Ein Jahr Krieg in der Ukraine
Ein neues Leben in Deutschland

Olha Petrychkovych lebt seit März letzten Jahres mit ihrer Tochter, ihrer Mutter und ihrer Cousine in Erftstadt. | Foto: Zingsheim
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Rund 5.000 Menschen aus der Ukraine haben Aufnahme im Rhein-Erft-Kreis gefunden. Eine von ihnen ist Olha Petrychkovych, die ihre Geschichte erzählt.

Von Georg Zingsheim
Rhein-Erft-Kreis
. Olha Petrychkovych konnte es zunächst nicht glauben, als die russischen Truppen am 24. Februar 2022 die Grenze zur Ukraine überschritten und das Land angegriffen haben. „Ich hatte keinen Fernseher und ich konnte mir das gar nicht vorstellen“, erzählt die 31-Jährige. Als die Auswirkungen des Krieges gegenwärtig wurden, entschied sich Olha Petrychkovych dann aber, das Land zu verlassen und ist mit ihrer siebenjährigen Tochter Lisa, ihrer Mutter und ihrer Cousine in Erftstadt-Bliesheim untergekommen.

„Wir wohnen bei einer deutschen Familie“, berichtet die junge Frau, die ihre Geschichte offen erzählt. Sie war Englischlehrerin an einer Berufsschule in Lwiw (früher: Lemberg) in der West-Ukraine und hatte im Studium ein wenig Deutsch gelernt. Inzwischen hat sie einen Integrationskursus absolviert und einen ersten Deutschkursus. Sie kann sich sehr gut verständigen.

Als der Krieg in ihrer Heimat begann, zog sie mit ihrer Tochter und ihrer Mutter zunächst zu ihrem Bruder in ein Dorf bei Lwiw, wo sich die Familie in Sicherheit wähnte. Ihr geschiedener Mann arbeitet in Polen. Doch die Russen beschossen eine militärische Anlage in der Nähe des Dorfs, und es gab viele Tote. Da das Dorf nicht mehr sicher war, flüchteten die 31-Jährige, ihre Tochter, ihre Mutter und ihre Cousine zunächst nach Ungarn, wo ihr Vater auf dem Bau arbeitet. Dort erreichte ihre Mutter ein Anruf aus Erftstadt-Bliesheim: Bei Bekannten der 55-Jährigen konnten die drei Frauen und das Kind in einem großen Privathaus in Erftstadt unterkommen, wo sie seit dem 20. März 2022 leben. Der Bruder von Olha Petrychkovych diente in einer Territorialschutzeinheit und will nicht weg: „Er will die Heimat schützen.“

„Fünf meiner Schüler sind im Krieg gestorben“

Die Nachrichten aus der Heimat sind alles andere als rosig. Stromausfälle sind an der Tagesordnung, unvorhersehbarer Raketenbeschuss und Nächte in Kellern und Bunkern machen der Zivilbevölkerung in vielen Landesteilen das Überleben im Winter schwer. Dazu haben sich die Lebensmittelpreise mehr als verdoppelt. Und: „Fünf meiner Schüler sind im Krieg gestorben“, erfuhr die Lehrerin. Umso mehr ist sich Olha Petrychkovych bewusst, dass sie und ihre Familie in Deutschland sicher sind. „Ich bin sehr dankbar, denn ich habe hier viele freundliche Leute getroffen.“

Hans Arnold Maus, Leiter des Sozialamtes der Stadt Kerpen, kann das generell bestätigen: „Die Hilfsbereitschaft war insgesamt sehr groß.“ Bis Ende Januar hatte die Kolpingstadt 762 Personen aus der Ukraine aufgenommen, von denen die meisten Frauen und Kinder sind, die Kreisstadt Bergheim meldet 631 Personen mit Fluchthintergrund aus der Ukraine. Der Rhein-Erft-Kreis zählt für die acht restlichen Städte des Kreises zurzeit rund 3.600 Menschen aus der Ukraine, denn nur Bergheim und Kerpen erfassen die Zahlen in eigenen Ausländerämtern. Insgesamt leben im Kreisgebiet rund 5.000 Menschen aus dem osteuropäischen Land.

