank Computerhilfe zentimetergenau durch „unruhiges Gelände“.
„Am schönsten sind eigentlich die Sandgemische abzutragen, dann
läuft der Bagger ganz ruhig“, erklärt Josef Meyer. Im Moment wird
jedoch Ton und Eisenstein abgetragen. Deshalb herrscht auf dem Bagger
ordentlich „Seegang“. Mit Hilfe der Instrumente ist ersichtlich,
was und wie viel gerade abgebaut wird, und wo das Material hin
transportiert wird. Alle Arbeitsabläufe werden von der Leitstelle
koordiniert, denn Planung ist bei einem so riesig dimensionierten
Tagebau alles.
Was für `nen hohlen Zahn: ein Kleinwagen!
Nachdem ich nun im „Gehirn“ des „Ungetüms“ war, will ich
seine „Zähne“ hautnah in Aktion erleben. Auch hier erwartet mich,
wie schon an einigen anderen Stellen auf dem Bagger, zunächst eine
leichte Wasserbrise. „Der Immissionsschutz wird sowohl für die
Mitarbeiter als auch die Anwohner groß geschrieben, um die
Staubbelastung möglichst gering zu halten“, erklärt Christian
Müller. Durch den Sprühnebel bewege ich mich ganz nach vorne zur
Spitze des Arms, an dem sich neben mir das riesige Rad dreht –
maximal bis zu vier Mal pro Minute, wie mir Christian Müller zuruft.
„Das Rad hat einen Durchmesser von 21 Metern und insgesamt 18
Schaufeln, von denen jede zirka 6 Kubikmeter aufnehmen kann. Da
könnte man problemlos einen Kleinwagen drin parken“, verdeutlicht
er mir die Dimensionen. Das abgeräumte Material fällt während der
Drehbewegung aus den hohlen Schaufeln auf ein erstes Förderband.
Danach wird es über ein zweites Band und das so genannte
Beladungsgerät, das wie ein kleiner Anhänger des Baggers wirkt, auf
das Tagebau-Förderband geleitet.
Wir gehen weiter über Stahlgitter, Treppenstufen und Leitern und
verlassen langsam wieder den Mittelbau des Baggers in Richtung Boden -
nicht ohne neue, interessante Erläuterungen des Baggerexperten:
„Der Mittelbau wird rein durch die Statik des Baggers und seiner
Türme gehalten. Er ruht auf einer Art riesigem Kugellager. Wäre ich
Popeye und hätte Spinat gefrühstückt, könnte ich diesen Teil
problemlos umkippen!“ Ich schaue mir neben dem Mittel- nun auch noch
einmal den „Oberbau“ des Baggers genauer an. Mein Blick fällt auf
die Spitze des höchsten Turms, wo ein „kleiner“ Kran aufragt.
„Wofür ist der denn?“ frage ich. „Für Reparatur- und
Wartungsarbeiten, die an der Konstruktion auch in dieser Höhe in
festgelegten Intervallen nötig sind“, berichtet Christian Müller.
Zu guter Letzt weist er noch auf eine weitere, für mich kuriose
Tatsache hin: „Unser Bagger ist auch Nistplatz – für Falken. Wir
haben extra einen Mitarbeiter, der sich um die Tiere kümmert, die in
Zusammenarbeit mit dem Naturschutzbund auch beringt werden. Wenn der
Nachwuchs da ist, müssen wir hier manchmal richtig aufpassen, dass
wir den Eltern nicht zu nahe kommen!“
Der Tagebau wird zum größten künstlichen Gewässer
Mittlerweile sind wir wieder an der klappbaren Treppe angelangt und
mein Rundgang über den riesigen Bagger endet nach hunderten Stufen
mit dem Schritt zurück in den weichen Sand. „Am Ende eines
Arbeitstages wissen Sie aber auch, was Sie getan haben“, stelle ich
angesichts des „Bergsteigens“ fest. Christian Müller lacht und
sagt: „Jeder Schritt macht schlank!“ Ein letzter Beweis, dass er
seine Arbeit an diesem außergewöhnlichen Ort liebt.
Auf meiner Tour zurück will ich von Guido Steffen noch wissen, was
aus dem Tagebau Hambach nach dem Ende des Abbaus wird und frage,
eigentlich rhetorisch: „Wohl kaum ein See wie bei so vielen anderen,
kleinen Gruben, oder?“ Doch Guido Steffen belehrt mich eines
Besseren und hat den letzten Superlativ meines „Ortstermins“
parat: „Hier wird das größte künstliche Gewässer Deutschlands
entstehen, doch das werden wir nicht mehr erleben. Nach 2050 wird eine
angepasste Menge Rheinwasser in den Tagebau geleitet und die Grube
nach und nach gefüllt. Die Braunkohlenplanung sieht ein Ende rund um
das Jahr 2100 vor!“
Redakteur/in:Düster Volker aus Erftstadt |
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