Sessionsstart: Interview mit Ludwig Sebus
Gleichgültigkeit als Gefahr

Auch mit 99 Jahren zeigt sich Ludwig Sebus mit hellwachen Augen, aufgeschlossenem Geist – und klaren Worten. | Foto: Foto Düster
  • Auch mit 99 Jahren zeigt sich Ludwig Sebus mit hellwachen Augen, aufgeschlossenem Geist – und klaren Worten.
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Region (vd). Ludwig Sebus ist der letzte verbliebene Grandseigneur des Kölner Karnevals. Im September feierte er sozusagen „jeckes Jubiläum“, 9 x 11 Jahre. Sebus wurde 1925 in der Domstadt geboren und mit 18 Jahren 1943 in den Krieg eingezogen. Ende 1949 kehrte er aus russischer Gefangenschaft nach Köln zurück. Seine Erlebnisse sorgen noch heute dafür, dass er sich engagiert und politisch zu Wort meldet. Mit seinem Lebenswerk berührte und bewegte er als Komponist, Texter und Krätzje-Sänger Tausende bei seinen Auftritten – nicht nur im Karneval und nicht nur im Rheinland. Auch mit 99 Jahren zeigt sich Ludwig Sebus mit hellwachen Augen, aufgeschlossenem Geist – und klaren Worten. Für die Rheinischen Anzeigenblätter sprach Volker Düster vor dem Sessionsstart mit Ludwig Sebus als engagiertem Zeitzeugen über das „Gestern“ und „Heute“, den Karneval, die Jugend, die Politik und seine 99 Lebensjahre.

Herr Sebus, November, der Karneval steht wieder vor der Tür. Sie waren unzählige Jahre ein Aushängeschild, haben unzählige Auftritte absolviert. Wann hat das eigentlich alles angefangen?

Ludwig Sebus: „Kurz, nachdem ich aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekommen bin, habe ich mich 1950 dem Altermarktspielkreis angeschlossen. Von dort hat sich dann der Weg in den Karneval ergeben - und spätestens mit dem Lied ‚Jede Stein en Kölle es e Stöck vun dir‘ wenige Jahre später war ich im Karneval etabliert.“

So wurden Sie dann auch im gesamten Rheinland bekannt. Wie war das zu Ihrer Blütezeit? Wie viele Auftritte haben Sie da absolviert?

Ludwig Sebus:„Das waren, je nach Dauer der Session, rund 220 bis 240 von Neujahr bis Aschermittwoch. Da war die Struktur der Sitzungen aber auch noch eine andere.“

Können Sie das erklären?

Ludwig Sebus:„Na ja, jeder Auftritt, ob Büttenrede, Tanz oder Musik, dauerte 15 Minuten, nicht länger. Meist gab es acht Nummern vor der Pause, vielleicht noch fünf danach und dann war Tanz angesagt.“

Es hört sich so an, als blickten Sie mit etwas Wehmut auf diese Zeit zurück? Ist Ihnen im Karneval etwas verloren gegangen, das Sie vermissen?

Ludwig Sebus:„Die Selbstverständlichkeit des Zuhörens. Da hat die Beschallungstechnik dafür gesorgt, dass man selbst lautes Raunen einfach überschallt. Damals gab es noch die Autorität der Präsidenten. Wenn die sich nur erhoben haben, wurde es wieder still. Das gibt es heute so fast gar nicht mehr - mit wenigen Ausnahmen. Und dann gab es natürlich noch die richtige ‚Bütt‘, die vermisse ich sehr.“

Warum? Können Sie das näher erläutern?

Ludwig Sebus:„Es gab seinerzeit ja noch eine erkennbare ‚Bütt‘, und dort wood jewäsche, wat jewäsche weede moot. Auch das war Aufgabe des Karnevals, Probleme anzusprechen und den Spiegel vorzuhalten, aber nicht, um zu beleidigen. Der Wegfall d´r Bütt ist nicht durch Comedy zu ersetzen.“

Wem hören Sie denn heute noch gerne zu?

Ludwig Sebus:„Denen, die wirklich etwas erzählen, Klimpermännche Thomas Küppers oder Jörg Paul Weber, die glänzen ja auch als Redner. Bläck Fööss und Höhner, Kasalla und noch einige mehr. Es gibt auch gute junge Bands, die nachrücken.“

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich aber ja nicht nur im Karneval viel verändert. Sie können bald auf ein komplettes Jahrhundert Lebenserfahrung blicken. Welche Veränderungen sind für Sie die prägendsten?