Unterbringung war große Herausforderung

Rund 120 Ukrainer konnten in Kerpen bei Privatleuten in der Stadt unterkommen, so wie Olha Petrychkovych in Erftstadt. „Frauen und Kinder werden gerne genommen. Das ist ein Grund, warum wir die Unterbringung gut hinbekommen haben“, erklärt Maus. Ein kleinerer Teil der Geflüchteten musste dennoch in Hallen oder Containern einquartiert werden, weitere 60 Ukrainer sind im Horremer Kloster der Salvatorianerinnen eingezogen. Inzwischen haben alle Kommunen Probleme, Geflüchtete noch angemessen unterzubringen, denn es kommen nicht nur Menschen aus der Ukraine an. Anfangs kamen Frauen, Männer und Kinder aus der Ukraine in Kerpen an und standen plötzlich vor dem Rathaus, bei der Polizei oder der Feuerwehr vor der Tür, erinnert sich Doreen Dittrich von der Kerpener Stadtverwaltung. Das sei eine große Herausforderung gewesen. Inzwischen läuft die Aufnahme geregelt ab.

Viele Bürgerinnen und Bürger aus dem Kreis üben aber nicht nur bei der Aufnahme der Leute Solidarität mit dem angegriffenen Land: Privatleute bringen Hilfstransporte mit verschiedensten Gütern auf den Weg, und der Rhein-Erft-Kreis hat zweimal Transporte mit Lebensmitteln, Medikamenten und medizinischem Material sowie Beatmungsgeräte und Computermonitore in den polnischen Partnerkreis Bielsko-Biala gebracht. Von dort gingen die Waren weiter in die Ukraine. Kinder und Jugendliche haben Aufnahme in Sportvereinen gefunden und vielerorts gibt es Begegnungscafés, in denen sich Helfer und Geflüchtete austauschen können. Ehrenamtler helfen bei Übersetzungen und Behördengängen.

Lisa fürchtet sich vor dem Luftalarm

Bedburg hat eine Partnerschaft mit Mykolajiw geschlossen und hilft mit Wasseraufbereitungsanlagen und Generatoren, und erst kürzlich hat Erftstadt eine Partnerschaft mit der ukrainischen Stadt Ternopil geschlossen.

Auch für Olha Petrychkovych und ihre Tochter Lisa, die inzwischen eingeschult wurde, ist der Kontakt in die Heimat sehr wichtig. Lisa geht gerne in die deutsche Schule und lernt fleißig. „Ich bin sehr stolz auf sie“, betont die Mutter. Gleichzeitig lernt Lisa noch mit Online-Material, das sie aus einer Schule in der Ukraine erhält, damit sie dort im Falle der Rückkehr mit einer anderen Sprache und Schrift nicht den Anschluss verpasst.
„Meine Tochter hat Angst vor dem Alarm“, sagt Olha Petrychkovych. Denn vor Drohnen- oder Raketenangriffen, die das Kind in der Ukraine erlebt hat, löst die Luftabwehr die heulenden Sirenen aus. Das wird sich erst wieder ändern, wenn in der Ukraine wieder Frieden herrscht. Dieser Tag ist aber noch nicht in Sicht.

Olha Petrychkovych lebt seit März letzten Jahres mit ihrer Tochter, ihrer Mutter und ihrer Cousine in Erftstadt. | Foto: Zingsheim
Im Dezember brachte der Rhein-Erft-Kreis einen zweiten Hilfstransport in den polnischen Partnerkreis Bielsko Biala auf den Weg. Von dort aus gingen Lebensmittel, Medikamente und medizinisches Material weiter in die Ukraine. | Foto: Rhein-Erft-Kreis
Redakteur/in:

Georg Zingsheim aus Kerpen

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