Ludwig Sebus:„Das kann man ja kaum sagen. In den vergangenen 100 Jahren ist so viel mehr passiert, als in manch 500 Jahren. In meiner Kindheit gab es kaum elektrisches Licht, keine Wasserleitungen, Plumpsklo statt einer Toilette. Wir haben mit Blechbüchsen Fußball auf der Straße gespielt. Da fuhren ja in der Regel nur Pferdefuhrwerke, Autos waren eine Ausnahme. Wenn man alleine das mit heute vergleicht, kaum vorstellbar.“

Und wenn Sie die Menschen von damals mit heute vergleichen, was hat sich da verändert?

Ludwig Sebus: „Ich glaube, die Menschen waren früher viel bescheidener. Da lebten noch viele Personen auf engem Raum miteinander. Der wichtigste war die Küche, angestocht mit Kohlen und Briketts. Dann gab es noch Schlafzimmer und für besondere Anlässe wie einen Geburtstag wurde Platz geschaffen – und der Sonntagsanzug rausgeholt. (Pause) Nur das ­politische Wirrwarr war gleich.“

Wie meinen Sie das?

Ludwig Sebus:„Es hat sich schon damals in der Weimarer Republik und danach gezeigt, wie anfällig die Demokratie ist, wenn man sie nicht pflegt! Das ist sehr gefährlich. Man hat Hitler seinerzeit ein Terrain gegeben, weil man dachte, wenn man ihn einbindet, hätte man ihn besser unter Kontrolle. Deshalb mahne ich heute zur Vorsicht, welche Parteien man mit welchem ­Gedankengut einbindet. Entscheidend ist: Wollen sie die Demokratie stärken oder schwächen?“

Sie haben das Nazi-Regime in ihrer Jugend erlebt. An was erinnern Sie sich, wenn Sie an Ihre Jugend denken?

Ludwig Sebus: „Ich war in der katholischen Jugend, in meiner Pfarre St. Michael am Brüsseler Platz Messdiener und sehr aktiv. Das und mein Elternhaus haben mich und meine Werte sehr geprägt. 1934 kam dann aber die Staatsjugend. Alle ‚deutschblütigen‘ hatten samstags schulfrei und beim Jungvolk anzutreten. Da gab es eine vormilitärische Ausbildung mit viel Disziplin und Marschieren und politischer Schulung. Als Gegen­gewicht gab es da nur noch die häusliche Erziehung und die christlischen Werte. Ich habe zwar keinen offenen Widerstand wie die Edelweißpiraten geleistet, aber beispielsweise Plakate der NSDAP beschmiert und sowas.“

Gibt es dann etwas, was Sie der heutigen Jugend mit auf den Weg geben möchten?

Ludwig Sebus: „Zunächst eigentlich mal den Eltern. Oft ist es ja so, dass auf Anstand und soziales Verhalten keinen wert mehr gelegt wird. Aber man kann die Zeit damals und heute auch kaum vergleichen. Die Menschen der jüngeren Generationen sind im Frieden aufgewachsen, mit einem reichhaltigen Freizeitangebot an Sport und Unterhaltung. Krieg kennt man - Gott sei dank - nur aus der Historie. Ich habe den Krieg, Armut und Unterdrückung kennen gelernt, die beiden Bombardements vom Mai 1942 und vor allem Juni 1943 mit zigtausend Toten in Köln miterlebt. Ich war an der russischen Front, habe einmal sogar schon mein eigenes Massengrab mit ausgehoben, war in Kriegsgefangenschaft und bin in eine völlig zerstörte Heimatstadt zurückgekehrt. Ohne meine Zuversicht und den Halt im Glauben hätte ich das wohl nicht überstanden. (Pause) Wenn man dann bedenkt, wie das alles begonnen hat, dann kann ich aus meiner Erfahrung nur sagen: Unterschätzt die aktuelle Gefahr nicht.“

Sie spielen damit auf die AfD an. Welche Gefahr sehen Sie?

Ludwig Sebus:„Gleichgültigkeit! Die Anfänge zu unterschätzen. Gleichgültigkeit hat auch den Nazis seinerzeit Vorschub geleistet.“

Mit der Lebensweisheit von 99 Jahren: Was ist ihr Kompass für das Leben?

Ludwig Sebus:„Bodenständig zu bleiben. Zu bedenken, dass jeder Mensch Achtung braucht (Pause) – und das man bei der Schönheit des Alters nicht pingelig wird. Ich habe zu meinem Geburtstag gesagt: Wer 99 Jahre alt wird, der ist von seinem Arzt falsch behandelt worden!“ (lacht herzhaft)

Redakteur/in:

Düster Volker aus Erftstadt

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